Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

DOI issue:
Nummer 2
DOI article:
Die künstlerische Erziehung der Jugend
DOI article:
Gustav, Leopold: Das neue Bayerische Nationalmuseum
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0031

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 2

Die Aun st-Halle

Kunstwerkes fähig, mag dieses nun ein naturalistisches,
sich eng an die Natur anschließendes sein, oder mag
es diese vom Idealismus geläutert und groß dar-
stellen. Darin besteht das Wesen der Kongenialität.
Aus dem Kunstwerk schaut eben soviel Geist heraus
wie hinein. Auf die große Menge macht es nur
einen oberflächlichen Gefühlseindruck oder berichtet
ihr nur Thatsachen. Und unter den Gebildeten
täuscht oft genug archäologisches und kunstgeschicht-
liches Wissen über wahres Kunstverständniß hinweg.
Lin Beispiel: Ich bewundere in der Nationalgalerie
ein kleines Landschaftsgemälde aus Besigheim von
Schönleber und habe daran einen ästhetischen Genuß,
nicht etwa ein geographisches, kulturgeschichtliches
oder sonstiges Interesse. Ich fühle die Meisterschaft,
mit welcher die Stimmung eines warmen Spät-
sommermorgens um die zehnte Stunde dichterisch
vorgetragen ist. Der beste Theil des Genusses würde
mir entgehen, wenn ich die Beleuchtungserscheinungen
am Himmel, Baum und Strauch, auf dem Wasser,
den Dächern der Häuser in der Nähe und in der
Ferne im Kopfe, die ganze Naturstimmung nicht er-
lebt und gefühlt hätte. Nun erfreut mich die Kunst
des Meisters, die es verstanden hat, mir diese Laune
der Natur durch eine geistreiche Interpretation zu
offenbaren. Der wahre Kunstgenuß ist die Freude
am Können eines Mitmenschen, an der Gestaltungs-
kraft des menschlichen Geistes. . . .
Der vertiefte Umgang mit Form und Farbe in
Natur und Kunst führt nothwendig zu einem Urtheil
in ästhetischen Dingen. Der Schüler lernt das Edle
von dem Unedlen, das Feine von dem Groben, das
Echte von dem Unechten unterscheiden; ihm geht ein
Verständniß für die Beziehungen zwischen Zweck und
Form auf; es bildet sich ein Stilgefühl und ein be-
wußtes ästhetisches Urtheil. Dieses kann nimmer in
dem Maße durch bloße Anschauungsübungen und
Kunstgeschichte wie durch praktische Uebungen im
Nachbilden hervorgerufen werden. Selbstredend muß
eine wohlgeleitete Uebung im Betrachten und Beur-
theilen von Kunstwerken nebenher gehen, um das
ästhetische Urtheil zu vertiefen, zu läutern, zu be-
gründen und dem Geschmack einen gewissen Grad
von Universalität zu verleihen.
An sich ist dieser Theil der ästhetischen Bildung
bedeutsam genug für die Erziehung des Individuums
und der Nation, um mit besonderer Sorgfalt gepflegt
zu werden. Er wird aber besonders nützlich in seiner
geheimen Wirkung auf das gesammte ästhetische
Empfinden und Urtheil. Ich möchte die Aefthetik
der bildenden Kunst die erste Stufe des Geschmacks
im Allgemeinen nennen, denn sie stützt sich auf die
unmittelbare sinnliche Anschauung. Es ist daher ganz
natürlich, daß dem verständniß für die abstrakte
Gedankenschönheit dasjenige für die anschauliche
voraufgehen müsse, wie abstrakte Begriffe in der
realen Welt wurzeln. Wer die handgreifliche Form
versteht, der ist schon auf halbem Wege, eine Ge-
dankenform begreifen zu können. Wer ein Werk der
bildenden Kunst zu interpretiren vermag, dem wird
es nicht schwer, die Sprache des Dichters zu fassen,
mit dem geistigen Auge seine Visionen zu erschauen,
seine Gebilde nachzukonstruiren. Auch in dieser
Beziehung „hilft das Zeichnen dem Dichtungsver-
mögen auf", wenn auch nur dem nachempfindenden
und rezeptiven.
Auf eine Wirkung des Zeichnens möchte ich
noch besonders Hinweisen, die, soviel bekannt, noch
nie in das rechte Licht gestellt worden, die aber von

