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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 8.1892-1893

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Rée, Paul Johannes: Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg, [1]: Festrede, gehalten am 19. Oktober 1892 zur Feier seines hundertjährigen Bestehens
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https://doi.org/10.11588/diglit.11054#0093

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Der Albrecht Dürer-Verein in Nürnberg

Fenster hinauszuschütten." Wackenroder aber, der mit 26 Jahren verstorbene geniale Jüngling, der 1793 in
Erlangen studierte und in Nürnberg mächtig von dem Zauber alter deutscher Kunst ergriffen wurde, weist wie
Goethe unmittelbar auf Dürer hin. Ihm hat er eine herzerquickende Schrift geweiht: „Ehrengedächtnis unsres ehr-
würdigen Ahnherrn Albrecht Dürers." Da lesen wir am Anfang die für die damalige, der Schönheit Nürn-
bergs wenig zugewandte Zeit, erstaunlichen Worte: „Nürnberg! du vormals weltberühmte Stadt! wie gerne
durchwanderte ich deine krummen Gassen! Mit welcher kindlichen Liebe betrachtete ich deine altväterischen
Häuser uud Kirchen, denen die feste Spur von unsrer alten vaterländischen Kunst eingedrückt ist! Wie innig
lieb' ich die Bildungen jener Zeit, die eine so derbe, kräftige und wahre Sprache führen! Wie ziehen sie mich
zurück in jenes graue Jahrhundert, da du Nürnberg die lebendig wimmelnde Schule der vaterländischen Kunst
warst und ein recht fruchtbarer überfließender Kunstgeist in deinen Mauern lebte und webte." Auf Dürer
übergehend sagt er dann später: „Aber jetzt wandelt mein trauernder Geist auf der geweihten Stätte vor deinen
Mauern, Nürnberg, auf dem Gottesacker, wo die Gebeine Albrecht Dürers ruhen, der einst die Zierde von
Deutschland, ja von Europa war. Sie ruhen, von wenigen besucht, unter zahllosen Grabsteinen, deren jeder
mit einem ehernen Bildwerke als dem Gepräge der alten Kunst, bezeichnet ist, und zwischen denen sich hohe
Sonnenblumen in Menge erheben, welche den Gottesacker zu einem lieblichen Garten machen. So ruhen die
vergessenen Gebeine unsres alten Albrecht Dürer, um deffentwillen es mir lieb ist, daß ich ein Deutscher bin."

So waren damals die künstlerischen Stimmungen, die die Gemüter einzelner bewegten. Auch einzelne
tüchtige Künstler waren da, die entweder wie Mengs, Oeser, Tischbein und Angelica Kaufmann in den Bahnen
Winckelmanns wandelten, oder wie Chodowiecki, Grass und Hackert die Naturwahrheit anstrebten.

Es fehlte also nicht an gesunden, entwickelungsfähigen Keimen, aber nun bedurfte es noch eines kräftigen
Nährbodens, sollten jene nicht verwehen wie Spreu im Winde. Die von einzelnen empfundenen und erkannten
Wahrheiten mußten dem Bewußtsein aller zugeführt, mußten zum Gemeingut des Volkes gemacht werden, denn
nur diejenige Kunst gedeiht, welche weiß, das sie beim Volk, für das sie da ist, einen empfänglichen Sinn und
das rechte Verständnis findet. Solches erkannt und die richtigen Mittel und Wege gefunden zu haben, in dieser
Richtung zu wirken, ist das Verdienst der kunstsinnigen Männer, welche am 13. Oktober des Jahres 1792 in
einem Hause an der Fleischbrücke zu Nürnberg zusammenkamen und die „Gesellschaft der Nürnberger Künstler
und Kunstfreunde" ins Leben riefen, um nach dem Wortlaut der Statuten „durch Umgang und Austauschung
gegenseitiger Urteile die hiesige Kunst gemeinnütziger zu machen, Künstler mit Künstlern zu verbinden und in
dem obgleich eingeschränkten Wirkungskreiß Mittel ausfindig zu machen, welche zu Flor und Wiederaufnahme
der hiesigen Künste dienlich sein möchten." —

Die Kindheitstage unsres Vereins waren keine goldenen, unter großen Entbehrungen wuchs er heran,
wenig beachtet und kaum geschätzt von der Menge. Zwar durfte er sich bald des Interesses und der Teilnahme
der tüchtigsten Künstler rühmen, die Nürnberg damals besaß, aber ein rechtes frisches Leben wollte nicht auf-
kommen. Wir vermissen das fröhliche Jauchzen, die heitere Lust einer im Glück sich sonnenden Kindesseele.
Aber was die Ungunst der Verhältnisse versagte, ward durch rastlosen Eifer und emsigen Fleiß ersetzt, und
wenn keine Sonnenstrahlen da waren, in deren Lichte der junge Verein erglänzte, so schlug ihm doch ein in
Liebe zur Kunst erglühendes Herz, aus welchem unaufhörlich die Begeisterung quoll und immer neue Lebens-
wärme strömte. So reifte das Kind in aller Stille zum stattlichen Jüngling heran, der in seinem Abiturienten-
examen davon Zeugnis ablegte, daß er seine Jugend wohl ansgcnützt, reiche Schätze des Wissens gesammelt
und einen lebhaften Sinn für höhere Aufgaben ausgebildet hatte. Dieses Abiturientenexamen war die vor-
trefflich gelungene Kunstausstellung, die, über 200 Nummern umfassend, bei Gelegenheit des fünfundzwanzig-
jährigen Stiftungsfestes veranstaltet wurde. Wir wollen es unserm Hundertjährigen nicht verübeln, daß er
erst mit 25 Jahren sein Abiturium machte.

Nun begann für ihn eine neue Zeit! Wie der dem Elternhause entwachsene Jüngling auf der Hoch-
schule die belebenden und den Charakter stählenden Einflüsse der milstrebenden Jugend erfährt, aus dem engen

Kreise seines Denkens und Schavens heraustritt, tausend Beziehungen knüpft zu dem großen Getriebe, Welt
genannt, und Wurzel faßt in einer neuen Anschauungs- uud Ideenwelt, so sehen wir, wie auch unser Verein
seine Ziele weiter steckt, seine Aufgabe höher faßt, und kühner, selbstbewußter vorwärtsschreitet.

Ihm nacheifernd hatten sich im Jahre 1817 zu ähnlichem Zwecke die jüngeren Künstler Nürnbergs
vereinigt, mit richtigem Takt ihren großen Ahnen Dürer zum Patron erwählt und nach ihm den Verein benannt.
Albrecht Dürer-Verein! Wie mußte dieser Name die deutschen Patrioten begeistern, die in dem eben verrauchten
Pulverdampf der Freiheitskriege erfahren hatten, was deutsche Kraft und deutsche Größe war. So konnte es
denn auch nicht ausbleiben, daß sich in allen deutschen Gauen Männer fanden, die es sich zur Ehre anrechneten,
Mitglieder dieses Vereins zu sein, und es sind wahrlich keine Geringen, die wir darunter finden. Das Ver-
zeichnis weist Namen auf wie Wolfgang v. Goethe, Peter v. Cornelius, Johann Heinrich Dannecker, Christian

v. Rauch und den Minister Freiherrn v. Stein, der damals schon den Plan zu einem germanischen National-

museum faßte.
 
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