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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Augustheft
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Rosenberg, Max: Auge und Kamera: eine Jamnitzerstudie
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Schmitz, Alfred Ludwig: Frühchristliche Kunst in Paris
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0541

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Das Material, das in der alten Kunst zur Unter-
suchung solcher Fragen, auch in ihrer Uebertragung auf
die menschliche Figur, vorliegt, muß einmal gesammelt
werden. Hier ein kieiner Beitrag, den mir der Zufall
beim Durchblättern der „Kölnischen Illustrierten Zei-
tung“ in die Hand gespielt hat.

In meinem „Jamnitzer“ liabe ich auf Taiel 75, 80, 81
und in „Merkzeichen“ Bd. III S. 68 einige Abbildungen
vorgelegt, mit deren I Iilfe man den Bemühungen
Christoph Jamnitzers (1592—1618) um Erfassung der
Bewegung nachspüren kann. Ohne jetzt schon unter-
suchen zu 'wohen, wie groß etwa der Anteil eines an-
deren Meisters dabei gewesen sein mag, bewundern wir
die ausgezeichnete Punzierung mit den klassisch gewor-
denen B ewegungsp r o bl eme ti beim Wettlauf des

Meleager und der Atalante und dann die drei kleinen
Figuren des Gehenden, dcr Laufenden und der Fliehen-
den, so wenigstens motivierte ich mir die Zusammen-
stellung rneiner Jamnitzer-Tafel, deren Figuren wir hier
wiederliolen. Icli stel'Ie eine Momentphotographie des
Läufers Peltzer den Jamnitzer’schen Kleinplastiken
gegenüber. Wir erkennen, und hoffentlich auch der
Leser, daß die Figur auf dem Erdglobus eine Läuferin,
freilich im Flugcharakter ist. Wenn wir sie mit der
Peltzerphotographie vergleichen, überrascht uns das
liohe künstleri'sche Vermögen und die unübertreffliche
Sicherheit, mit we'Icher ein Nürnberger Plastiker im Be-
ginn des 17. Jahrhunderts es vermocht hat, die Flucht
der Erscheinung so zu bannen, wie wir es nie einem
Menschen, sondern nur dem Apparat zugetraut hätten.

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AtfTcd Ludtüig Scbmit^

I—< rühchristliche Kunst ist nicht populär. Die Zahl der
1 Kunstfreunde ist gering, die eine auch nur ungefähre
Kenntnis von dem Bestande der Kuhst der alten
Christen hat oder nu.r erstrebt. Nicht allzu viele wer-
den von sich sagen, daß ihnen Werke der ersten sechs-
hundert, siebenhundert Jahre unserer Ze'itrechnung, so-
weit sie chiistlich sind, ästhetisch etwas bedeuten und
menschlich unentbehrlich sind. Etwas Katakomben-
romantik, die in W'irklichkeit viel weniger romantisch
ist, als man sich gemeinhin vorstelit ist die Grundkge
des Klischees, mit dem man überwiegend in seinem
Kopfe die Vorstellung von der frühchristlichen Kultur
und Kunst reproduziert.

Das alles hat seine guten Gründe. Die Ungunst der
Verhältnisse ist der Erhaltung des Denkmälcrbestandes
nicht günstig ge'wesen. Doch kann das nicht entschei-
dend sein, da noch genug geblreben ist, um eine ein-
wandfreie Vorstellung, auch von den Höhepunkten die-
ser Kunstepoche gewinnen zu können. Das wichtigste
Hemmnis ist eine ästhetische und seelische Indisposition,
die katastrophaler Weise zusammentreffen. Frühchrist-
liche Kunst ist spätantike Kunst, wenn sie auch, was auf
dem byzantinischen Flügel besonders deutlich erkenn-
bar ist, Grund'lage und Anfang einer ganz neuen, der
mittelalterlichen Kunst wird. Das Erscheinen nun der
frühchristlichen Kunst in der antiken Form maclit den
Freunden der Antike das Verständnis so schwer, weil
die frühchristlichen Werke gerade der Anfangsperiode
in e'iner Zeit politischer Unruhe, kultureller Unsicherheit
und leligiöser Umwertung aller Werte über eine gerin-
gere malerische Fertigkeit und eine zweifelhafte plasti-
sche Kapazität nicht hinauskommen. Diese — nicht ab-
zustreitenden — Mängel dcr neuen Kunst werden aber
vielfach durch eine, oft an die Kunst Primitiver erin-
nertide, Ausdruckskraft paralysiert. Und diese Aus-

druckskraft hat dann ihre Wurzel in einer religiösen
Mentalität, eben der frübchristlichen, die dem Menschen
des 20. Jahrhunderts gefühlsmäßig sehr fern zu liegen
scheint. Auch intellektuell. Dieses Fehlen der verstan-
desgemäßen Voraussetzungen gibt den Rest, weil so oft
nicht einmal die Absicht des Kunstwerkes und seine oft
verwickelte Symbolik verstanden wird. Daß, wie
überhaupt in der spätantiken, noch wegelosen
Zeit, auch für die frühchristlichen Werke die
rein formgescbichtlichen Probleme von ganz be-
sonderem Interesse sind, kann natühliich nur von
den Fachleuten gewertet werden und vvird von einem
weiteren Kreis mit Recht ignoriert.

Das ahes ist zweifellos richtlg. Und trotz- und alle-
dem: könnte man außer in Italien, wo auch der ernste
Reisende sich zunächst an die erdrückende Fül'le der ge-
fühlsmäßig nahestehenden Meisterwerke zu halten hat,
und außer im Orient, deu zu erleben nicht allzu vielen
vergönnt ist, eine genügende Vorstellung von der Kunst
der alten Christen gewinnen, so vvürde der Kreis ihrer
Freunde vielleicht doch ein größerer sein. Diesseits der
A'lpen liegen aber die Verhältnisse besonders ungünstig.

Die Umstände B e r 1 i n s können das gut demon-
strieren, well die Hauptstadt dank dem Weitblick
Wilhelm v. Bodes, der Tatkraft Joseph Strygowskis und
der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Katal'o-
gisierung Oskar Wu’lffs einc geschlossene frühchristliche
Sammlung hat, die sich der lebhaften Aufmerk-
samkeit der internationälen Wissenschaft erfreut. Das
Kaiser-Friedrich-Museum hat sogar als einziges Museum
diesseits der Alpen ein großes ravennatisches (Apsis-)
Mosaik der frühbyzantinischen Epoche, wenn dieses auch
durch törichte Vernachlässigung in der Mitte des
19. Jahrh. so reparaturbedürftig geworden ist, daß man
bei einer Führung kaum wagen darf alles zu nennen,

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