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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 15
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Imhof, Franz: Der Laie und das Kunsturtheil
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0268

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232

Die Aun st-Halle

Nr. (5

und daß jene Wahl daher a priori auch die Billigung des
letzteren einschließt: wohlverstanden da, wo es sich um die
anerkannte (Dualität eines wirklichen Künstlers handelt.
Sie führte ohne Bedenken dahin, dem Meister die Bestellung
auf Treu und Glauben zu geben. Der Auftrag war wie
ein chancenreiches Lotterieloos, das hoch gewinnen — aber
auch verlieren kann. Tin Einwand dagegen hätte wenig
Aussicht auf Erfolg!
Das lehren uns auch gewisse Beispiele der Geschichte.
So das jener alten Amsterdamer Schützen, die einst bei
Rembrandt ein sogenanntes „Doelenstuck" („Die Nacht-
wache") bestellten und dafür dem Meister pro Kopf die
gleiche Summe als Honorar bezahlten: ein Jeder selbst-
redend in dem angenehmen Glauben, sich damit ein Anrecht
auf ein bestimmtes Stück Leinwand zu sichern, wie waren
die Herren aber enttäuscht, als sie daraus sehen mußten,
wie der Künstler, in völliger Hintansetzung ihrer wünsche,
nach eigenem Belieben auf der Leinwand gewaltet hatte;
wie empörte sich das Urtheil der Schützen gegen eine
Malerei, auf der für Einzelne nur etwa Raum für die
Nasenspitze war, während sie doch Alle ein gleich sicheres Auge
und ein gleich gefülltes Portemonnaie besaßen, wie mögen
die braven Herren und Demokraten geschimpft haben auf
die ungleiche vertheilung ihres also verhunzten Gruppen-
bildnisses, für das damals die altbewährten Meister Elias
und de Ketzer ohne Frage eine weit bessere Lösung in
ihrem Sinne gefunden hätten. Doch lehnten sie das
Werk Rembrandts trotzdem nicht ab; sie gaben dem Autor
nur niemals wieder eine Bestellung — und das war ihr
gutes Recht. Die Kunstgeschichte rückte bekanntlich gerade
besagtes ^Doelenstuck" in die vorderste Reihe der unsterb-
lichen Schöpfungen aller Zeiten.
Das war nicht bloß eine Vergeltung, es war außerdem
eine Waffe in der Hand aller folgenden Künstler, die dnrch
Laienurtheile irgendwie litten: oft selbst eine verhängniß-
volle Waffe. Denn die richtete sich nun auch gegen Kunst-
nrtheile von Laien, die gerecht und wichtig waren, und suchte
Streitfragen partheiisch zu schlichten, die des Streites kaum
werth erschienen. Mancher Künstlersperling verglich seitdem
prahlerisch sein Schicksal mit dein des Adlers Rembrandt.
Es gelang ihm wohl auch damit etlichen Kunstfreunden
jegliches Zutrauen zu dem eigenen gesunden Urtheil zu
rauben. Auf diesem Wege konnte es wohl leicht kommen,
daß eingeschüchterte Laien selbst erbärmlichen Moden Vor-
schub leisteten und Tagesgrößen zu unverdienter Bedeutung
verhalfen.... Ls leben neben Göttern ja auch Götzen im
Knnsthimmel, und nicht alle verdienen Weihrauch. Nicht
einmal so sanfte Schonung, wie jener mit Recht gefeierte
Münchener Porträtmaler, zu dem kürzlich ein Berliner
Mäzen mit dem reichlichen Honorar für sein nicht gerade
wohlgetroffenes Konterfei ins Atelier trat und verbindlich
bemerkte: Herr Professor, ich freue mich, daß ich — Sie
getroffen habe.
Durch nichts läßt es sich rechtfertigen, das Laienurtheil
zu verachten und einzuschüchtern. Es soll gebildet und
dann auch provozirt werden. Jin Lob wie im Tadel kann
es anregend für den Künstler und sein Schaffen wirken,
wie einst im alten Florenz, wo nach vasaris Erzählung
ein scharfer kritischer Ton herrschte und die Künstler sich
demungeachtet wohler fühlten, als anderwärts im quattro-
centistischen Italien.
Gelegentlich des Falles Klimt hatte die wiener
„N. F. Pr." einigen Stimmen Aufnahme gewährt, von

