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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 12
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Meyer, Bruno: Berliner Ausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0215

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Nr. s2 ——Die Runst-^alle — s85

merkenswerth ist es auch an ihm, daß er ein Männer-
maler pur sxLbUsnes ist. Die grauen, so ansprechend an
sich einige seiner weiblichen Bildnisse sind, gelingen ihm
nicht entfernt in gleichem Maße. Unter den Männern aber
wiederum hat er nirgends tieser gegriffen, nirgends liebe-
voller gestaltet, als wo er seine Kunstkollegen darstellen
durste.
Ligen ist es ihm bei derjenigen Aufgabe gegangen,
der er am häufigsten gegenübergestellt war und die ge-
wiß einen geistvollen Lharakterzeichner wie Koner unver-
gleichlich anziehen mochte: bei den Bildnissen des Kaisers.
Dieselben zerfallen irr zwei Klassen, die kaum Berührungs-
punkte miteinander haben, die man bequem für Bilder
zweier ganz verschiedenen Menschen halten könnte: Da ist
einerseits der Gsfizier ohne alle besonderen Ansprüche,
vielleicht sogar ein wenig nüchtern; und auf der anderen
Leite der Kaiser in vollster Lebhaftigkeit seines Hoheits-
gefühles. Ls will beinahe scheinen, als wenn nach beiden
auseinanderstrebenden Richtungen etwas Uebertreibung
und Absichtlichkeit vorläge; eine Schranke wider die Er-
reichung des Höchsten, über die beide Zusammenwirkende
sicher bei längerer Gemeinschaft hinweggekommen wären,
unzweifelhaft zürn Segen für die Kunst, der ein nicht
mehr „absichtliches", sondern in seiner gewohnten Meise
unmittelbar die Seele des Modelles ergreifendes Kaiser-
bild von der Hand Koners zu einer unvergänglichen Zierde
gereicht haben würde.
Noch ein Mort von Koners Händen. Mir haben
wenige Bildnißmaler, die so charaktervolle Hände malen
wie Koner. In ^orm und Bewegung sind sie von einer un-
glaublichen Mannigfaltigkeit und immer in überzeugender
Uebereinstimmung mit dem Gesammthabitus des Indi-
viduums. Auch in der Art der Verwendung der Hände
— so zu sagen —, der Erfindung des Motives für sie ist
er vielgestaltig und äußerst glücklich. Und dabei malt er
die Hände — abgesehen von einigen frühen Merken —
beinahe so flüchtig, wie das jetzt allgemein üblich geworden
ist, — wenn man die Sache äußerlich ansieht. In Wahr-
heit aber legt er den größten Merth auf die Heraus-
arbeitung des Lharakters der Hände; nur beschränkt er
sich peinlich auf das Allernöthigste an Mitteln. Die
Meisterschaft, mit der das durchgeführt wird, ist einer be-
sonderen Aufmerksamkeit werth. Gb nicht ein wenig
etwas wie Koketterie bei dieser Konzession an die „moderne
Richtung" war und ihm manchmal noch packenderes ge-
lungen wäre, wenn er hier detaillirter geworden wäre,
lasse ich begreiflich dahingestellt. Ich möchte es aber ver-
muthen.
Auf die einzelnen Bilder einzugehen, die zudem
beinahe alle von Berliner Ausstellungen her bekannt sind,
ist hier nicht der Grt und auch leider nicht der Raum.
B. M.
II. Im Künstlerhause.
Der Künstler-Verein erweist wieder einem Heim-
gegangenen Mitgliede die letzte Ehre: Karl Becker, dem
Präsidenten der Akademie.
Ls ist nicht zu behaupten, daß die Ausstellung dazu
angethan ist, demjenigen ein richtiges und vollständiges
Bild von dem Meister zu geben, der ihn noch nicht recht
genau kannte. Dafür ist er in einem langen Leben zu
fleißig und mit flüssiger Erfindungsgabe thätig gewesen,
als daß auch ein ganzer stattlicher Saal voller Merke

