1
/ahrgang 1927
1./2. NovcmbßrheH
Dtc flora=6ü(lc
oon
6dtnund fiUdebüandt
Der Professor der Kunstgeschichte an der Univer-
sität Berlin, Dr. Edmund Hildebrandt, vcröffentlicht in
nächster Zeit ein Werk über Leonardo da Vinci.
Das Buch, das in der Q. Q r o t e ' schen Verlagsbuch-
handlung, Berlin, erscheint, enthält auch ein Kapitel über
die Flora-Büste des Kaiser-Friedrich-Museums. Der
„Kunstwanderer“ ist in der Lage, einen Auszug aus
diesem Kapitel, worin der hervorragende Kunsthistoriker
die Echtheit der Büste und die eigenhändige Ausfiihrung
durch den großen Meister unbedingt anerkennt, heute
schon wiederzugeben.
PW bei der „Auferstehung“ (von Leonardo) inner-
halb der Kreise der Fachwissenschaft sich abspie-
lende Kampf der Meinungen hat bei dem zweiten der
von Bode dem Leonardo zugeschriebenen Berliner Be-
sitzstücke bekanntlich das Interesse der breitesten
Oeffentlichkeit in monatelanser Spannung versetzt.
Leidenschaft und Parteiiichkeit hatten damals die Situa-
tion mehr getrübt als geklärt, und noch in allerjüngster
Gegenwart liaben die persönlichen Gegner Bode aufs
neue ihre alten Anklagen gegen die Erwerbung dieses
Kunstwerks erhoben. Ftir uns gilt es auch hier, alles
in Schrift und Wort niedergelegte Für und Wider zu-
nächst einmal zu ignorieren und den eigenen Augen das
Urteil zu überlassen, e h e den fremden Stimmen Ge-
hör geschenkt wird.
Der äußere Sachverhalt ist kurz folgender: Im
Sommer 1909 wurde durch die Berliuer Museums-
verwaltung eine lebensgroße, 66 cm hohe, stark be-
schädigte, aber in den Hauptpartien wohlerhaltene be-
malte Wachsbüste einer halbnackten jungen Frau für
den Preis von 160 000 Mark erworben und von der
Kommission unter dem Vorsitz Bodes als Originalwerk
Leonardos oder seiner Schule der Oeffentlichkeit vor-
gestellt. Nicht Iange darnach erschien in den „Times“
ein Artikel, der das Werk als eine moderne, um 1850
entstandene Arbeit des im Zeitalter dcr Queen Victoria
lebenden Bildhauers Lucas erklärte. Die Meldung ver-
breitete sich alsbald durch die gesamte europäische
Presse und zeitigte eine Hochflut von großen und klei-
nen Artikeln, die von der stets für Sensationen weit
melir als für ernste Wahrheiten dankbaren breiten
Masse begierig aufgegriffen wurden. In den Wochen
der ersten Erregung konnte man in dem Saal, wo die
Flora stand, in hellen Scharen Angehörigen der Kreise
begegnen, denen die „Kunst“ sonst wcniger als Hekuba
bedeutete. Die in die Defensive gedrängte Direktion
der Museen, an der Spitze Bodc, hatte den Kampf gegen
zwci Fronten aufzunehmen, gegen die von englischer
Seite propagierte, von einem Teil der wissenscliaft-
lichen und persönlichen Gegner Bodes mit Fifer aufge-
griffene Lehre von der „Fälschung“ und der in Ver-
wirrung geratenen „öffentlichen Meinung“, die ange-
sichts des „hohen“ Preises der Erwerbung nach „Klä-
rung“ verlangte, die ihr bis auf den heutigen Tag vor-
enthalten blieb. Es erübrigt sich zu betonen, daß selbst
bei dem Nachweis eines Mißkaufs auf Grund eines Irr-
tums, vor dem aucli die größten Kenner und Eachleute
auf keinem wissenschaftlichen Gebiet jemals sicher
sind — sonst gäbe es keinc Justizirrtümer und medizini-
schen Fehldiagnosen erster Autoritäten — wir sagen:
93
/ahrgang 1927
1./2. NovcmbßrheH
Dtc flora=6ü(lc
oon
6dtnund fiUdebüandt
Der Professor der Kunstgeschichte an der Univer-
sität Berlin, Dr. Edmund Hildebrandt, vcröffentlicht in
nächster Zeit ein Werk über Leonardo da Vinci.
