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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 7
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Galland, Georg: Die künstlerische Hebung der Frauentracht
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0118

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98

-—-4- Die A u n st - H a l l e

Ur. ?

haben freilich die Ausstellung selbst nicht gesehen,
aber nacb dem Inhalt des Vortrags zn schließen,
dürfte die van de Veldesche Wunderverrichtung auf
kostümlichem Gebiete nicht allzu wörtlich zu nehmen
sein. Um so überschwänglicher benrtbeilt freilich der
Vortragende seine Neuheit, die ihm nicht weniger und
nicht mehr als die Höhe des heutigen Kunstschaffens
überhaupt vergegenwärtigt.
Gleich zu Anfang heißt es: „Erst in neuester
Zeit (?) sind die Künstler zum Bewußtsein ihrer
wahren Aufgabe gelangt. Sie haben erkannt, daß,
wenn sie die Schönheit nur in Gemälden und Monu-
mentalstatuen darstellen, sie weite Gebiete vernach-
lässigen, die so mannigfaltig und fruchtbar sind wie
das Leben selbst . . . Das Gebiet der Kleidung
schien uns unendlich weit abzuliegen von der Kunst,
und wir hatten uns an den Gedanken gewöhnt, daß
die Kluft zwischen beiden niemals überbrückt werden
würde. Hierin irrten wir . . . Die Zeit, in der wir
leben, ist in der That beneidenswerth Ich denke
oft mit Schaudern daran, daß ich etwa (830 hätte
leben können! Sie erwidern mir vielleicht, daß, da
ich im Jahre (900 m der vordersten Neihe der Mit-
kämpfer für diese Renaissance stehe, ich sie auch
(830 hätte Hervorrufen können ..." Ulan ersieht,
daß Herr van de Velde sich sehr eng an den be-
rühmten Götheschen Ausspruch von der Bescheidenheit
der Lumpe hält, und dann, wie in ihm zwar ein
Gefühl der Hochachtung vor der alten Kunst lebt,
dagegen das Gegentheil von Achtung für das
Schaffen seit (830, obwohl die Chronologie der mo-
dernen Kunstentwicklung sicherlich lange vor (890
und seinem „epochalen" Auftreten als Dekorateur
für die Uebrigen beginnt.
Ulit Recht kämpft er gegen die Tyrannei der
Kleidermode und deren wechselvollen Häßlichkeiten.
Doch thut er gut daran hinzuzufügen: Die Künstler
sind von jeher Gegner der Ulode gewesen. Wir
haben schon in zwei Heften dieser Zeitschrift, Nr. (2
und (3 des vorigen Jahrgangs, ausgeführt, wie die
gesammte historische Porträtkunst fast ununterbrochen
an der Veredelung der kostümlichen Tagesmoden
gearbeitet hat. van de Velde unterscheidet zwischen
jenen älteren „Moden" und denen seit ca. (8^0.
„Bis zum Ende des (8. Jahrhunderts erfolgten die
Aenderungen in der Kleidung nach überkommenen
Gesetzen, und diese Aenderungen trugen ihre Logik
in sich; sie behielten Geltung für eine ganze Epoche.
Die Zeiten der Revolution, des Direktoriums, des
Empire hatten jede ihren eigenen Ausdruck in der
Kleidung, den man nur sehr uneigentlich als „Mode"
bezeichnen dürfte. Die Merkmale der heutigen Mode
sind der Kostümgeschichte erst seit einem halben Jahr-
hundert eigenthümlich. Seit ungefähr (8^0 ist die
Mode eine wiederkehrende Aufreizung gewesen, die
Kleider zu erneuern. Trotz ihrer Neuerungssucht
kommt sie aber nicht vom Fleck: alle Aenderungen

beschränken sich darauf zu bestimmen, ob das Kleid
weit oder eng sein soll, ob es mit Volants oder
Fältchen besetzt sein soll und so weiter. Diese er-
bärmlichen Kleinigkeiten sind von den schlauen und
eigennützigen Fachleuten so ausgebildet worden, daß
sie geradezu die Hauptrolle spielen.
Das ist fa Alles so richtig wie bekannt, und uni
es auszusprechen, bedurfte es nicht erst des Mundes
des Brüsseler Meisters. Nur war der Wechsel der,
Mode wohl nicht lediglich der weiblichen Kleiderfrage
eigenthümlich gewesen, sondern z. B. auch der Archi-
tektur, die doch in derselben Zeit eine Revue aller
historischen Stile gab. Erklären sich aber wirklich
jene modernen Verhältnisse erschöpfend aus dem an-
geblichen „Mangel an Geschmack", oder aus der
„Zerrüttung der Persönlichkeit"? Waren früher die
künstlichen Verhältnisse wirklich stets ganz einheitlich
gestaltet, wie man es so oft behauptet? Oder er-
klärt sich diese wunderbare Einheitlichkeit — die
gleich dem Lichte der Himmelskörper wohlthuend
auf unsere irdische Vielartigkeit herableuchtet
vielleicht nur aus unserem entfernten Standpunkt zu
den früheren Jahrhunderten, in welchen doch z. B.
Reifrock, Mieder, gewisse Kopfputzmoden und Frisuren
wiederholt aufkamen und wieder verschwanden? Wer
nach alten gut erhaltenen Städten der Niederlande
geht, wird dort bei näherem Hinschauen unschwer
erkennen, daß z. B. im (7. Jahrhundert noch
manchmal gotbisch gebaut wurde, lieben Barock,
Klassizismus, Hoch- und Frührenaissance. Mo steckt
da die gerühmte Einheitlichkeit? Es ist so wohlfeil,
die künstlerische Planlosigkeit des letzten Jahrhunderts
gegen die idealen Kunstverhältnisse der älteren Ver-
gangenheit auszuspielen. Um dann, wie Henry van
de Velde, mit komischer Grandezza hinzuzufügen: diese
Planlosigkeit dauerte „in dem Zeiträume von der
Restauration bis zu dein Augenblicke, da die
jetzige Renaissance aufkam, d. h. bis zum Jahre
(892." Der Brüsseler Herr war nämlicb selbst der
äeu2 ex nnmlnim, der Alles im Nu zum Besten ge
wendet hat. So geschehen im Jahre des
Heiles (892!
„Seit (89O", so wird des Weiteren ausgeführt,
„hat die Frauentracht nur in phantastischer Weise
umhergetappt. Der Höhepunkt ihrer Vernunft
Widrigkeit und ihres Mangels an Zusammenhang
erreichte sie im Jahre (890, als nicht mehr zu er-
kennen war, wie sie gemacht war. Jede Spur von
Nähten war verschwunden, sie bekannte ihre Aus
führungsmittel ebenso wenig wie das Buffet, die
Lampe, wovon wir sprachen. Man sollte meinen,
sie wäre mit etwas ganz Anderem gemacht worden,
als mit Nadel und Garn. Man staunte die „fran-
zösische Virtuosität" aii, die es fertig brachte, aus
tausend Kleinigkeiten ein Kleid zu machen.. Diese
Kleinigkeiten hängen zusammen, aber man weiß nicht
wie und wo, sie umhüllen irgend etwas, aber man
 
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