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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 8
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Meyer, Bruno; Jessen, Jarno [Mitarb.]: Berliner Kunstsalons
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0142

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f20 >—-4- Die Run st-Halle Nr. 8

seine klassizistische Romantik, die seinen gewohnten welt-
schmerzlichen Grundton in den dunklen Gluthen des Kolorits
ausklingen läßt. Er bleibt in seiner Auffassung stets der
Poet und Kavalier, verrätst jedoch in seiner Technik den
Bohemien. Linen Llou dieser Ausstellung bieten die Ar-
beiten des Ehepaares Adrian und Marian Stokes.
Sie zeigen, wie zwei ausübende Künstler in der Este
nebeneinander schaffen können, ohne von ihrer Ligenart
aufzugeben. Beide haben die Vorliebe für das Landschaft-
gebiet des Zuidersees und die Sorgfalt ihrer künstlerischen
Ausführung gemein. Während der Gatte dein Neer seine
Bildmotive ablauscht, erweist sich Frau Stokes als Psycho-
login des holländischen Landvolkes. Adrian Stokes,
ein Engländer, malt Streifen saftigerwiesen, rothe pütten-
dächer, wolkige Pimmel, Kanäle, Schiffe mit rostbraunen
Segeln und lichtgrünes Wasser. Seine Gattin ist die
eigenartigere Individualität. Sie hat sich eine besondere
Technik und besondere Motive erwählt. Als Tochter des
katholischen Süddeutschland haftet ihr religiöse Innigkeit
an, Iugenderinnerungen an Märchenstoffe begehren von
ihr Gestaltung, wie auch immer das wirkliche Leben sie zu
künstlerischem Nachbilden reizt. In ihren kleinen Bildern
zeigt sie eine technische Durchbildung, zeichnerische Feinheit
und koloristischen Sinn, der das Studium ihrer Kabinet-
stücke zu wahrem Genuß erhebt. Sie konstruirt sich selbst
den Kreidegrund für ihre Werke, und auf diese Unterlage
trägt sie ihre Temperafarben auf. Da es hier kein Fort-
wischen oder Abändern giebt, ist die Sicherheit und Vorsicht
ihrer Arbeit bewundernswert!). Nieo Iungmanns macht-
volle Persönlichkeit, die alten Meister, wie Memling, Na-
buse, van Eyck, Roger van der Weyden haben ihr vorge-
schwebt. Phantasie und Wirklichkeitssinn, Mystik und
Naturalismus bilden in ihr eine ganz köstliche Vereinigung,
sie ist ebenso altmeisterlich wie modern. Jedes ihrer
Bildchen in der stattlichen Kollektion bietet besondere Reize
bei eingehenden) Studium. Das „Todte Schwälbchen", das
„Thränenkrüglein", die „Betenden Kinder", „Lichtmesse"
sind durchseelte und sorgfältige Genreschöpfuugen, manche
mit dem Reiz einer mittelalterlichen Liebesgeschichte, wie
ihre symbolische „Ehrlichkeit" durch die mattgrauen, bläu-
lichen und silbrigen Töne einen künstlerisch hohen Genuß
bietet. Unter dein Schwall der vielen Nachahmer zeigt
sich in Marian Stokes eine ganz originelle und wegen
ihrer Anspruchslosigkeit besonders fesselnde Erscheinung.
Eine andere Künstlerin, Julie Wolfthorn, fordert eben-
falls mit mehreren Bildern unsere Aufmerksamkeit. Sie
zeigt sich als Porträtistin junger Mädchen und Kinder.
Auch in ihr äußert sich eine eigene Note psychologischen
Spürsinns. Sie erfaßt die Individualität eines gewissen
dekadenten, modernen Frauentyxus, wie den des frischen,
jungen Mädchens und des Kindes mit gleicher Schärfe.
Ihr Kolorit scheint allerdings von des Gedankens Blässe
angekränkelt. Wir wollen wünschen, daß ihr zeichnerischer
Ernst und ihre feine Auffassung sie vor künstlerischen
Irrwegen hüten mögen. Adam Kunz malt nur Stillleben,
doch sind sie durch die Ueppigkeit ihrer Farben und (Objekte
prunkhaften Stils. Der Lenbach-Schüler versteht es, durch
schwerbehangene Fruchtzweige, großblüthige, farbenleuchtende
Blumen, riesige Ananasse, Kürbisse, pasen, Truthühner
und große Kübel Gruppen zu schaffen. Er hat sich in die
alten Meister, die weenix und Segher hineingeschaut und
weiß Farbensymphonien zu stimmen und Lichteffekte mit
dem breiten Vorrrag der Vlämen, wie dem glatten der

