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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 22
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Marasse, M.: Moderna
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0392

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> Die Aun st-Halle

Nr. 22

zitternder Sonnenstrahl verirrt, mit seinen etwas nieder-
drückend gespannten Bogengängen ein reichliches
Genügen finden.
Mehr wie in anderen Ländern schmiegen sich in
Italien die Zweige der Geschichte, Litteratur und Kunst
eng aneinander, mehr wie in anderen Staaten trägt
jeder einzelne Ort den Ausdruck der Entwicklung zum
einheitlichen Ganzen. Auf Dantes göttliche Komödie
folgt das Erwachen der Bildnerei, und das groß-
artige, scharfumrissene, poetische Gedicht dient noch
heute zum Werkzeug der Geschichtsforschung.
Die ehemalige Kleinstaaterei Italiens giebt den
Städten ihren ausgeprägten Tharakter, darum taugt
den Geboten ernst gemeinter Wißbegier die modern
eilfertige Art, den Grundbestandtheilen des heutigen
Reiches kaum einen flüchtigen Blick zuzuwerfen, um
mit Windeseile dein Vatikan und dem Vesuv zuzu-
streben, nur wenig für die ripxer tsn tttousurnl der
Intelligenz, für die Ritter vom Geiste. —
Man halte sich in Modena auf! — Augustus
züchtigte Mutina schwer, weil die Stadt die Mörder
seines großen Ohms barg. Dante erzählt imparadiso
den Vorfall, seine Terzine schließt mit den Worten;
„K Noäsrm 6 VeruZia tu clolents." Das Wörtchen
„clolsrits" wird man in der heutigen Stadt nicht wieder
los, es haftet an den grauen Steinen, es befällt den
Gast des Albergo Reale bei hohen Preisen und
schlechter Kost, es bildet den Grundton aller lokal-
sagen.
Aber Modena, glückliches Modena, birgt eine
Spezialität, und das klingt doch wie ein lockend Zauber-
lied an die Ohren des heutigen Geschlechts, ist ein
roetter cis bremse, den nichr Nebel, noch Gespenster,
noch springende Thierchen zu erschüttern vermögen.
Die beiden entschlossenen Realisten Guido Mazzoni
und Antonio Begarelli haben in ihren Skulpturen
in Thonmasse der Nachwelt etwas Ursprüngliches,
Freies, Starkes, Unabhängiges überliefert.
In meines Nichts durchbohrendem Gefühle ge-
stehe ich, daß ich den zahlreichen Arbeiten der weit
berühmteren Familie della Robbia stets nur wenig
Geschmack abgewinnen konnte, der bemalte Thon
erschien mir für edle Plastik, für den Ausdruck alles
tieferen Denkens und Empfindens als ein zu hartes,
glattes, jeder feineren Nuance bares Material.
vor den jüngst bewunderten, in die Nischen und
Krypten hineinkomponirten Gruppen der beiden
Modenesen nehme ich den Vorwurf gegen den Stoff
zurück. Denn wohl vornehmer, höher, abgeklärter
haben aridere Künstler die Kreuzabnahme, die Be-
weinung Thristi, die Passionsgeschichte, das Marien-
leben dargestellt, — frischer, grausig-grotesker, im
Ausleben einer, jedem schematischen Begriff fernen
Kraft aber wohl keiner, wenig ist über das Schicksal
Guido Mazzonis bekannt, er lebte wahrscheinlich von
lI5O—(5(8 und wirkte fast ausschließlich in Modena,
wo seine Gruppen im Dom und in San Giovanni

decollato so ursprünglich, so lebenswahr und realistisch
zu mir sprachen, daß ich den Ruf nicht unterdrücken
konnte: „Und es geschieht nichts Neues unter der
Sonne".
Vor der derben Dienstmagd mit dem zerrissenen
Aermel, die der Mutter Gottes irgeud eine Botschaft
bringt, kann sich ein Liebermann verstecken. Jakob
Burckhardt äußert sich also über Mazzonis Kunstform:
„wenn man inne wird, wie volksthümlich solche Werke
sind, so möchte man beinah wünschen, daß die Skulptur
noch einmal einen versuch dieser Art wagen dürfte."
In der That lag gerade vor dieser Gruppe
zwischen der schlanken romanischen Säulenarchitektur
in der rauchgeschwärzten Krypta das Volk auf den
Knieen, als ich in der Weihnachtswoche den uralten
Dom besuchte. In der Oberkirchs sangen — mir
unsichtbar — Mönche ihre Litaneien mit kraftvollen
Baßstimmen, und hier unten beteten Frauen und
Mädchen mit sanfter Neigung des Kopfes, kindliche
Einfalt in den nachtdunklen Augen und — den Markt-
korb am Arm. Ihnen allen gefiel die Magd mit der
vis L0M1LL. . . Ich hatte auch das Glück, das kleine
presepio Begarellis zu sehen, das nur in der Weihnachts-
zeit gezeigt wird. In allen Kirchen Italiens bildet
zu Natale eine Grotte mit der Geburt des heiligen
Bambino, der Verehrung der drei Könige vom Morgen-
lande und Aehnlichem den Mittelpunkt für die fromme
Gemeinde. Aber meist sind diese zierlichen Dar-
stellungen Spielwerk, Wachsfiguren, auch Puppen mit
Kronen, flimmernd von Edelsteinen. Jedoch die Thon-
gruppe der Geburt Thristi von Begarelli ist ein wirk-
liches Kunstwerk.
Burckhardt hält den Nachfolger Mazzonis, er
starb (565, für klassischer, reifer, edler und ergreifender
im Ausdruck der sprechenden Köpfe, bewunderns-
werther in der leichten Anordnung der Gründe, ver-
feinerter in der Behandlung der Details, als seinen
Kollegen in Modena; uns erschien er jedoch von
weniger auffälliger Originalität, geringer in der un-
widerstehlichen Kraft eines Sturm-Genies, das sich
vor der Ueberfülle der Einfälle nicht zu retten weiß.
Begarelli wird von Vasari erwähnt, der amüsante
Plauderer theilt uns mit, daß des Künstlers Thon-
gruppen in S. Agostino und S. Pietro, der wichtigen
Renaissance-Kirche, in der die Reste Begarellis (875
beigesetzt wurden, nicht bemalt waren. Er erzählt:
„Als Michelangelo nach Modena kam, sah er
Werke des Meisters Antonio Begarelli, der viele
schöne Figuren aus Terrakotta in der Farbe des
Marmors verfertigt hatte. Diese schienen ihm etwas
Ausgezeichnetes zu sein, und da jener Bildhauer nicht
in Marmor zu arbeiten verstand, sagte er: „wenn
dieser Thon Marmor würde, dann wehe den antiken
Statuen!" (Zs Husstu terra äivsrllas8i marmo,
Mai alle 8tatus arllietts!)
In dem schönen Tampanile mit der herrlichen
Aussicht bewahrt man eine merkwürdige geschieht-
 
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