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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 1
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Meyer, Bruno: Gari Melchers
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0012

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H Die Kunst-Halle — Nr. s

naturen vereinigt, die sich allerdings nicht ihrem
Charakter und ihren Zielen nach ausschließen, aber
unvermittelt nebeneinander hergehen. Niemand wird
sich dem Eindruck entziehen können, daß einige große
Bilder von gründlicher Durchbildung sich entschieden
gegen die Menge anderer absetzen, in denen der idee-
loseste Naturalismus mit jener anspruchsvollen Hand-
fertigkeit des Skizzirens sich verbindet, die zeigt, daß
sie viel vermag, und sich ängstlich hütet, so viel
Gebrauch von diesem vermögen zu machen, daß schon
die Möglichkeit eines unmittelbaren Genusses für den
Beschauer zu befahren wäre. Man vergleiche nur
das Bild „Christus und die Hilger von Emmaus"
mit der dazu gehörigen Skizze! Diese ist in jenem
nicht wiederzuerkennen. Freilich die allgemeine An-
ordnung ist bewahrt. Aber sonst ist von dem, was
das Bild in hohem Grade werthvoll macht, nichts
zu spüren. Es ließe sich ja viel darüber reden, daß
diese modern-realistische Auffassung der Vorgänge
aus der evangelischen Geschichte immer in die Brüche
geräth und das Beste regelmäßig im Stoffe stecken
läßt. So ist hier das dumme Staunen ganz ver-
ständnißloser Menschen packend ausgedrückt. Aber
nichts von Liebe, nichts von Jubel, was doch in den
schlichten Worten der Erzählung ergreifend angedeutet
ist. Möglich, daß geschichtlich die Jünger Jesu richtig
so aufgefaßt werden. Aber für uns haben sie nur
den Werth, der durch spätere — nun, meinetwegen:
— Mythenbildung in sie hineingelegt worden ist.
Nicht minder als die wissenschaftlichen versuche zur
Rekonstruktion der wirklichen Thatsachen haben auch
die künstlerischen Darstellungsversuche dieser Art, wo-
fern sie von bedeutenden Ingenien ausgehen, viel
Bestechendes. So ist das Experiment — noch frap-
panter und gelungener in der durch ihre unver-
hohlene Dürftigkeit geradezu ergreifenden Geburt
Christi — von erstaunlicher Wirkung, den Nimbus
(Heiligenschein) auf natürliche weise, durch zufällige
Beleuchtungs - Effekte entstehen zu lassen... Das
Bannende in diesen Werken ist, daß das, was der
Künstler beabsichtigt hat, sicher und voll erreicht ist.
Nur eben der Absicht gegenüber kann auf Widerspruch
meist nicht ganz verzichtet werden; meist sogar auch,
wo es sich um weniger subtile Gegenstände als in
den genannten beiden Bildern handelt. So ist der
Ausdruck der beschämt und reuig niedersehenden Zofe,
der die Dame am „grünen Kamin" — wie man
sagt — die Leviten liest, vortrefflich, diese Letztere
aber ganz oberflächlich. In den beiden „weiblichen
Akten" sind die Formen, wenn auch etwas allgemein,
doch gut, und sogar durch ein psychologisches Moment
höheres Leben und tieferes Interesse in den Stoff
gekommen. Aber was ist das für eine Stoffbe-
zeichnung?! Namentlich für eine Haut?! Ein vor-
zügliches Bild geben „die Lootsen" ab; aber man
möchte so eine Szene ein „geistiges Stillleben" nennen.
Das trifft auch anderwärts zu.

vielleicht das Alles in Allem erfreulichste Bild,
aber auch kaum im Charakter der ganzen Melchers-
schen Kunst ist die „Stickerin". Das ist sogar eine
Persönlichkeit, mit der man sich befreunden könnte;
und das — ist bei Melchers unerhört, was setzt er
namentlich für Kinder in die Welt! Ich habe
allerdings die stupide Gleichgültigkeit, mit der das
Baby den „Kuß" der Mutter (Nr. 856) in Empfang
nimmt, enthusiastisch bewundern hören: so theil-
nahmlos sind solche Kinder. Aber sind das die
Kinder, die es der Mühe lohnt zu malen?! wir
sind da in eine geradezu fürchterliche Richtung hinein-
gerathen. Die Zumuthung oder gar der Verdacht,
daß etwas bei ihm „schön" sein könnte, versetzt so
einen waschecht „modernen" Künstler in konvulsivische
Zuckungen, wenn nicht in Tobsuchts-Anfälle: ferne
sei von ihm solche „veraltete" Kunst mit ihrer „Süß-
lichkeit". Und es giebt ein gedankenloses Publikum,
das sich diese anmuthfeindliche Tendenz allen Ernstes
ausschwatzen läßt und sich Wunders wie groß in
seiner Kunst-Askese, in seiner künstlerischen Selbst-
reinigung vorkommt. „Denken Sie denn, daß ich
einen Genuß haben will, wenn ich Musik höre?"
— donnerte am Ende eines langen Streites ein
glaubensstarker Wagnerianer in Bayreuth (876 bei
der ersten Aufführung des „Ringes" seinen Gegner-
nieder. Nun möchte ich aber doch wirklich in aller
Welt wissen, wozu man die Wirklichkeit mit den er-
staunlichsten Schwierigkeiten nachmachen sollte, wenn
es Einen: keinen Genuß verschaffen sollte! Der Un-
annehmlichkeiten des Daseins hat man doch wahrlich
ohne künstliche und künstlerische Nachhülfe mehr als
genug. Ich bin aber von der Ehrlichkeit solches
Schönheits-Hasses nicht überzeugt. Schönheit ist einfach
schwerer eigenartig und interessant zu gestalten als
ihr Gegentheil, dessen Modelle auf allen Gassen
schaarenweise umherlaufen; und — es genügt unseren
„modernen" Künstlern nicht; objekiv zu wirken, em
Werk zu schaffen; es kommt ihnen darauf an, sub-
jektiv zu wirken, mit ihrer Herson zu glänzen.
Daher diese prunkende und protzende Ausspielung
der Technik, die aufdringliche Behelligung des zum
Genießei: Gekommenen mit dei: gleichgültigen unter-
geordneten Kniffen und Mätzchen des Handwerks,
vielleicht der originellste und größte Künstler unserer
Zeit, den selbst die Allermodernsten trotz seiner 85Jahre
noch nicht ganz zum alten Eisen zu werfe,: wagen,
— Adolf Menzel fuhr einmal ganz ergrimmt auf:
„Reden Sie mir nicht von Technik! Es giebt keine
Technik!" Da scheint also diese Auffassung eine ganz
leidliche künstlerisch-fachmännische Autorität für sich
zu haben und keine bloße Grille der „Kunstschreiber"
zu sein! — Eine glänzende Seite der Melchersschen
Kunst, aber auch mehr imposant als eigentlich er-
freulich, ist das Bildniß. Ls bekommt unter seiner
Hand freilich leicht etwas Stupides oder Brutales
oder ein Gemisch von Beiden:, so daß nur eine ganz
 
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