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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 12
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Rücklin, R.: Eine amerikanische Zeichenlehrmethode
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0213

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Nr. f2

Die Aun st-Halle

s83

wandten Dienerin des 2luges zu machen. Dem-
gemäß läßt er den Unterricht seiner Schüler damit
beginnen, daß diese einfache gebogene Linien und
Figuren, Kreise, Ellipsen, Spiralen, Schleifen rc.,
freihändig, ohne Vorlagen und ohne streng an einen
bestimmten Maaßstab gebunden zu sein, zeichnen,
und zwar so oft wiederholt, bis es ihnen gelingt, die
Figur tadellos zu ziehen. Ich sage absichtlich, zu
„ziehen" anstatt zeichnen, denn das ist gerade das
Charakteristische bei Tadd, daß er ein großzügiges
Linienziehen mit frei schwingender Hand, ohne die
Benutzung irgend eines Korrektur- oder Hülfsmittels,
verlangt und daß er dies sortsetzen läßt, bis die
Schüler ihre Ausgabe mit mechanischer Sicherheit
beherrschen. Wahrhaft erquickend ist es, wie der
Autor in seinem Werke immer und immer wieder
daraus zurückkommt, daß der Elementarzeichenunter-
richt nicht korrektes und genaues Arbeiten zu pflegen,
sondern eine leichte und gewandte Hand zu erzielen
habe, damit diese im Stande sei, die ihm vom Auge
gegebenen Intentionen auszusühren. lleberaus
treffend erscheint mir seine Vergleichung des Zeichen-
unterrichts nut dem Schreibunterricht, und seine
Forderung, daß jeder Schüler seinen Zeichenstift
ebenso gewandt und fließend zu handhaben verstehe,
wie seine Schreibfeder. Er nennt das Zeichnen
schlechtweg eine „Bilderschrift" und stellt es als
Aufgabe des Zeichenunterrichtes hin, den Schüler-
fähig zu machen, sich in dieser Schrift auszudrücken,
ebenso wie es Aufgabe des Schreibunterrichtes sei,
Schreiben zu lernen und nicht nur die einzelnen
Buchstaben kennen und nachmalen zu lernen. Als
eine naturgemäße Folgerung dieser Methode ergiebt
sich, daß für eine erfolgreiche Theilnahme an einem
solchen Zeichenunterricht so wenig ein besonderes Talent
vorausgesetzt werden muß, als zum Schreibenlernen.
Das Prinzip dieser ersten Nebungen, nämlich
das Auswendiglernen einer Form, bezw. ihr aus-
wendiges Wiedergeben, zieht sich durch die ganze
Methode Tadds hindurch, und man muß gestehen,
daß dies jede nur wünschenswerthe Garantie dafür
bietet, daß der Schüler von seinen: Unterricht auch
wirklich Nutzen gezogen und persönliches Eigenthum
davon getragen hat. Daran schließen sich jeweils
Uebungen im selbstständigen Zusammenstellen neuer
Formen an; so entstehen einfache Wiederholungs-
ornamente, Nosettenmuster u. s. w., alles stets frei-
händig gezeichnet, wobei stets auf den „Zug der
Hand" der Hauptwerth gelegt wird.
Wie schon Eingangs erwähnt, ist der Anfangs -
theil des Werkes, in welchen: die soeben angeführten
Prinzipien klar und scharf dargelegt und in ihrer
Anwendung erläutert werden, ohne Frage der be-
deutendste. Ich verzichte daher auch darauf, aus
dem weiteren Inhalte etwas anzuführen, und ver-
weise jeden, der sich des Näheren dafür interessirt,
auf das Studium des Buches selbst, das niemand
unbefriedigt aus der Hand legen wird. Nur noch
einige prinzipiellen Anmerkungen zu den: vorgebrachten
seien gestattet.
So wenig wie sonstwo in: Leben, wird es im
Bereich des Zeichen- bezw. Kunstunterrichtes möglich
sein, eine Lehrtheorie aufzustellen, welche ohne Nest
in der Praxis aufginge, wenn also Tadd seine
Schüler eine einzelne Form so lange üben und wieder-
holen läßt, bis sie fließend und fehlerfrei gezeichnet
werden kann, so wird das weder für jedes einzelne
Schülerexemplar, noch für jede Form oder jeden
Zweig des künstlerischen Unterrichtes so glattweg