2s

hervorragender Bedeutung für die formale Bildung
ist — ich meine den Einfluß der bildenden Kunst-
thätigkeit auf das Kunstvermögen im allgemeinen
d. h. die Fähigkeit für die Darstellung im weitesten
Sinne, das eigentliche Können im Gegensätze zum
Wissen. Die Kunst in diesem Sinne ist überall da,
wo uns eine reiche Kenntniß des Lebens und der
Natur in einer packenden zielbewußten Form, wenn
auch vereinfachend und verklärend mitgetheilt wird.
Das spezifisch Künstlerische ist die Formgestaltung,
der Vortrag, das Ringen nach einer zweckmäßigen
Einkleidung des Gehaltes in eine Form, so daß
sich beide voll durchdringen und zu einer Einheit
verschmelzen.
Und nun behaupte ich, daß die bildende Kunst-
übung die Methode der Formgebung, des Vortrags,
des Stils wesentlich zu fördern geeignet ist, wie kein
anderes Mittel, denn die bildende Kunst hat die An-
schaulichkeit für sich. Die Erwerbung einer guten
Darstellungsmethode ist für die allgemeine Bildung
von höchster Bedeutung, und alle Mittel hierfür
müssen der Schule willkommen sein; es handelt sich
um das Höchste, was der Mensch überhaupt leisten
kann. Der Philologe, der Lehrer des Deutschen
dürfte daher in dem Zeichen- und Kunstunterricht
eine wirksame Unterstützung und nicht, wie es that-
sächlich oft genug geschieht, ein Hinderniß seiner Be-
strebungen erblicken. Es ist der Unterricht, dessen
Idealismus vorschwebt, von wahrhaft humanistischer
Art und Wirkung."
8^
Vas neue kMMcbe National-
museum.
von Leopold Gustav.

in 29. September ist der Neubau des Museums
durch den Prinzregenten in einem Festakte ein-
geweiht worden. Jenes Museum in der Maximilianstraße,
das einst König Mar II. „seinem Volke zu Ehr' und Vor-
bild" geschaffen hatte, genügte schon wenige Jahre nach
seiner Errichtung räumlich nicht mehr. Nachdem im Jahre
r.892 der plan eines Neubaues sich auch im bayerischen
Landtage die nöthige Geltung verschafft hatte, ging aus
einer damals unter Münchener Architekten ausgeschriebenen
Konkurrenz der Entwurf Gabriel Seidls siegreich hervor,
worauf dann im Herbst ;89-f die Grundsteinlegung erfolgte.
Für diesen Neubau in der Prinzregentenstraße erscheint
schon die Wahl des Platzes äußerst glücklich. Die sich am
Saum des englischen Gartens hinziehende breite Straße ist
wohl geeigneter für den Grt und die Betrachtung dieser
Kunstschätze als die frühere Nähe des lebhaftesten Verkehrs.
Noch bei den jüngsten Bauten dieser Art, z. B. in
Wien, lag es den Stiftern am meisten daran, ein palast-
artiges Museum von äußerlicher Repräsentation zu schaffen.
Hier wurden die Alterthumsschätze, so gut oder so schlecht
es ging, hineingestellt. Seidl hat mit diesem System völlig
gebrochen. Ihm galt es, einen den Sammlungen gemäßen
Rahmen zu schaffen. Die Außenseite war ihm nicht die
Hauptsache, sondern die Innendekoration und es gelang ihm,
diesen Gedenken, den schon der erste Konservator von
Aretin seiner Zeit mit seinen bescheidenen Mittel zur Aus-
führung zu bringen versucht hatte, nun völlig zur That
 
Annotationen