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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 14
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Zimmern, Helen: Pietro Canonica
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Zur Museumsfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0250

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4- Die Kunst-Halle

Nr. sF

2s6

wisser konventionellen Linien nicht entrathen konnte,
der aber trotzdem eine originale Schöpfung im besten
Sinne ist. Gradezu meisterhaft ist der Rumpf model-
lirt, und das Ganze zeugt von jenem beharrlichen
und hingebenden Studium, das heutzutage ebenso
selten geworden, wie es zur Zeit der alten Meister
unerläßlich war. Dies allem hebt Lanonica's Krucifix
weit über die meisten modernen Darstellungen des-
selben Sujets empor. Er giebt uns keine ver-
schwommenen Traumbilder^ trotz des Mystizismus,
den wir in seinen Werken finden, sind sie konkret.
Immer ist es ein Eindruck, klar und scharf, den er
wiederzugeben bestrebt ist, wie er ihn durch ein liebe-
volles und ernstes Studium der Natur empfangen
hat. Insofern ist er ein Impressionist, wenn auch
nicht im landläufigen Sinne. Er legt Werth auf die
kleinen Momente, über mühsame Einzelheiten in
breiten, andeutenden Umrissen hinwegzugehen, ist nicht
seine Sache. Aber man darf ihn einen Impressionisten
nennen, weil er sich nur an diejenigen wendet, die
mit seinen Idealen sympathisiren können. Er trachtet,
die Seele seiner Gestalten darzulegen; seine Werke
sind keine Schlager, sie sprechen zum Gemüth.
Eine Büste hatte ich vornehmlich im Sinne, als
ich von dem aufrichtigen Mystizismus in seinen
Schöpfungen sprach — „Lin Frühlingstraum". Ls
liegt eine Welt von Gefühl in den sinnenden Zügen
dieses Frauenantlitzes.
In letzter Zeit hat sich Tanonica auch viel mit
Grabskulpturen befaßt, und er versteht dieses aller-
tristeste Stoffgebiet reich und ausdrucksvoll zu ge-
stalten. Jeder Ueberladung abhold, hat er gerade
in Friedhofsmonumenten wahrhaft vornehme Kunst-
werke geschaffen. Besonders ein Bas-Relief, Mutter
und Rind darstellend, ist von einer edlen Schönheit,
die an die Meisterwerke aus der Renaissance erinnert.
Die würdige Behandlung, die er den Motiven der
Grabmäler angedeihen läßt, zeigt ihn als den Mann,
der kein Feld seines Berufes als zu gering erachtet,
ehrlich sein Bestes als Künstler daran zu setzten.
Im porträtfach hat er neuerdings ebenfalls
Erwähnenswerthes geleistet. Namentlich Männer-
und Kinderbildnisse gelingen ihm am besten. Der
Gegensatz befremdet vielleicht, ist aber im Grunde
leicht zu erklären. Beim Kinde bedarf es nur der
Wiedergabe dessen, was offen in seinem Antlitz liegt;
hat der Künstler beim Manne den hervorstechendsten
Zug erfaßt, so ist den: Porträt der Erfolg sicher.
Die Mehrzahl von Tanonica's Werken befindet
sich in den Kunst-Zentren Europas und Amerikas
zerstreut, die meisten besitzt St. Petersburg und New-
pork. Zur Zeit bereitet er sich für eine deutsche
Ausstellung vor, in der er einige charakteristische
Arbeiten vorzuführen hofft.
wir sehen mit wirklichem Vergnügen der Weiter-
entwickelung dieses Künstlers entgegen, der, so jung
er noch ist, doch so rasche Fortschritte aufzuweisen
hat, daß man Interesse an ihm nehmen muß.
X
Zai- MtisetiwskpsKe.
m preußischen Landtage hat kürzlich Geheimrath
R. Virchow zur Museumsfrage sich in bemerkens-
wertster weise geäußert. Lr findet, im Gegensatz zu vielen
Aesthetikern, die es für richtig halten, das Publikum nicht
mit relativen Nebensächlichkeiten zu überlasten, sondern die