alten Polländer herauszuholen. Lugen Urban beweist
an einigen Porträts das wichtigste Können des Porträtisten,
gut zu treffen, doch muß er bestrebt sein, gewisse pärten
des Vortrags und Unelcganz der Auffassung zu über-
winden. Der venetianer Zezzos erfreut durch das
feuchtmilde und doch frische Kolorit zweier anmuthiger
Genre-Aquarelle. Köstlich gelingt ihm der pumor des
Bildes „Keinen Pfennig", auf dem das Baby ein leeres
Portemonnaie offenbar weit tragischer auffaßt, als seine
reizende junge Mutter, von Karl Becker, dessen reiches
Künstlerleben soeben mit dem Erreichen des achtzigsten
Lebensjahres für alle, die ihm noch den Zoll ihrer Liebe
darbringen wollten, einen so jähen Abschluß fand, sind
eine Anzahl Studien und Gemälde aus den Jahren ^860
bis (8tzo zusammengestellt. Sie zeigen den Künstler im
Porträt und Anekdotenbild in dem reichen Farbenkonzert
seiner Palette, der Freude an malerischem Kostüm und an
dramatisch novellistischen Szenen. In dem „Studienkopf"
einer Italienerin schimmert der warme Goldton der
venetianer, während ein vornehmes Porträt von „Des
Künstlers Gattin" in seinen silbrigen Valeurs an fran-
zösische Meisterwerke erinnert. Unter den Plastiken wirkt
Carnevales „Bescheidenheit" sympathisch und weckt in
dem verschleierten Mädchenantlitz einen glücklichen Anklang
an die velata des genuesischen Campo Santo. Frau
Ladwallader Guild bewährt in ihrem anmuthreichen
„Lotus" ihre hohe Kunst, und „Der Fußballspieler" von
Eichler zeigt fleißiges anatomisches Studium. —
Auch für künstlerisches wirken gilt das Dichterwort:
Der Starke ist am mächtigsten allein. Daß manchmal die
Koalition eine Bemäntelung der Mittelmäßigkeit bezweckt,
kommt uns angesichts der Darbietungen der jungen Mün-
chener Künstlsrgruxpe „Bund", im Kunstsalon Fritz
Gur litt, in den Sinn. Ls macht den Eindruck, als ob
diese perren allerlei Realistisches, Stimmungsvolles und
Gedankenreiches mitzutheilen wünschen, was hilft aber der
gute Wille, wenn er sich nicht in Thaten umsetzt?
Unter den Werken, die ernsteres Streben nach tech-
nischer Gründlichkeit verrathen, steht der Kopf einer
„Oberbayerin" von pugo Noack obenan. In der Durch-
arbeitung der Gesichtsformen scheint das Vorbild Leibls
unverkennbar. Auf seiner saucigen Aktstudie „Finale" und
einem Landschaftsmotiv aus Bayern vermissen wir das
vorsichtige Nachschaffen der Wirklichkeit gänzlich. Ebenso
ungleich zeigt sich der Porträtist peinrich Moor. Während
ihm zuweilen eine gewisse Larrisresche Zartheit der Valeurs
glückt, ist er auf anderen Porträts schwer und unklar.
Wilhelm Stumpf ist der pathetiker der Gruppe. In seinen
Landschaftsbildern sucht er starke Stimmungen ausklingen
zu lassen, putzt sie mit balladesken Elementen auf. Den
„Ahasver" läßt er den endlosen Landweg neben grau-
grünlichem Gemäuer dahinschreiten, während der Sturm
über das Feld fegt. Technisch noch unsorgfältiger sind die
übrigen Bilder Stumpfs. Auch bei Emil Leonhardt haben
wir vorläufig nur versuche. Er pfuscht in Mel, sucht
Stimmung in der farbigen Radirung „Abend", ohne auf
Details Rücksicht zu nehmen, und beweist in den süd-
deutschen Volkstypen seiner Mriginal-Lithograxhien ehrliche
Naturwiedergabe. Derselbe Typ der Ungleichheit bei
Willy Mertel, während er in seinem „Luginsland" zur
Vermehrung von Kitsch beifteuert, und in dem Aquarell
 
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