Das Buch, das in der Q. Q r o t e ' schen Verlagsbuch-
handlung, Berlin, erscheint, enthält auch ein Kapitel über
die Flora-Büste des Kaiser-Friedrich-Museums. Der
„Kunstwanderer“ ist in der Lage, einen Auszug aus
diesem Kapitel, worin der hervorragende Kunsthistoriker
die Echtheit der Büste und die eigenhändige Ausfiihrung
durch den großen Meister unbedingt anerkennt, heute
schon wiederzugeben.
PW bei der „Auferstehung“ (von Leonardo) inner-
halb der Kreise der Fachwissenschaft sich abspie-
lende Kampf der Meinungen hat bei dem zweiten der
von Bode dem Leonardo zugeschriebenen Berliner Be-
sitzstücke bekanntlich das Interesse der breitesten
Oeffentlichkeit in monatelanser Spannung versetzt.
Leidenschaft und Parteiiichkeit hatten damals die Situa-
tion mehr getrübt als geklärt, und noch in allerjüngster
Gegenwart liaben die persönlichen Gegner Bode aufs
neue ihre alten Anklagen gegen die Erwerbung dieses
Kunstwerks erhoben. Ftir uns gilt es auch hier, alles
in Schrift und Wort niedergelegte Für und Wider zu-
nächst einmal zu ignorieren und den eigenen Augen das
Urteil zu überlassen, e h e den fremden Stimmen Ge-
hör geschenkt wird.
Der äußere Sachverhalt ist kurz folgender: Im
Sommer 1909 wurde durch die Berliuer Museums-
verwaltung eine lebensgroße, 66 cm hohe, stark be-
schädigte, aber in den Hauptpartien wohlerhaltene be-
malte Wachsbüste einer halbnackten jungen Frau für
den Preis von 160 000 Mark erworben und von der
Kommission unter dem Vorsitz Bodes als Originalwerk
Leonardos oder seiner Schule der Oeffentlichkeit vor-
gestellt. Nicht Iange darnach erschien in den „Times“
ein Artikel, der das Werk als eine moderne, um 1850
entstandene Arbeit des im Zeitalter dcr Queen Victoria
lebenden Bildhauers Lucas erklärte. Die Meldung ver-
breitete sich alsbald durch die gesamte europäische
Presse und zeitigte eine Hochflut von großen und klei-
nen Artikeln, die von der stets für Sensationen weit
melir als für ernste Wahrheiten dankbaren breiten
Masse begierig aufgegriffen wurden. In den Wochen
der ersten Erregung konnte man in dem Saal, wo die
Flora stand, in hellen Scharen Angehörigen der Kreise
begegnen, denen die „Kunst“ sonst wcniger als Hekuba
bedeutete. Die in die Defensive gedrängte Direktion
der Museen, an der Spitze Bodc, hatte den Kampf gegen
zwci Fronten aufzunehmen, gegen die von englischer
Seite propagierte, von einem Teil der wissenscliaft-
lichen und persönlichen Gegner Bodes mit Fifer aufge-
griffene Lehre von der „Fälschung“ und der in Ver-
wirrung geratenen „öffentlichen Meinung“, die ange-
sichts des „hohen“ Preises der Erwerbung nach „Klä-
rung“ verlangte, die ihr bis auf den heutigen Tag vor-
enthalten blieb. Es erübrigt sich zu betonen, daß selbst
bei dem Nachweis eines Mißkaufs auf Grund eines Irr-
tums, vor dem aucli die größten Kenner und Eachleute
auf keinem wissenschaftlichen Gebiet jemals sicher
sind — sonst gäbe es keinc Justizirrtümer und medizini-
schen Fehldiagnosen erster Autoritäten — wir sagen:
93