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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Rée, Paul Johannes: Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg, [1]: Festrede, gehalten am 19. Oktober 1892 zur Feier seines hundertjährigen Bestehens
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0092

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von vr. Paul Johannes Ree

6?

Die Antike allein aber hätte niemals dieses Wunder gewirkt, die bloße Hingebung an diese und die
unbedingte Nachahmung ihrer Formen würde niemals der Kunst einen neuen Lebensodem gegeben, sondern
nur zu einer neuen Manier geführt haben, die vor der italienischen und französischen nicht viel voraus gehabt
hätte. Zu der Hellen Begeisterung für die Antike mußte sich ein warmes lebendiges Naturgefühl gesellen, mußte
die Freude an allem Schönen, wo es sich zeigte, ob in der Natur, ob in der Kunst, treten, und niemals würde
die deutsche Kunst den großen nationalen Zug, der uns so mächtig aus den Werken des Cornelius entgegen-
weht, erhalten haben, hätte sie nicht wieder Anschluß bekommen an die alte deutsche Kunst, wären nicht die
Werke eines Dürer wieder aus der Verborgenheit und Vergessenheit hervorgeholt, um durch die ihnen eigen-
tümliche Schönheit die Phantasie der Künstler zu befruchten.

Darum haben neben Winckelmann und Lessing auch jene Männer ihre große Bedeutung, welche nun,
wo man mit einemmale von der Antike alles hoffte und neben ihr nur noch die ihr verwandte Kunst der
Italiener gelten ließ, ihre Stimme erhoben und das gesunde Naturgefühl und die heimatliche nationale Kunst
priesen. Als erster ist hier der junge Goethe zu nennen, den im Jahre 1772 das Straßburger Münster zu
dem herrlichen Hymnus „Von deutscher Baukunst" entflammte, wo er, von heiligem Zorn übermannt, ausrief:
„Und nun soll ich nicht ergrimmen, heiliger Erwin, wenn der deutsche Kunstgelehrte, auf Hörensagen neidischer
Nachbarn seinen Vorzug verkennt, dein Werk mit dem unverstandenen Worte „gotisch" verkleinert, da er Gott
danken sollte, laut verkündigen zu können: Das ist deutsche Baukunst, unsre Baukunst, da der Italiener sich
keiner rühmen darf, viel weniger der Franzos." Hat er auch sachlich unrecht, da ja die Gotik gerade fran-
zösischen Ursprungs ist, so berühren uns diese Worte, aus denen eine so warme Empfindung für die künstlerischen
Offenbarungen unsrer Altvorderen spricht, außerordentlich wohlthuend. Noch wunderbarer aber berührt es uns,
wenn wir aus Goethes Munde das Lob
Dürers vernehmen. In derselben Abhand-
lung lesen wir: „Wie sehr unsre ge-
schminkten Puppenmaler mir verhaßt sind,
mag ich nicht deklamieren. Sie haben
durch theatralische Stellungen, erlogene
Teints und bunte Kleider die Augen der
Weiber gefangen. — Männlicher Albrecht
Dürer, den die Neulinge anspötteln, deine
Holzgeschnitzteste Gestalt ist mir willkom-
mener." Neben Goethe erscheint aber noch
ein schönes Zweigestirn, freilich von ganz
verschiedenem Glanze: der sinnlich er-
glühende, ja bacchanalisch trunkene Heinse,
der Verfasser des 1787 erschienenen Arding-
hello, und der kindlich reine, fromm und
milde Wackenroder, der 1797 die „Herzens-
ergießungen eines kunstliebenden Kloster-
bruders" schrieb. Mögen sie selber sprechen.

Im Hinblick auf jene, die einseitig der
Antike huldigten, ruft Heinse aus: „Die
Kunst kann sich nur nach dem Volke richten,
unter welchem sie lebt. Jeder arbeite für
das Volk, worunter ihn sein Schicksal ge-
worfen und er die Jugend verlebt hat,
suche deren Herz zu erschüttern und mit
Wollust und Entzücken zu schwellen, suche
dessen Lust und Wohl zu verstärken und
zu veredeln und helfe ihm, wenn es weinet"
und mit Bezug auf die Wertschätzung der
" deutschen Kunst neben der italienischen, be-
merkt er: „Jedes Volk, jedes Klima hat
seine eigentümliche Schönheit, seine Kost
und sein Getränke. Wenn echter milder
Rüdesheimer nicht so reizend, so öl-mark-
feuersüß ist wie der seltene Klazomener,
so ist er doch wahrlich auch nicht zum

„Fröhliche 2ahre
Glückliche Gage —

Gleich Frühlingswogen
Seid ihr verrauscht."

von jDaul Lchultze (Naumburg)
 
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