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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 26.1928

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Heft 12
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Preetorius, Emil: Vom Kunstgewerbe zur angewandten Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7393#0499

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KARL BLECHEN, SCHNEELANDSCHAFT MIT MÖNCHEN. TUSCHZEICHNUNG

VERSTEIGERUNG DER BLECHEN-SAMMLUNG BROSE BEI HOLLSTEIN & BÜPPEL, BERLIN, ENDE OKTOBER

VOM KUNSTGEWERBE ZUR ANGEWANDTEN KUNST

EMIL PREETORIUS

"TAie Bildungsstätte, deren sechzigsten Geburtstag wir heute
begehen, erhält als Angebinde einen neuen Namen;
sie soll von nun an nicht mehr heißen „ Kunstgewerbe-
schule", sondern „Staatsschule für angewandte Kunst". Stand
vordem die Kunst am Beginn des Namens, jetzt rückt sie ziel-
haft ans Ende, als unserer Absichten sinnvolle letzte Er-
füllung.

Und dieser Augenblick, gleichsam eine zweite Geburts-
stunde unseres Instituts — denn was wäre, tiefer gesehen,
ein neuer Name anderes als ein Wiedererstehen unter neuem
Gestirn — drängt uns somit zu einer Art Taufrede, zugleich
einer Erklärung: Was denn hat uns — darauf läuft ja jene
Namensänderung hinaus — das Wort „Kunstgewerbe" so
mißlich, ja geradezu verdächtig gemacht — dasselbe Wort,
das noch vor zwei Jahrzehnten als schwellendes Banner den
Weg wies allen fortschrittlich Gesinnten, allen wirklich Zeit-
gemäßen?

Der Wandel in der Bedeutung und Wertschätzung der

Festrede zur Feier des sechzigjährigen Bestehens der Kunstgewerbe-
schule München.

Bezeichnung Kunstgewerbe enthält und enthüllt zugleich
die tiefe Akzentverschiebung hinsichts allen künstlerischen
SchalFens, die Wertverschiebung im Verhältnis von künstle-
rischer Leistung zum Bedürfnis, Gesellschaft und allgemeiner
Kultur. Und damit rückt ein wichtiges Stück neuester Kultur-
geschichte ins Licht des Bewußtseins, wird zugleich die ganze
Problematik heraufgehoben, in der nicht nur das Künstlerische,
sondern alles geistige Tun des heutigen Europa befangen ist.
Seien Sie unbesorgt: so weit will ich den Bogen unseres be-
trachtenden Blickes gewiß nicht spannen! Das aber wollen wir
heute an dieser Stelle dankbar bekennen, gerade heute, wo
wir diesem Worte, dieser Bezeichnung den Abschied geben,
daß es sich um einen Abschied in allen Ehren handelt. Denn
die neue Idee des Kunstgewerbes war das früheste, noch ver-
einzelte, unmittelbare und bewußte Vortasten des künstle-
rischen Gewissens in ein durch den Einbruch maschineller
Herstellung völlig entseeltes Gewerbe, in toten Betrieb. Und
noch etwas anderes war sie: sie war eine erste Unruhe, ein
erstes Drängen, heraus aus einem allzu stoffentbundenen, allzu
wirklichkeitsfernen l'art pour l'art.

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