öffentlichen Sammlungen möglichst auf die künstlerischen
Pauptexochen zu beschränken, es völlig ungerechtfertigt,
daß in unseren Museen die Zwischenstufen noch zu fihr
vernachlässigt werden, und er macht daraus auch der
Regierung einen Vorwurf ferner, daß sie ihrerseits zu
wenig thue resp. veranlasse, um dem Publikum die schwerer
verständlichen Ankäufe durch geeignete Interxretionen u. dgl.
näher zu führen. Aus dem vorliegenden Bericht über die
virchowsche Rede ist noch nicht recht zu erkennen, wie sich
der berühmte Anthropologe den Weg der Besserung der
geschilderten Verhältnisse vorstellt. Aber einzelne seiner
Ausführungen sind voll Interesse und mögen darum hier
Wiedergabe finden: „Ls schmerzt mich der pochmuth der
klassischen Leute, die es so darstellen, als ob von allen
klassischen Dingen nur das Menschliche Werth hätte, was
sie gewissermaßen init dem philologischen Stempel versehen
haben. Diese einseitige, hochmüthige Behandlung resultirt
daraus, daß die perren es sich nicht klar machen, daß die
Menschen, die außerhalb einer solchen spezifisch interessanten
Periode gelebt haben, sich doch nach denselben Gesetzen
entwickeln, wie die innerhalb dieser Periode, und daß der
Mensch in seinem gejammten Wesen nicht ohne weiteres
durch eine Kulturperiode geändert wird. Das, was in
einer Periode erscheint, geht für die nächste nicht ohne
weiteres verloren, wenn dazwischen auch vielleicht eine
gewaltige historische Kluft entsteht. Nun höre ich, gegen-
über den Bestrebungen, Nationalmuseen zu errichten, Museen,
die sich speziell mit den entwickelungsgeschichtlichen Ver-
hältnissen des Landes beschäftigen, den Vorwurf: Ls ist
eigentlich nicht viel darin, was man da sieht, das sind
eigentlich keine Originalsachen, das sind Modell, die im
Linzelnen vielleicht interessant sind, aber im Großen und
Ganzen gar keine Bedeutung haben. Das ist eine der
sonderbaren Verirrungen des Denkens, die daraus resultirt,
daß die Leute nicht wissen, was im Großen und Ganzen
Mode ist. Ohne Mode keine Kultur, die aus ihr beruht;
inan könnte die Mode auch ouwon nennen, das ist eben
solch Ding. Ls giebt eine gewisse Zeit, wo er hergestellt
wird, dann wird er Grundlage für viele künstlerische Dinge
— die Nachahmung bleibt und das Original entschwindet
gewöhnlich dem Gesichtskreise; verfolgt inan die euwoirss.
kommt man ili das Dunkel der Vorgeschichte. Ich erinnere
an die berühmten Skulpturen der ägyptischen Periode. Ich
war mal in der Lage, die Königsmumien zu messen. Ich
konnte mit Lrlaubniß der ägyptischen Regierung eine ganze
Reihe prüfen und mit den Statuen vergleichen. Dabei
stellte sich heraus, daß nicht eine einzige von den wirklichen
Königsmumien zu den Statuen paßte, weder in Größe noch
Gestalt, Knochenbau oder Physiognomie des Gesichts. Man
kam immer gleich auf den euncm. und der «unon ging von
einem König auf den anderen, und zuletzt war es ein reiner
Zufall, ob inan den König Sesostris nannte oder anders.
Ls war immer die traditionelle, ererbte Gestalt, immer die
Mode. So ist es überall- Meine Arbeiten haben den
Nachweis geführt, daß seit undenklichen Zeiten ganze
Völkerschaften ihre Köpfe auf eine besondere Weise ver-
unstaltet haben; die scharfe Scheidung, in welche man die
philologisch interessanten klassischen Abtheilungen gegenüber
den älteren, bloß vorhistorischen, oder den späteren, rein
historischen, gebracht hat, ist auch im Interesse der Anthro-
pologen unzulässig. Ueberall braucht man nämlich die
Uebergänge und Zusammenhänge, sonst ist eine allgemeine
Geschichte der Menschheit unmöglich. Ich erinnere an die
 
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