Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI issue:
1./2. Februarheft
DOI article:
Hieber, Hermann: Die Régence-Zimmer des Kunstgewerbemuseums Berlin
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0245

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Dte Regence^Bimmet’ des Kunßöetüeübemufeums Bet?Un

oon

jiet’mann fiiebev

f wei besonders kostbare Stücke des Berliner
Kunstg'ewerbemuseums wären im vergangenen
Sommer um ein Haar einem Tauschgeschäft zum Opfer
gefallen. AIs vor einigen Jahren die Bestände des
Kunstgewerbemuseums in der Prinz-Albrecht-Straße
nach dcm Schloß überführt wurden, das sich damals in
das „Schloßmuseum“ verwandelte, blieben im Erd-
geschoß dic beiden vertäfelten französischen Rokoko-
zimmer zurück, die der Geheimrat Lessing in den Jah-
ren 1S90 und 1903 erworben hatte. Ob es nicht doch
möglich gewesen, diese Vertäfelungen in einem histo-
rischen Gebäude Berlins unterzubringen — gerade im
Schloß steht noch heute viel wertloses Gerümpel herum,
auch hätte das Charlottenburger genügend Raum gebo-
ten oder das Palais K r e u t z in der Klosterstraße —
wollen wir hier nicht näher untersuchen. Genug: die
Rokokozimmer blicben in der Prinz-Albrecht-Straße
zurück und waren dem Dr. K ü m m e 1, der seihe
ostasiatische Abteilung im Erdgeschoß einrichtete,
ein Dorn im Auge. Das hätten sie eigentlich
auch nicht zu sein brauchen, denn gerade Rokoko
verträgt sich selir gut mit „Chihoiserien“, wie
man in Pillnitz oder in Nymphenburg oder in
Oranienbaum feststellen kann. Der Kunstfreund jeden-
falls, der sich über das bloße Spezialistentum erheben
kann, freut sich, wenn er zwischen all den matten, „neu-
tralen“ Museumsräumen diese Oasen feinster und
sicherster Kultur entdeckt. Indessen der General-
direktor von Falke war anderer Meinung und schlug
dem Kultusminister Becker vor, die beiden Räume
gegen eine byzantische Goldemailplatte mnzutauschen,
und wenn nicht Professor Hermann S c h m i t z die
Oeffentlichkeit noch in letzter Stunde alanniert hätte,
wären wir sie auf immer losgewesen.

Hat sich der Kampf um diese Gegenstände, der
zuletzt sehr scharfe und bittere Formen annahm, dcnn
auch wirklich gelohnt? Sind sie so wertvoll und so
selten, daß ihr Verlust eine Lücke in unseren Berliner
Kunstbesitz gerissen hätte? Karl Scheffler hat
damals dicse Frage verneint. Er schrieb in „K u n s t
u n d K ü n s 11 e r“:

Die beiden Holzvertäfelungen waren beim
Umzug der Sammlungen im ehemaligen Kunst-
gewerbemuseum verblicben, wo sie in der Abfolge
der Räume der ostasiatischen Kunstabteilung nur
nocli als s t ö r e n d e E n k 1 a v e n wirkten. Sie
im Schloß einzubauen, das selbst über weit bedeu-
tendere historische Räume verfügt, wäre s i n n 1 o s,
Ihr eigener künstlerischer Wert ist überdies n i c h t
hervorragend. Es ist also ein Fall gegeben,
in dem man der Veräußerung in jeder Hinsicht nur
zustimmen kann, und man möchte hoffen, daß der
Tausch doch noch zustande kommt.

Wenn Scheffler recht hätte, wäre die ganze Auf-
regung umsonst gewesen. Aber er hat durchaus n i c h t
r e c h t. Es kann gar keine Rede davon sein, daß irgend
eines der Berliner Schlösser über „weit bedeutendere
historische Räume verfügt“. Zwischen dem etwas un-
gefügen Frühbarock dcr Zeit Friedrichs I„ wie er
namentlich im Charlottenburger Schlosse gut vcrtreten
ist, aber aucli in dcn Prunkräumen des Berliner
Schlosses, und der Dekorationskunst eines N a h 1 und
H o p p e n h a u p t aus der Periode Friedrichs d. Gr„
klafft ein Loch. Während der Regierungszeit Friedrich
Wilhelms I., in den zwanziger und dreißiger Jahren des
18. Jahrhunderts, blühte in Frankreich dcr Regence-
Stil, dcr nach Süd- und Mitteldeutschland hinüber-
strahlte: nach München, nach Ansbach und Würzburg,
nach Dresden. Die Meistcr der französischen Innen-
dekoration werden an deutschen Höfen stürmisch be-
gehrt — nür niclit in P r e u ß e n , wo der Geiz und die
Kunstfcindlichkcit des Soldatenkönigs einen derben,
bäuerlichen Puritanismus vorschrieb und jede Spur
weltmännischer Eleganz verabscheute. Sein Sohn
konnte in der kurzen Spannc Zeit, die ihm seine schlesi-
schen Kriege übrig ließen, die Versäumnisse dreier
Jahrzehnte niclit wieder gutmachen. Nach dem Sieben-
jährigen Kriege aber fehlten dic Meister des Charlotten-
burger Schlosses, des Potsdamer Stadtschlosses und
des „Königlichen Weinbergs“ Sanssouci, K n o b e 1 s -
d o r f und seine Mitarbeiter. Die Glanzzeit des Rokoko
ist nach 1760 vorüber — das Neue Palais ist schon bei-
nahe ein Anachronismus.

Der Fürstbischof von Würzburg, P h i 1 i p p
F r a n z v o n Schönborn, wußte genau, warum
er seinen Hofbaumeister B a 11 h a s a r N e u m a n n
1723 nach P a r i s schickte. Es handeltc sich nicht
allein um das Studium der Architektur, sondern auch
darum, geschickte Handwerker zu gewinnen für die
Ausstattung der Residenz, die seit vier Jahren im Bau
war; er sollte besonders gute Stücke kaufen oder kopie-
ren. Kurz zuvor, in den Jahren 1715 bis 1719, hatte
der königliche Bauintendant R o b e r t d e C o 11 e für
den Grafen von Toulouse das Hotel de la Vrilliere um-
gebaut und daraus jene berülnnte Hotel de Tou-
1 o u s e gemacht, das den „S t y 1 e R e g e n c e“ ein-
leitete. Die steife, frostige Pracht des „S t y 1 e
L o u i s XIV.“ mußte den Ansprüchen des Adels an
größere Wohnlichkeit und Behaglichkeit weichen: zu
den Forderungen der „Bienseance“ und „Ordonnance“
kam die der „C o m o d i t e“ hinzu. Die wirkt sicli
auch sofort in der Innendekoration aus. Die Wohnun-
gen, die der Adel, bald aber aucli die Steuerpächter und
Bankiers, die aus der Bourgeosie aufgestiegen, in der
Hauptstadt für sicli einrichteten, waren kleiner, intimer
als in den bisher üblichen Repräsentationsbauten. Sic

229
 
Annotationen