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Die Kunst-Halle — 6.1900/​1901

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Nummer 23
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Thomas, Bertha: Londoner Ausstellungen 1901
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https://doi.org/10.11588/diglit.65263#0414

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362

Die Aun st-Halle

Nr. 23


Mt genug begegnet man der Auffassung, das
M englische Kunstpublikum finde nur an Bildern
trivialer Art, geleckten Malereien, ober-
flächlichen Blendern Gefallen; höhere künstlerische
(Qualitäten seien weder gesucht noch gewürdigt, wenn
sie sich irgendwo zeigen. Nun, wäre diese Behauptung
wirklich begründet, dann müßte die diesjährige
Akademie-Ausstellung den Preis der Popularität
über alle früheren davontragen, so überwiegend ist
Plattheit, Mittelmäßigkeit, allenfalls geschickte Mache
hier vertreten. Doch weit gefehlt. Anstatt entzückt
zu sein, beklagen sich Publikum und Kritik über die
Inspirationslosigkeit, die abgedroschene Fadbeit und
Geistesarmuth, in welche die heutige Künstler -
schäft zu verfallen scheint. Hierfür allein äußere
Einflüsse verantwortlich zu machen, ist auch nicht
stichhaltig. Meder unsere Landestrauer, noch die
Fortdauer des Burenkrieges haben einen so wesent-
lichen Druck nach der Richtung des Kunstlebens hin
ausgeübt. Da es mit eigener Erfindung so spärlich
aussieht, ist natürlich der Nachahmung ein weiter
Raum gelassen — selbst gegenüber Motiven,
die nicht des Nachahmens werth sind; oder inan
arbeitet auf bloßen Augenblickserfolg hin mit recht
billigen Effekten. Der Zug unserer Zeit, für das
Dauerhafte am wenigsten zu sorgen, hat leider auch
auf dem Gebiet der Kunst um sich gegriffen. Von
den alten Notabeln unserer Malerei gilt dies natür-
lich nicht. Neber L. Alma Tadema und Orchard-
son würde die Welt in freudiges Staunen gerathen,
wenn sie hier zum ersten Mal ihre Meisterschaft
offenbarten. Des Ersteren ,,Nnll< r tim Knot' ok blue
llornLn FVeg-tbor" (Unter dem blauen Himmel des
Ionischen Gestades > — ein entzückendes Stück Außen-
leben in einen: Paradies der Schönheit, Ruhe und
sonnigen Pracht an einer klassischen Meeresküste —
zeigt die glänzendsten Vorzüge dieses Künstlers in
ungeschwächter Kraft. Und die Porträts des Letzt-
genannten sind gleichwerthig mit den: Besten, was
er je in diesem Fach geleistet hat. Sargent, seit
Jahren einer der interessantesten und originellsten
Aussteller, steht dieses Mal noch hervorragender da
als sonst, woran freilich mehr die Dürftigkeit der
diesjährigen künstlerischen Ernte, als etwa eine be-
sondere Höhe desjenigen Schuld ist, was er uns gegen-
wärtig vorführt. Sensation erregte er nut den:
charakteristischen Bildniß zweier Schwestern, Töchter
des Herrn I. Wertheimer, wo die Wiedergabe von
einer frappirenden Lebendigkeit und realistischen
Wirkung, und doch hier einmal von Uebertreibung
frei ist Gb die Nachwelt sich auch so für ein Ge-
mälde begeistern wird, bei dem die Auffassung in
mancher Hinsicht eine so wenig angenehme ist, dürfte
allerdings zweifelhaft sein. Immerhin bleibt es en:
Werk, das von großer Bravour zeugt, sowohl m
dem überaus geschickten Arrangement, das vollkommen,
einer freien Komposition gleichkommt, wie in der
Sicherheit der Ausführung. Dieselbe absolute Herr-
schäft über seine Mittel hat er auch bei mehreren
männlichen Bildnißköpfen bewiesen. Sein Beitrag
zum Skulpturensaal, „Kruzifix", ein gediegener,
ebenso imposanter, wie ergreifend wirkender Entwurf,
hat gewiß viele Besucher überrascht, denen er bis-
her nur als fashionabler Porträtmaler bekaunt war.