seiner Hand den Anspruch erheben könnte, eine nur allen-
falls lückenhaft zu nennende Uebersicht seines Schaffens zu
geben. Mir haben nur ein kleines Bruchstück seines
„Merkes" vor uns, in dem seine Hauptwerke, diejenigen
Bilder, die jedem einigermaßen Grientitten sofort als die
Säulen feines Ruhmes einfallen, bis auf zwei oder
höchstens drei Ausnahmen durch Abwesenheit glänzen.
Und doch hat die Ausstellung nicht nur die (wenn
auch gelegentlich kritisch angehaucht gewesenen) Ireunde
erfreut, sondern auch denen, die man ohne allzugroße
Heftigkeit als feine Gegner, als die ausgesprochenen
Antipoden der durch ihn gewiß in recht hervorragendem
Maße mit repräfentirten älteren Berliner Kunst, als die
überzeugten Parteigänger einer ganz „modernen" Kunst
aussprechen darf, imponirt. Zwar, wenn man seine
Kunstweise von dieser Seite her als eine schnell fertige,
oberflächliche Mengedienerm hat charakterisiren wollen, die
dem plötzlich erwachten Luxusbedürfniß eigentlich doch
künstlerisch unerzogener Kreise nach den drei großen Kriegen
sich geschickt anzubequemen verstanden habe, so ist das nur
mit der naiven Unwissenheit dieser Kreise in Allem, was
inan in und von der Kunst (geschichtlich) zu lernen hat,
wenn man sie kennen will, und mit der daraus hervor-
gehenden Ungewandtheit, sich nach gewissen Merksteinen
schnell mit einiger Sicherheit zu orientiren, erklärbar.
Denn selbst unsere lückenhafte Ausstellung zeigt, daß
Becker schon in den fünfziger Jahren ein fertiger Meister
mit demjenigen ausgeprägten Stile war, dem er — beinahe
ohne merkliche Mandlungen — bis an fein Lebensende
treu geblieben ist. Die aufrichtige heutige Tageskritik
hätte in erster Linie, scheint mir, die Verpflichtung, in
ähnlicher Meise an ihre Brust zu schlagen und dem Heim-
gegangenen manche unverdiente Kränkung, manche kaum
verzeihliche Verkennung abzubitten, wie das jüngst bei
Verdis Tode der wohl beachtenswertheste unter den
Berliner Musikkritikern gethan hat. Ls ist immer noch
weiser als aller hochmoderne „Wirklichkei1s"-Kultus, was
Schiller gemahnt hat: Zürne der Schönheit nicht, daß sie
schön ist! Und kannte und konnte etwa Becker die Wirk-
lichkeit nicht? Man gehe diese sämmtlichen Bilder und
Studien durch: Mo finden wir in der jüngsten Kunst ein
solches Raumgefühl entwickelt, wie er hatte? Mie locken
diese Schauplätze in sich hinein! und wie sicher stehen diele
Menschen in ihrem Raume: Greifbar, plastisch! Melche
anmuthige Wahrheit haben seine Bewegungen! Mie aus-
drucksvoll in ihrem, freilich niemals leidenschaftlichen
Lmpfindungskreise find seine Köpfe! Ls ist billig und
schon im zweiten halben Jahrhundert alt, auf die sich
immer wiederholende Iarbenskala, die immer gleichbleibende
Vortragsweise, die entschiedene Einförmigkeit feiner Typen
hinzuweisen. Ganz richtig! Aber all das hindert nicht,
ein recht bedeutender Künstler zu sein, wenn es auch von
den höchsten Höhen ausschließt. Aber wie Viele haben
wir nebeir (und vielleicht auch nach?) ihm gehabt, die so
„Eigene" waren wie er? die in ihrer Ligenart so un-
mittelbar erfreulich waren wie er? die in ihrer erfreu-
lichen Ligenart — ich möchte sagen — zuverlässig waren
wie er? Nie ist ein Beckersches Bild geeignet gewesen,
eine große „Sensation" des Tages zu werden. Aber kaum
auch je hat Becker etwas hervorgebracht, von dem man
sich als seiner nicht werth, als völlig unerheblich hätte ab-
wenden mögen.
 
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