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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 8
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Galland, Georg: Die künstlerische Hebung der Frauentracht
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0136

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Die Kunst-Hal le -r-

Nr. 8


8iii6 c^ua non nützen? wird man nicht umhin können
zu fragen.
Den an seinem „genialen" Heilmittel vielleicht
Zweifelnden versucht er alsbald durch einen wissen-
schaftlichen Ausblick Trost zu gewähren. „Dor einigen
Zähren", so heißt es, „kam George W. Darwin,
der Sohn Tharles Darwins, auf den Gedanken, die
Evolutionstheorie (Entwicklungstheorie), die sein
Vater begründet hatte, auch auf die Kleidung anzu-
wenden. Seine Forschungen führen uns von einer
Entdeckung zur anderen, und diese Entdeckungen find
ebenso beweiskräftig, wie diejenigen, die Tharles
Darwin zu seinen Schlußfolgerungen über die Ab-
stammung der Arten und des Menschen führten."
Und was schrieb nun dieser kluge Sohn eines
klügeren Vaters schon im Zahre (872: Die Ent-
wickelungsgeschichte der Kleidung bietet eine große
Aehnlichkeit mit derjenigen der Organismen dar,
wie sie durch die moderne Theorie der Abstammung
erklärt worden ist. Die Kleidung ist den Gesetzen
des Fortschrittes unterworfen, und die Moden folgen
einander mit konstanter Regelmäßigkeit. Zn beiden
Fällen wird die eine Form durch eine andere ab-
gelöst, die den Bedingungen der neuen Zeitverhält-
nisse besser entspricht . . . Ganz gewiß, wenn auch
grade nichts Neues, werden unsere Leser meinen
Darwin junior stellt sodann fest, „wie die Elemente
allmälig schwinden, die in Folge der Blenderungen
unserer Lebensverhältnisse unnütz geworden sind."
Führen wir als Beispiele nur an: Galanteriedegen
und Krinoline . . . Sehr wahr, aber auch nichts
Neues! Darwin junior vergleicht ferner die neue
Erfindung mit einer Veränderung im thierischen
Leben. Das wäre wohl nur sehr verklausulirt
richtig, denn auch das „Kri-Kri", „die Ninger" und
das sterbende Gummischweinchen wurden der lau-
schenden Mitwelt als neue Erfindungen vorgeführt.
„Die Erfindungen und Veränderungen, die nicht
wirklich nützlich sind, verschwinden, und diejenigen,
die sich bewähren, werden durch die natürliche Aus-
wahl als neue Theile den Lebensverhältnissen ein-
verleibt. Als Erfindungen auf dem Gebiete der
Kleidung nennt er u. a. den Ulster und den
Gummimantel, die durch die heutigen Verkehrs-
einrichtungen hervorgerufen wurden."
Wenn Ulster und Gummimantel wirklich die
großartigen kostümlicben Erfindungen der Neuzeit
sind, so kann man nur sagen, daß diese Stücke ver-
teufelt wenig für die künstlerische Hebung der
Frauentracht vermocht haben. Zm Gegentheil! wie
denn überhaupt der ganze gelehrte Exkurs auf dem
klapprigen Steckenpferde des jüngern Darwin augen-
scheinlich nur dazu dienen soll, von dem eigentlichen
Thema, dem Problem, das der Brüsseler Herr
bereits gelöst haben will, abzulenken. Eine Tar-
tuferie ohne gleichen! wenn George Darwin die
Entwickelung der Kleidung wirklich auf menschliche

Neuerungssucht und die menschliche Schwäche, das
jeweilig Gefallende möglichst zu übertreiben, zurück-
führt, dann scheint er uns noch mehr ein Apologet
der Moden als der Schutzpatron für jene parforcekur,
die van de Velde den Bekleidungskünstlern zunächst
empfiehlt.
Gegen Ende des Vortrags scheint sich der Autor
wieder auf sein eigentliches Thema zu besinnen.
Aber statt nun sein Versprechen einzulösen und zu
sagen, wie man's machen soll, verfällt er abermals
in die Zukunftsform und wiederholt immer von
Neuem, daß wir Modernen anders gestellt sind als
„unsere Väter". . . Sollte dies Niemand außer Herrn
van de Velde gewußt haben? wir müssen, räth
er, unsere Kleidung mit unsern Lebensbedingungen
in Einklang bringen. . . . Sollte auch das bisher
noch kein Mensch beachtet haben: weder die Salon-
dame noch die Kontoristin, weder die Kokotte noch
die Fabrikarbeiterin? „Natürlich müssen nicht alle
Kostüme im Hinblick auf das Nad- oder Automobil-
fahren entworfen und noch weniger zu dem Zweck
gearbeitet sein, in Fabriken oder Maschinenräumen
umherzugehen", setzt Herr van den Velde seine weisen
Lehren fort. Natürlich wird ihm das kein Ver-
nünftiger bestreiten wollen. Alles, heißt es weiter,
kommt auf die Entdeckung des „richtigen allgemeinen
Konftruktionsprinzips der Kleidung" an, „das sich
dann auf ein Gesellschafts- oder Straßenkleid oder
auf einen Arbeits- oder Neiseanzug anwenden lassen
wird. Die Konstruktionsprinzipien für ein Bauern-
haus und für einen Dom find dieselben." Ganz ab-
gesehen davon, daß der letzte vergleich eine absolut
nichtssagende Phrase ist, bringt uns diese Theorie —
wie freilich alles klebrige — auch nicht um einen Schritt
näher zur Lösung des Problems. Die Entdeckung
des richtigen allgemeinen Konstruktionsprinzips der
Frauentracht dürfte übrigens schon seit den Zeiten der
alten Griechen bekannt sein, und wenn Herr van
de Velde davon nichts weiß, wird er schwerlich je
etwas Vernünftiges „entdecken" können. Ob denn
auch die glücklicheren Kleiderkünstler der gelobten
Vergangenheit jemals auf „Entdeckungen" ausge-
gangen find?
was der kühne Autor in seinen Betrachtungen
sich schließlich leistet, wächst stellenweise zur Höhe
eines geradezu grotesken Humors empor. Man
würdige nur folgende kleine Blüthenlese: „Zn der
Praxis wird es aber ebensoschwer halten, die For-
derung des Hervorhebens der Nähte eines
Kleides zu verwirklichen, wie es Mühe machte, in
unseren Häusern das Gebälk, an unseren Möbeln
die Verbindungen und Fugen, in den Metallgegen-
ständen Verschraubungen und Nieten zu zeigen."
„Von den sichtbaren Nähten erwarte ich die Auf-
richtigkeit rc." „Meine persönliche Meinung ist,
daß die abstrakte Ornamentik den Sieg davon
tragen wird." „wo der Künstler des Naturalismus
 
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