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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 23
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Rücklin, R.: Zur gegenwärtigen Lage in der Kunstindustrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0410

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358 -—-4- Die Kunst-Halle -4-— Nr. 23

Aber eine Beunruhigung bezüglich der Zukunft des
modernen Stils in der Kunstindustrie, oder vielmehr
über die in der nächsten Zeit einzuschlagenden künst-
lerischen Richtungen ist zweifelsohne in letzter Zeit in
weiten Kreisen spürbar gewesen, und die Frage nach
ihrem Ursprung, ihrer Berechtigung und dem end-
lichen Ausgang muß auch Künstler und Kunstfreunde,
welche in keiner praktischen Berührung mit der Kunst-
industrie stehen, interessiren.
Der Ursprung zu einer Beunruhigung für den
Kunstindustriellen liegt naturgemäß in dem Verhalten
des Publikums, der Käufer also, gegen die in modernen!
Stil gehaltenen Erzeugnisse. Für die Industrie, welche
geschäftsmäßig arbeiten und kaufmännisch geleitet sein
muß, bietet die Verkäuflichkeit ihrer Waare die selbst-
verständliche Richtschnur für die in ihrem Betriebe
anzuwendende Geschmacksrichtung. Von diesem Stand-
punkte aus ist es nun eine unleugbare Thatsache,
daß in sehr vielen Fällen die im „Jugendstil", in
„sezessionistischer Richtung" und wie diese Bezeich-
nungen im Geschäftsjargon alle lauten, gearbeiteten
Waaren und Gegenstände einen nur zögernden Absatz
finden, und daß die bisher gehandhabten Formen der
historischen Stile sich in breiten Käuferkreisen einer
größeren und tiefergehenden Beliebtheit erfreuen, als
es nach dem einmüthigen Ueberschwenken unserer
modernen kunstgewerblichen Zeitschriften zur neuen
Richtung den Anschein haben möchte. Namentlich
der letztere Umstand erscheint Vielen als ein Beweis,
daß der neue Stil über kurz oder lang sich wieder
zurückmausern werde in die „bewährten historischen
Stilarten". Diese Hoffnung — oder Befürchtung — ist
nun zwar gänzlich gegenstandslos. Denn abgesehen
davon, daß dies nach dem bisherigen Verlauf der
ganzen Bewegung als eine logische Unmöglichkeit er-
scheint, trägt auch die ganze Vorliebe für historische
Stilformen, wie sie sich in der Kunstindustrie jetzt
zeigt, doch entschieden den Stempel einer nieder-
gehenden, einer absterbenden Tendenz. Die Beweise
hierfür werde ich weiter unten zu geben suchen. Zu-
nächst erscheint es mir wichtig, festzustellen, daß ein
— vielleicht der wichtigste — Grund zum Rlißtrauen
in die Lebensfähigkeit der modernen dekorativen
Kunst mir in der Kluft zu liegen scheint, welche
zwischen der Auffassung derselben, wie sie sich in den
modernen Fach-Zeitschriften darstellt, und der Auf-
fassungsfähigkeit in den Abnehmerkreisen unserer Kunst-
industrie besteht. Eine Kluft hat in dieser Beziehung
auch schon bestanden, als inan noch einig war in dem
Studium der Kunstformen vergangener Zeiten, Sie
hat sich bei der Schnelligkeit, mit der wir eine moderne
Kunst haben entstehen sehen, eher noch vergrößert,
als daß sie kleiner und überschreitbarer geworden
wäre. Das ist sehr bedauerlich, und es wird eine
der wichtigsten Aufgaben der Organe unserer öffent-
lichen künstlerischen Erziehung, der Kunstgewerbe-
vereine und Kunstgewerbeschulen, für die Zukunft

sein, dahin zu wirken, daß an Stelle dieser Kluft sich
eine Abstufung setze, — eine Abstufung, über welche
der Geschmack des Publikums und die künstlerische
Qualität unserer Kunstindustrie in die Höhe gebracht
werden können.
Wenn das Publikum sich vielfach ablehnend
gegen modern aufgefaßte Industriewaare verhält, so
ist damit noch nicht ohne Weiteres bewiesen, daß die
künstlerische Tendenz, die sich darin ausspricht, aus-
sichtslos sei. Es ist ja noch so jung, unser modernes
Ornament, und es ist so schnell gewachsen, daß es
nicht zu verwundern ist, daß ihm Kinderkrankheiten
nicht erspart bleiben. Als eine solche Kinderkrankheit
muß, abgesehen von den Absurditäten einzelner Künstler-
persönlichkeiten, die überstürzte und unreife Art be-
zeichnet werden, in der man den „Jugendstil" ge-
schäftlich auszuschlachten versucht hat. Immer Neues
zu bringen, ist ja die Aufgabe der Industrie; hier
war nun etwas ganz Neues. Aber in wie viel Fällen
könnte wohl das entwerfende und ausführende Per-
sonal sich bis zu wirklichem Verständniß desselben in
Ruhe durcharbeiten? Und wie soll das Publikum
etwas verstehen, was die ausführenden Kräfte selber
nicht verstanden haben? Hierin liegt wohl mit ein
Hauptgrund für die gegenwärtigen Schwierigkeiten,
daß die neue Dekorationskunst noch nicht genügend
ausgereifte und durchgebildete Formentypen erzeugt
hat, wie die Kunstindustrie sie ihrer ganzen Eigenart,
ihrer ganzen Arbeitsweise nach für ihre Bedürfnisse
gebraucht. Denn ihre Aufgabe kann es nicht sein,
neue Kunstformen zu suchen oder sich au dem Suchen
nach solchen zu betheiligen, sondern sie soll mit dem
Gefundenen operiren, es verbreitern und popula-
risiren.
Dessenungeachtet muß inan, wenn man genauer
zusieht, doch erkennen, daß die moderne Kunstrichtung
gerade mit denjenigen Elementen und Eigenheiten,
welche ihr eigentliches Wesen ausmacheu und auf
welche alle ihre einzelnen Besonderheiten und Ab-
zweigungen immer wieder zurückzuführen sind, einen
gewaltigen und nachhaltigen Erfolg schon errungen
hat, auch in den Kreisen, welche das Abnehmergebiet
der Kunstindustrie umfassen. Rlan denke nur an die
überall sich bemerkbar machende größere Farben-
freudigkeit, an das Größer- und Einfacherwerden der
Formen, an die Abkehr von pimplicher Zierlichkeit.
Selbst wo prinzipiell noch mit Formen historischer
Herkunft gearbeitet wird, selbst da wird viel frischer
und schwungvoller anfgefaßt und wiedergegeben, als
dies vor wenigen Jahren lisch im Allgemeinen der
Fall war. Wenn auch die Pflanzungen moderner
Ornamentik streckenweise noch recht kümmerlich und
unerfreulich aussehen mögen, so hat doch ein er-
frischender Regen neuen Empfindens sich weithin
ergossen und mehr Gutes gewirkt, als es den!
äußeren Anschein nach da und dort der Fall sein
mag.
 
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