denen zwei aus Fachkreisen, eines Malers und einer Bild-
hauerin, ihrem angegriffenen Kunstgenossen wacker zu Hilfe
kamen. Ein wiener Kunstfreund vertheidigte dagegen das
von dem Maler heftig bestrittene Recht des Laienurtheils
im Allgemeinen und, gegenüber einem Werke wie „Die
Medizin", im Besondern. Endlich glaubte ein Mediziner
in der Sache sein Votum geben zu müssen. „Klimts
„Medicin" — heißt es am Schluffe des Elaborats — ist
keine Darstellung der Medizin. Denn von aller Tradition,
von allen bisherigen Darstellungen unserer Disziplin auf
Tafelgemälden und Deckenbildern abgesehen, muß der
Künstler, welcher die Medizin darstellen soll, ihre zwei
wichtigsten Funktionen zur sinnlichen Anschauung bringen;
diese sind erstens das Heilen, zweitens die Prophylaxe,
von beiden Funktionen ist auf dem Bilde Klimts auch nicht
ein Hauch zu spüren. Ls stellt Gebären, Kranksein und
Tod dar; es bringt auch, trotzdem es durchaus modern und
originell sein will, die sehr verjährte Hygiea und den
mittelalterlichen Tod zur Darstellung; aber das Werk hat
mit dem Wesen der Medizin nichts zu schaffen."
Jugestanden. Nichts mit dem Wesen der Medizin.
Mder wenigstens so viel oder so wenig, wie etwa Raffaels
„Schule von Athen" nut dein Wesen der Wissenschaft, der
Philosophie. Aber das hindert Keinen, daran zu glauben,
daß das raffaelische Werk sehr viel mit dem Wesen der
Kunst zu thun hat. Und das scheint mir am Ende doch
die Hauptsache. Auch für das moderne Werk wäre allein
dieser Punkt festzustellen.
Die Bildhauerin Fräulein Therese Feodorowna Ries,
die begeisterte Schülerin Rodins, schreibt: „Ich glaube,
wir Künstler haben alle den einen Wunsch, die Beschauer
mögen sich dem Drucke der hergebrachten, zufälligen Vor-
stellungen über das Korrekte entziehen und trachten, mit
ihrem Gefühle dem Gefühle nahe zu kommen, das den
Künstler bei der Konzeption und Ausführung seines Werkes
bewegte. Der furchtbare Feind, der sich zwischen den
schaffenden Künstler und das Publikum drängt, sind die
Gallerten, die Museen. Dort, wo die älteren Kunst-
schätze gehäuft sind, glaubt das Publikum die absoluten
Regeln für das Urtheil verkörpert zu finden. Dort meint
es — hängen die Offenbarungen der richtigen Kunst, dort
gewinnen sie die Richtschnur oder das Richtbeil der Kritik.
Die Herrschaften mögen sich nur erinnern. Zuerst fanden
sie an den alten Bildern gar nichts; dann successive glaubten
sie, sie rückten ihnen näher, und endlich glaubten sie, ihr
Geschmack sei eins mit den alten Werken, wer hätte
denn so leicht Muth, seiner Meinung Ausdruck zu geben,
manche dieser berühmten Madonnen sei eigentlich zu geziert,
zu wenig leidensvoll? Müssen sie sich nicht vor der
„Nutor äolorosu" eines Böcklin ob ihrer Grazie und ihrer
Pose schämen? wer hätte so leicht den Muth, bei den
alten Skulpturen die Tiefe der Seele zu vermissen? Bis
nur erst die Plastiken Rodins in den Gallerien stehen
werden, dann werden die zukünftigen Generationen wieder
neue Regeln lernen müssen. Rodin ist eine Säule der
Kunst. Unser modernes Leben, unser suchendes, zerfahrenes
Wesen macht andere Empfindungen interessant, als die-
jenigen, die bei dem Anblicke gesättigter, zweifelloser,
ruhiger Kraft entstehen; und mit den anderen, neuen,
interessanten Empfindungen werden neue Gestalten inter-
essant. Der Beschauer denke nur nicht gleich an irgend
einen alten Typus oder eine alte Lehre, mit denen er ein
neues Werk messen soll. Auch von Technik soll er nicht zu
 
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