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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Juliheft
DOI Artikel:
Justi, Ludwig: Lovis Corinth: zum 70. Geburtstage des Meisters am 21. Juli
DOI Artikel:
Voss, Hermann: Ein angebliches Jugendwerk Elsheimers
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0494

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lich Geschautes darzusteilen, es gibt vielerilei Höhe-
punkte dieser Möglichkeiten, von China bis Madrid, von
Giotto bis Cezanne. Die Arten zu bewerten ist sinnlos,
der Wert dcs Kunstwerkes liegt im Rang des Erlebens

und des Gestaltens. Corinths Meisterwerke bedeuten
innerhalb einer bestimmten Möglichkeit der Malkunst
eine äußerste Höhe, auf der sie in stolzer Unerreichbar-
keit stehen.

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oon

Hßt’mann Doss

[—1 einrich Weizsäcker veröffentlicht in Heft 3 der
* „Zeitschrift für bildende Kunst“ (laufender Jahr-
gang) ein im Jahre 1911 der Antwerpener Galerie ge-
schenktes Gemälde, das er für die Frtihzeit Elsheimers
in Anspruch nimmt. Es ist dem verdienten Forscher an-
scheinend entgangen, daß die von ihm für elsheimerisch
gehaltene Komposition nichts anderes ist als eine in der
Hauptgruppe getreue und nur durch allerhand Zutaten
erweitcrte Wiederholung eines Bildes von Alessandro
Allori im Palazzo Pitti zu Florenz, an dessen altüber-
lieferter Zuschreibung keinerlei Zweifel möglich sind.

Ich vermag auch in dem Antwerpener Bild keine
anderen Stilmerkmale als die unverkennbaren Züge des
Allori wahrzunehmen, ja es scheint mir, daß gerade die
hinzugefügten Partien, so der aus einer Schüssel trin-
kende Johannesknabe, die Hintergrundlandschaft mit
der Flucht nach Aegypten und die stillebenartigen Zu-
taten, noch deutlicher für Allori sprechen als die Haupt-
figur selber. Eine genauere Analyse der beiden Varian-
ten in Antwerpen und Florenz kann dem Leser erspart
werden, da die beigegebenen Abbildungen über die
Verschiedenheiten im Einzelnen und in der Gesamt-
anlage genügend orientieren.

Ein Zweifel wäre allenfäfls daran derikbar, ob in
dem Antwerpener Exemplar elne eigenhändige Arbeit
Alloris zu sehen sei oder eine in seiner Schule entstan-
dene Variante. Aber auch wenn man den letzteren,
m. E. unwahrscheinlichen Fall unterstellen wollte, müßte
die Neubearbeitung des Themas aus zwingenden stilisti-
schen Gründen dcm Meister selber gegeben werden, der
sich höchstens bei der Ausführung helfender Hände be-
dient haben könnte. Dagegen vermag ich nicht zu
sehen, in welchen Zusammenhang Elsheimer mit dicsem
Tatbestand zu bringen sein sollte, wie ich denn
auch — ganz abgesehen hiervon — nicht das mindeste
von Elsheimers Geist oder seinen äußeren Stilmerk-
maien in dem Antwerpener Bilde entdecken kann.

Eher läßt sich unterschreiben, was Weizsäcker über
die ikonographische Deutung des Gegenständlichen aus-
führt. Das Florentiner Exemplar hat zwar, soviel ich
seh'e, jederzeit als eine Darstellung dcr Madonna mit
dem Kind gegolten, aber sowohl der Typus wie die
Tracht der mädchenhaft gebildeten Hauptfigur scheint
in der 'hat auf etvvas anderes hinzuweisen. Weizsäckers
Gedanke einer symbolischen Ausdeutung der Gruppe

(Christusminne im Sinne der mittelalterlichen Mystik)
hat zweifellos etwas Bestechendes. Im gleichen Sinne
ließe sich übrigens auch das merkwürdige Motiv anfüh-
ren, daß das Christuskind in seinen beideri Händen je
einen Kranz hält: mit der Rechten drückt es den
Blumenkranz auf das Haupt der sogen. „Madonna“,
während es in der Linken die Dornenkrone hält. Man
denkt unwillkürlich an die (durch Hugo Wolifs Verto-
nung berühmt gewordenen) Worte eines alten spani-
schen Christusminne-Liedes:

Die (sc. Kränze) von Dornen sind für mich,

Die von Blumen reich’ ich Dir.

Weizsäcker hat beobachtet, daß die Antwerpener
Hintergrundsszene der Flucht nach Aegypten auffälliger-
weise das Jesuskind nicht mit darstellt. Er legt gerade
auf diesen Umstand entscheidenden Wert, ja möchte in
dem bewußten Vermeiden der doppelten Darsteliung
einer Figur im gleichen Bild eine Art indirekten Beweis
dafür erblicken, daß auch die Hauptgestalt nicht im Hin-
tergrund wiederholt worden sein könne, sie müsse mit-
hin anders denn als „Madonna“ gedeutet werden. Diese
Folgerung ist vielleicht etwas überspitzt und würde mir
an sicli nicht zwingend erscheinen; es ist indessen ein-
zuräumen, daß auch wesentlichere, in der Hauptfigur
selber liegende Momente in die gleiche Richtung weisen.

Es liegt nicht in meiner Absicht, in diesem Zusam-
menhang über Alessandro Allori zu sprechen und teil-
weise Ausführungen zu wiederholen, die über diesen
Künstler in meiner „Malerei der Spätrenaissance in Rom
und Florenz“ zu lesen sind. Nur soviel möchte ich kurz
bemerken, daß mehrere Stilmerkmaie, die von Weiz-
säcker der venezianischen und niederländischen Schuie
zugute geschrieben werden, tatsächlich in dem reiferen
Schaffen Alloris gang und gäbe sind. Es ist m. E. auch
weder notwendig, angesichts der Landschaft an die
Frankenthaler Schule zu erinnern, noch das „ton-
angebende Blau in der Bekleidung der Hauptgestalt“
mit den Bolognesen — zu denen übrigens Carlo Dolci
n i c h t gehört — in Verbindung zu bringen.

Ich führe endlich noch einen Satz aus Weizsäckers
Darlegungen im Wortlaut an, da er mir ein warnendes
Beispiel für gewisse Superiativismen erscheint, die ihre
Ursache in einer allzu unkritisch-gefühlsmäßigen Els-
heimer-Begeisterung (hier durchaus am falschen Ort)
haben. Weizsäcker meint: „Man kann beruhigt sagen,

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