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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 13
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Galland, Georg: Die Berliner Geschichtsmalerei vor Menzel
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0230

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M ——l- Die Aun st-Halle Nr. 13

die Manches verheimlichen, wie sie Anderes über
Gebühr verherrlichen und die Dinge so darstellen,
als sei die moderne Historienmalerei im 19- Zahr-
hundert von Paris und Belgien ausgegangen. Beit
der Mitte dieses Jahrhunderts ist allerdings die
Mehrzahl unserer Historienmaler durch die Ateliers
der Franzosen und Belgier, der Delaroche, Logniet,
wappers u. A. gegangen. Aber muß nicht den
Glauben, daß es auch außerhalb dieser Haupt-
strömung eine Historienmalerei früher bei uns gab,
schon der einzige Name Adolph Menzel befestigen?
Unabhängig von jenen westlichen Meistern behandelte
er frühzeitig vaterländische Blosse mit Erfolg. Schon
zwischen 183si und 1836 hatte er den Anfang gemacht
mit einer Folge von lithographirten Zeichnungen:
Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgischen
Geschichte und aus Blättern die Epochen Albrechts
des Bären mit der Einführung des Ehristenthums
bei den wenden und der Erstürmung von Brennabor,
des ersten hohenzollernschen Kurfürsten Friedrich,
Joachims II., des Großen Kurfürsten mit der Schlacht
bei Fehrbellin u. s. w. bis zur Zeit der Befreiungs-
kriege mit jugendlichem Temperamente geschildert.
Die späteren Biographen des inzwischen berühmt
und zur Exzellenz gewordenen Menzel pflegen die
Dinge ruhmredig so darzustellen, als habe der damals
19jährige Jüngling eine unerhörte und völlig neue
künstlerische That vollbracht. Zn Dr. Rosenbergs
Geschichte der Berliner Malerschule heißt es: Für
die historische Bedeutung der von Menzel gewählten
Momente hatte man damals nicht das geringste Ver-
ständniß, und man konnte es auch nicht haben in
einer Periode, während welcher eine unheilvolle
Politik unser Vaterland lenkte. Freilich wurden die
Freiheitskriege noch von einigen Künstlern ausgebeutet;
aber das patriotisch-historische Moment trat hinter
dem rein militärischen zurück. Zn dieser trostlosen
Zeit politischer Erschlaffung wies nun der 19jährige
Menzel mit energischer Hand auf die Marksteine in
der Entwickelung der Brandenburgisch-Preußischen
Geschichte bin. Er zeigte die Etappen eines kraft-
vollen Lntwickelungsganges in lebendiger Verkörperung
durch hervorragende Persönlichkeiten: Friedrich von
Hohenzollern, der Große Kurfürst, Friedrich der Große
erscheinen zum ersten Male (!) innerhalb der preu-
ßischen Malerei als charaktervolle Typen und in einer
Umgebung, für welche ebenso glücklich der historische
Charakter getroffen war." Das ist sehr schön gesagt,
aber wir werden erfahren, daß die verdienstvollen
Menzelschen Denkwürdigkeiten aus der Branden-
burgischen Geschichte damals durchaus keine besondere
Neuheit repräsentirten. Seit den Tagen Thodowieckis,
seit der ersten akademischen Kunstausstellung in Berlin
(786, führen die alten Ausstellungs-Kataloge fast ohne
Unterbrechung solche vaterländischen „Denkwürdig-
keiten" einzeln oder in ganzen Folgen auf. Der junge
Menzel ist also nur auf einer lange vor ihm be-

reiteten Bahn fortgeschritten, freilich Dank seines
sieghaften Talents erfolgreicker als die Anderen,
wenn indeß gemeint wird, daß jene Erstlingsarbeiten
des jungen Künstlers z. Z. nicht das geringste Ver-
ftändniß fanden, so kann dies weit eher für die
damaligen Haupt st römun gen der Malerei, die
außerhalb Berlins blühten, gefolgert werden. Ander-
wärts war das Publikum damals mehr als bei uns
daran gewöhnt, das Geschichtliche — sei es durch
Zdealisirung der Form, sei es durch gedankliche Ver-
tiefung des Stoffes, durch Steigerung des Ausdrucks,
selbst schon durch erhöhten Farbenreiz — in einem
gleichsam interessanten Lichte zu erblicken, und außer-
dem schwärmte die Klassik für die Antike, die Romantik
für das Mittelalter. Zene ältere Generation lebte
völlig im Bann edler ästhetischer Anschauungen, und
sie mag es von ihrem Standpunkt aus vielleicht als
Dekadenz betrachtet haben, daß man in Berlin Ml
Stelle ihres Schönheitsverlangens die nüchterne Be-
obachtung setzte und sich für patriotische Stoffe, für
die jüngeren und jüngsten Geschichtsepochen begeistern
konnte.
Den frischen Eindruck des Züngsterlebten, die
Zeitgeschichte, zu malen, halten Manche wohl auch
heute für künstlerisch erfolglos. Man müsse die Dinge
von Weitem überschauen können, meinen sie. wer
soll dann aber das Gewand, den Charakter, die ge-
naueste Wahrheit einer Epoche für die Zukunft fest-
legen — wenn nicht der lebende Zeuge dieser Epoche?
Zll einer kürzlich am Kaisers-Geburtstage gehaltenen
Festrede in der Akademie der Künste sagte Herr von
Tschudi, Direktor unserer Nationalgallerie : ,,Hundert
Zahre mußten vergehen, bis die Friderizianische Zeit
ihre künstlerische Wiedergeburt erlebte. Keiner
der zeitgenössischen Maler wäre (!) im Stande ge-
wesen, das Bild des großen Königs und seiner
Generale mit der zwingenden Wahrheit des innerlich
Geschauten vor uns hinzustellen, wie es dem Meister
des (9- Zahrhunderts glückte!" Da jener Redner
den Ausdruck „wäre im Stande gewesen" gebraucht,
so scheint auch ihm nichts von einem Versuch der
zeitgenössischen Maler und der folgendell Generation
in gedachter Richtung bekannt zu sein. Aber hat er
denn mit der Thatsache, die er anführt, wirklich recht,
ich meine, generell betrachtet recht? Müsse denn un-
bedingt jede gleichzeitige oder schnell folgende
Schilderung großer Ereignisse zu einem Fiasko führen?
„Man" habe, so behauptete der Festredner der
Akademie, „die künstlerische Gestaltung eines un-
künstlerischen Stoffes" gefordert, als man die
lebenden Maler die Kriege von 186ch (866, 1870
und 187s verbildlichen ließ. Zch kenne überhaupt
keinen unkünstlerischen Stoff an sich! Unkünsilerisch
kann er wohl durch die mangelnde Fähigkeit des
Malers werden. Aber echte, schöpferische Kraft ver-
mag jeden Stoff zu meistern und künstlerisch zu
gestalten.
 
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