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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 11
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Wirth, Robert: Zur Thier-Aesthetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0190

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4- Die Run st-Halle -4

Nr. ff

f62

der schweif. Bei einfarbigen Säugethieren tritt der
ästhetische Werth der Rörperform klarer hervor, als
bei gestreiften und gefleckten Arten- Längsstreifen hin-
wiederum sind schöner als - Ouerstreifen, weil die
Streifen in der Richtung der Hauptachse, in welcher
unser Blick der Rörpergestalt nachgeht, verlaufen
müssen. Das gestreifte oder gefleckte Thierfell ist
zudem, als Teppich ausgespannt, von größerer ästheti-
scher Wirkung, als wenn es sich als Umkleidung am
Rörper des Trägers selbst befindet.
Es sei mir gestattet, zu diesen Grundgedanken
einige Bemerkungen hinzuzufügen.
Aesthetische Betrachtungen über Thiere erscheinen
heutzutage gar Manchem überflüssig, wenn nicht gar
altmodisch, oder für den Ruf des Aesthetikers bedenklich:
soll doch der Mensch überhaupt kein Splitterrichter
sein in Dingen, die gar nicht menschliches Produkt
sind, kein Weltverbesserer, denn er kommt mit seiner
Rritik über schön und unschön gegenüber Natur-
geschöpfen doch immer zu spät und kann nie gehört
werden. So sind Urtheile wie: Das Thier ist plump,
oder: Die Verhältnisse seines Baues sind ungefällig,
als unmittelbare Geschmacksäußerungen, besonders
wenn sie von vielen, ja Allen, gegeben werden, nicht
gerade abzuweisen, allein sie bringen uns in der Er-
kenntniß über das Wesen des Thieres um keinen
Schritt weiter. A. v. Humboldt rief beim Anblick
des dreikralligen Faulthiers aus: „wie konnte die
Natur einen solchen Mißgriff thun!" Da wir Menschen
allerdings durch uns selbst an fünffingrige
Bildungen von Hand und Fuß gewöhnt sind, so be-
wahrheiten solche Aussprüche den bekannten Satz des
alten Abderiten protagoras, daß der Maßstab aller
Dinge der Mensch sei. Da man aber neuerdings
den Menschen nicht mehr als Endzweck der Schöpfung
anzuerkennen vermag, so können auch seine Urtheile
über seine Mitwesen nicht länger als richterlich ent-
scheidend gelten. wenn es in der mosaischen
Schöpfungsgeschichte heißt, Jahve habe nach der
Erschaffung von Thieren aller Art gesehen, „daß es
gut war", wenn dagegen — um in die Gegenwart
überzuspringen — Fr. Theod. Vischer die Thiere
unsere armen, zurückgebliebenen Brüder nennt, die
leider das Examen zum Menschen nicht hätten bestehen
können (!), wenn ferner Stuart Mill behauptet, die
Beschaffenheit der Natur beweise, daß Gott, falls er
überhaupt sei, entweder nicht allmächtig, oder nicht
allweise sein könne, wenn dagegen Hegel predigt,
Alles was ist, sei vernünftig, so beweisen solche
Aeußerungen nur, daß man einst und jetzt über Gut
und Schlecht in der Natur wie große Rinder urtheilte.
Doch bleiben wir auf dem Gebiete der Aesthetik.
Möbius behauptet z. B., der Maulwurf sei häßlich,
weil er eine abgerundete Walze ohne deutliche Glie-
derung von Ropf, Hals und Rumpf darstelle. So
sagt ein Professor oder ein Rünstler, wie würde aber
ein Bergingenieur sagen? „Der Röcxer des Maul.

wurfr ist ein echter Bohrmechanismus, er ist sehr
praktisch für einen Stollenscharrer, die Walzenform
ist für die Lebensart des Thieres eine Nothwendigkeit."
Bei den Thieren bedeutet die Einsicht in die An-
passung seiner Struktur an seine Lebensweise ein
verzeihen seiner „Häßlichkeit", vom Felle der ge-
fleckten Felinen, Pantherkatzen, sagt Möbius, wie
schon oben berührt, daß diese Fellzeichnung den Blick
des Beschauers mehr auf sich ziehe, als sie es wegen
ihrer physiologischen Bedeutung verdiene, sie lenke
das Auge — M. sagt sogar „störend" — von der
bedeutsamen Form des Ganzthieres ab. wie sagt
dagegen der Urwaldjäger? „Ist mir die Bestie von
einem Leoparden wieder entwischt! Denn sie hat nur
durch ihr „Rosenfell" ein Spiel der Sonnenstrahlen
und den kreisförmigen Schatten der Blätter vorge-
täuscht!" Wenn hier kein Jägerlatein vorliegt, so ist
also das Fleckenfell eine erhaltungsmäßige Ausstattung
des Thieres und die ästhetische Betrachtung desselben
hätte als menschlich kurzsichtig zu schweigen, da es
im Rampfe ums „Dableiben" dem Träger ein Schutz-
mittel wäre.
Lassen wir indessen auch dem Rünstler sein Recht
in der Betrachtung des Thieres, die eine andere ist,
als die des Zoologen. Das Tbier ist durchsichtig in
seinen Empfindungen und aufrichtig in allen seinen
Bewegungen und natürlich, so daß es schon zeich-
nerisch einen höchst anziehenden, wenn auch zufolge
seiner Widerspenstigkeit für „Sitzungen" einen höchst
schwierigen Gegenstand bildet. Auch auf dem Ge-
biete der Thiermalerei hat sich neuerdings ein
Spezialistenthum zum Vortheile sicherlich der Runst
entwickelt. Jul. Adam malt Ratzen, Braith Rälber,
Gebler Schafe, Grässel Enten, Friese und Ruhnert
malen wüstenthiere, Rröner und Recknagel Rothwild,
H. Junker und Max pitzner Pferde u. s. w. In der
Thiermalerei stellen wir die Naturtreue am höchsten,
falls nicht das Thier stilisirt werden soll als Symbol
einer menschlichen oder gar göttlichen Eigenschaft oder
zur Verwendung im Ornament.
An der Spitze derjenigen Vierfüßer, deren Dar-
stellung dem Rünstler von jeher am nächsten lag,
steht das Pferd, das Muster unter den Einhufern,
welches im arabischen Vollblut sein elastisches Ideal
leiblich und geistig erreicht. In der Vorliebe für
dieses Geschöpf hatte es der englische Thiermaler
Georg Stubbs so weit gebracht, daß er eine Ana-
tomie des Pferdes in anerkannter Wissenschaftlichkeit
verfassen konnte, während man früher, falls das
Pferd nicht bloß landwirthschaftliche Staffage bedeuten
sollte, oder im Schlachtgetümmel auftrat, junge und
temperamentvolle Exemplare malte, sucht man jetzt
auch alte Arbeitsthiere als solche in ihrer dekrepiten
Verfassung wiederzugeben, namentlich scheint der
„alte Schimmel" eine beliebte Aktfigur werden zu
wollen. Es ist unverkennbar, daß die Armeleutmalerei
auch bis zu einem gewissen Grade die Armethier-
 
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