Lonüoim Zustellungen iyoi
Von B. Thomas, London.

Das eigenartige Motiv, das Abbey ebenso
kraftvoll behandelt, wie einfach ausgefaßt hak, „Kreuz-
fahrer, die Jerusalems ansichtig werden", zeigt drei
dieser Krieger, zwei knieend und den dritten mit
emporgehaltenem Banner stehend. Jeder ist
scharf markirt, als ein spezieller Typus geschildert-
als der Krieger, der Träumer und der Fanatiker. Zn:
Bestreben, das Tharakteristische der Gestalten nsöa-
lichst stark hervortreten zu lassen, ist der Künstler
nach meinen: Gesühl etwas zu weit geaangen. In-
dessen mag dies durch den Moment'der Ekstase,
den er zur Darstellung der Gruppe gewählt hat,
gerechtfertigt erscheinen. Die Komposition ist mit
jener temperamentvollen Frische gemalt, von der in
der Ausstellung sonst leider wenig zu spüren ist.
Man darf sicher von diesen: Künstler noch viel
Gutes erwarten, denn er gehört zu den wenigen,
für die es keinen Stillstand giebt. In einem schönen
ägyptischen Gemälde, „Der Tod des Kalifen", hat
Gow ein Sujet nut großen: Geschick behandelt, das
manchen Anderen verleitet haben würde, einen falschen
oder übertriebenen Ton anzuschlagen. In: wüsten-
Zwielicht, vor Tagesanbruch, zeigt sich am Horizont
der Rauch britischer Geschütze, während den Vorder-
grund des Bildes der Prophet mit seinen Getreuen
einnimmt, die in der Erkenntnitz, daß ihnen nur
die Wahl zwilchen Tod oder Rebergabe bleibt, sich
dafür entscheiden, niedergeschossen zu werden, anstatt
zu fliehen oder sich zu ergeben. Ausdrucksvoll in:
Entwurf und von angenehmer Farbengebung, ver-
eint das Werk alle Bedingungen für einen wahrhast
künstlerischen Erfolg.
Von den Landschaften ist in: Allgemeinen nichts
Günstiges zu sagen, mit Ausnahme selbstredend der
Werke von Tlausen, La Thangue und Edward
tvtott, aus deren Können wir schon, als weit über
den: Durchschnitt stehend und keiner vorübergehenden
Aeitströmnng unterworfen, hingewiesen haben. Ihr
Erfolg beginnt schon vielfach Nachahmungen zu
erzeugen, die, wie eben bloße Imitation überall,
von schwächlicher, bläßlicher Art sind. Noch ein Zug,
der sich in unserer jüngeren Künstlerschast bemerkbar
macht, ist ein pseudo-praeraffaelismus, ein Zurück-
greisen aus den Millais-Stil erster Periode, wofür
eine aus wahrhaft künstlerischen Gründen hergeleitete
Erklärung schwer zu finden sein dürste. Obwohl der
Inspiration von innen heraus ermangelnd, hat dieses
Bestreben immerhin manche annehmbare, glückliche
Leistung zu Wege gebracht.
Daß Shannons „Blumenmädchen" aus den:
Thantrey-Fonds vom Staat angekaust wurde, findet
allgemein Billigung, obwohl dieser flotte, höchst
ungleich produzirende Maler der eleganten Welt mir
nicht recht in seinen: Element erscheint so einem
Motiv aus der Alltagswelt gegenüber, dessen Be-
handlung denn auch etwas stimmungslos ausgefallen
ist, abgesehen von der belebenden Wirkung der
hübschen Lichtreflexe aus dem rosigen Fleischton und
der Farbe der Rosen. Ein anderer, sehr ungleich-
werthig arbeitender Künstler, Hubert Herkomer,
hat mit seinen verschiedenen anspruchsvollen Porträts
lange nicht den Erfolg erzielt, wie durch das in
Berlin schon bekannte Bild „Ein Zitherabend mit
meinen Schülern in meinem" Atelier", wo mit den:
Realismus und der Lebendigkeit einer flotten Skizze
eine künstlerische Auffassung und Behandlung ver-
bunden ist, die das Bild über das Gebiet bloßer
Illustration hinausheben. (Schluß folgt.)
 
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