durchgeführt werden können. Das ist auch weder
nothwendig, noch beabsichtigt. Aber das ganze
Arbeitsprinzip, erst übend zu studiren, dann selbst-
ständig Neues zu schaffen, ist so echt künstlerisch, und
der Gedanke, es auf den Elementarunterricht anzu-
wenden, ist so — befreiend, möchte ich sagen, daß er
gar nicht warm genug begrüßt werden kann. Wir
dürfen ja wohl sagen, daß in den letzten Jahrzehnten
unser gesammter Zeichenunterricht eine bedeutsame
Auffrischung und Neubelebung erfahren hat. von
den: plan- und gedankenlolen vorlagenkopiren, wie
es in unserer Jugend betrieben wurde, ist unsere
nachwachsende Generation denn doch verschont. Sie
kann wenigstens sehen, was der Zeichenunterricht
will und wo er hinaus soll. Das Interesse an dem-
selben ist denn auch gegenwärtig größer als je vor-
her; aber die Erfolge sind unbefriedigend, sagen wir
es gerade heraus. Es ist denn doch nicht nur und
ausschließlich philologischer Unverstand, der die An-
schauung aufrecht erhält, als sei unser Zeichenunter-
richt etwas, das den sonstigen Lehrsächern einer Lehr-
anstalt nicht so recht ebenbürtig wäre. Es ist doch
wohl einigermaßen dabei das Gefühl betheiligt, daß
die Zeichenstunde so etwas wie ein Zwitterding ist,
ein Mittelding zwischen Unterricht und Kunstübung.
Es ist Unterricht, denn der Schüler ist hülflos ohne
den Zeichenlehrer; und dann ist es wieder etwas wie
Kunstübung, denn jedes Stück Arbeit des Schülers
soll fertig und ausstellungsfähig werden. Das giebt
den: Ganzen etwas Gequältes, etwas Unklares und
Gemachtes. Und der Schüler wird durch diese Art
künstlerischen Schaffens, wie er es in der Schule zu
betreiben hat, mehr vom Privatstudium abgehalten,
als dazu angespornt. Er weiß es nicht anders, als
daß man eben an einer Ausgabe so lange mit Wischen
und Aendern sich herumquält, bis der Lehrer kommt
und die Sache ins Blei bringt. Wie man diese Auf-
gabe durch Studiren und Ueben selber bezwingt,
davon wird ihm nie etwas gesagt.
Allerdings kann man das eigentlich gar nicht
sagen; das muß man zeigen. Es ist des Lehrers
Sache, seine Mitarbeit so einzurichten, daß der Schüler
nicht nur sieht, wie weit man fortschreiten kann,
sondern daß ihn: auch klar wird, wie inan Fortschritte
macht. Mit andern Worten, man muß ihn lehren,
wie man Studien macht. Das ist tausendmal wichtiger,
als die Fähigkeit, eine saubere und korrekte Zeichnung,
gleichviel auf welche Weise und in welcher Zeit, zu-
rechtzuarbeiten. Wer die Handfertigkeit besitzt, eine
brauchbare Skizze nach irgend einem Vorbild hinzu-
schreiben, der kann auch sauber und korrekt arbeiten,
sobald er die genügende Zeit anwendet. Umgekehrt
bekommt man durch sauberes und sorgfältiges Kopiren
allein niemals die Fähigkeit, zu skizziren; und dabei
wird jeder zugeben, daß es für die ungeheure Mehr-
zahl derjenigen, welche den Zeichenunterricht, sei es
an welcherlei Anstalt man will, besuchen, viel nutz-
bringender ist, wenn man sie eine ganz anspruchslose
bildliche Darstellung mit einer gewissei: Leichtigkeit
fertigen lehrt, als wein: sie Prachtdarstellungen
arbeiten, deren unverstandene und eigentlich auch
unbezwungene Schwierigkeiten ihnen nur die Lust zu
selbständigem Weiterarbeiten benehmen.
Es würde einen kann: hoch genug einzuschätzen-
den Fortschritt ii: unserer künstlerischen Volkserziehung
bedeuten, wenn die hier besprochenen Anregungen
des amerikanischen Schulmannes auch bei uns Früchte
tragen würden.
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