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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 18
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Neue Offenbarungen in der Kunst: eine kleine Blüthenlese
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278

Die Aunst-Halle

Nr. s8

licher kann's nicht errathen. Und das scheint
auch dem Maler bewußt gewesen zu sein; denn er
hat es für nöthig gehalten in einem kleinen
Rahmen daneben eine handschriftliche „erklärende
Note" aufzuhängen. Danach handelt es sich in den
Bildern um den Versuch eiuer Umsetzung musikalischer
Motive in Linie und Farbe; er nennt die Operation
eine „trunspOZition arckitoeturuls". Gewählt hat
er Wagners „Nibelungenring" und Berlioz' „Fausts
Verdammung". Der Viertheilung des wagnerschen
Werkes entsprechend, bringt er vier Bilder für die
Tetralogie. In allen sehen wir auf schwarz-violettem
Grunde leuchtende kegelförmige Erhebungen, die
man sowohl als Berggipfel oder Tropfsteingebilde
wie auch als Feuergarben oder Lichtfontänen deuten
kann. Der ganze Unterschied ist der, daß für Rhein-
gold (Thema: Walhalla) der Höcker vielspitzig und
gelb und roth gefärbt ist, für das Walküren-Leit-
motiv noch zwei und verschieden hohe Gipfel da sind,
während Siegfried (Thema: Der Held) sich mit einer
einzigen Hellen Ruppe begnügen muß, an deren
Stelle für das Thema der Götterdämmerung ein
zerspaltener, rissiger Lichthügel in matten Tönen tritt.
Das Berlioz'sche Werk hat „Linie und Farbe" erhalten
durch drei Landschaften: einen Sonnenaufgang, eine
blaue Nachtszeue mit romantischen: Mondschein
(„Komm, süße Nacht") und ein buntes Etwas, das
der „Architekt" „Lvur8S ü I'/ebems" benennt. Ich
kann in dieser sog. Landschaft nur einen breiten,
diagonal gehenden gelben Strich erblicken auf einen:
roth und blau und grün getüpfelten Grunde. Der
Gedanke, der den Künstler (?) bei seinen: „Versuch"
geleitet hat, ist offenbar der, daß es möglich sein
müsse, dieselben „Stimmungszentren" des Hirnes,
die beim Anhören von Musik erregt werden, auch
durch Aufuahme optischer Bilder vou Linie und Farbe
in Bewegung zu setzen. Es soll mich nicht wundern,
wenn wir nächstens Wagner oder Beethoven in
Form eines leckeren Mahles aufgetischt bekommen;
denn was den Augennerven recht ist, ist den Ge-
schmacksnerven nur billig. Das ist übrigens um so
wahrscheinlicher, als die Nase schon vor einiger Zeit
in einem vielbesprochenen „Konzert durch Düfte" —
als Ersatz für das Ohr benutzt wordeu ist.
* *
Was sind „Os88in8 mecl:Lmmchue8" ? Mit
Spiritismus hängt die Sache offenbar zusammen.
Und das erinnert an jene Zeit, da spiritistische Medien
und Seancen noch zu den aufregenden Neuheiten
gehörten und auch bei uus einzelne besonders
„intelligente" Künstler ihre Studien aus dem freieu
Saal der Natur in die dumpfigen Sprechzimmer der
Hypnotiseureverlegten. Hören wir, was „DerMorgen"
über das pariser Novum spiritistischer Zeichuungen
sich vor eiuigen Wochen schreiben ließ.
Im Kunstsalon Georges Petit in Paris ist
eine Ausstellung von Zeichnungen eröffnet worden,

die von Geisterhand herrühren. Nicht als ob die
Geister „persönlich" die Ausstellung beschickt hätten!
Sie haben sich vielmehr der Vermittelung des Graveurs
Desmoulin bedient, der diese seltsamste aller Kunst-
ausstellungen veranstaltet.
Desmoulin gravirte früher still und friedlich zeit-
genössische Portraits und erfreute sich eines großen
Kundenkreises, denn er war ein netter junger Mann,
der nicht an überhitzter Phantasie litt und mit der
übersinnlichen Welt nicht das Geringste zu thun hotte.
Eines Abends aber ging in Desmoulin eine revo-
lutionäre Wandlung vor. Er war aus einer Ge-
sellschaft, in welcher man sich viel über spiritistische
Zeichnungen unterhalten hatte, spät nach Hause ge-
kommeu und setzte sich in seinem Atelier nachdenklich
an den Tisch. Dann nahm er eine Feder und ein
Blatt Papier zur Hand und wartete. Auf die Geister
wartete er. Und die Geister kamen! Zu seiner-
größten Ueberraschung begann seine Hand plötzlich
mechanisch und unfreiwillig zitterige und kunterbunte
Linien zu ziehen. In den folgenden Tagen bedeckte
er zahllose Blätter Papier mit derartigen Feder-
zeichnungen; dann ersetzte er die Feder durch deu
schwarzeu Stift, der bald darauf farbigen Trayons
Platz machen mußte. Und die Hand des Künstlers
zeichnete mit konvulsivischen Bewegungen immer mehr
Linien, die sich dann zu Menschengesichteru mit
seltsam „vergeistertem" Ausdruck verdichteten. Diese
Menschengesichter sind jetzt bei Georges Petit aus-
gestellt. Sie habeu vor Allem ein wissenschaftliches
und ein psychologisches Interesse, und der Künstler,
den: Geister die Hand geführt haben, kann sich selbst
nicht erklären, was sie bedeuten. Er nennt sie
„Os88in8 me<äiLnimchus8".
Die Geister hatten die kuriose Idee, die Zeich-
uungen von Desmoulin verkehrt ausführen zu
lasseu. Vielleicht ist diese „Malerei vou hinten" das
Grundelement einer neuen sezessionistischen Malkunst
— vorläufig weiß man aber noch nichts Gewisses
darüber. Desmoulin selbst wußte, wem: er eine
Zeichnung begann, niemals genau, wie die Geschichte
endeu würde.
Die Zeichnungen tragen, wie sich das bei Geister-
bildern von selbst versteht, alle sehr merkwürdige
Signaturen, wie „L'Instituteur", „Astarte" u. s. w.
Ob die Zeichnungen wissenschaftlich oder kunstkrithch
zu betrachten sind, ist nicht so leicht zu eutscheideu.
Mau kam: uur anuehmeu, daß es einen doppelten
Desmoulin giebt, einen sichtbaren und einen unsicht-
baren. Daß der sichtbare ein Betrüger sei, ist voll-
ständig ausgeschlossen, denn Desmoulin ist ein braver,
charakterfester Mann, der gar kein Interesse daran
haben kann, mit dem Publikum und mit sich selbst
seinen Scherz zu treibeu.
*
In Wien hat sich ein geistvoller Schriftsteller
Or. Hugo Ganz, Zeit und Mühe genommen, in einem
 
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