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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Januarheft
DOI article:
Waetzoldt, Wilhelm: Museum und Rundfunk
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0199

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Jvlufeum und Rundfunk.

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lOÜbdm 10a et^cüdt

Trn Winterprogramrn der Berliner Funkstunde ist ein
neues Schlagwort aufgetaucht: „Die Berliner
Museen“. Unter diesem Sammelbegriff werden Einzel-
vorträge und Vortragsreihen angekündigt, die für die
Berliner Museen werben wollen und von ihnen handeln.
In das System von Unternehmungen, die das gemein-
same Ziel haben, unsere Sammlungen lebendig zu
machen, ist damit ein weiteres Qlied eingefügt worden;
zu Führungen in den Museen, Vorträgen iin liörsaal der
Staatlichen Kunstbibliothek und Aufsätzen in Zeit-
schriften und Zeitungen gesellen sicli nun Radiovorträge
über hervorragende Neuerwerbungen, über die Tätig-
keit hinter den Kulissen der Museen, über Bilderschick-
sale, sowie über einzelne Kunstwerke in den Staatlichen
Kunstsammlungen.

Das Kultusministerium lratte schon vor längerer
Zeit auf die Notwendigkeit hingewiesen, im Rahmen des
Vortragswesens der Funkstunde die großen Bildungs-
institute Berlins gebührend zu berücksichtigen. Auch bei
den Leitern unserer Museen brach sich die Einsicht
immer mehr Bahn, daß eine wissenschaftlich einwand-
freie und würdige Propaganda für die Schätze der
Sammlungen unumgänglich sei, und der Kulturbeirat
der Funkstunde faßte die von verschiedenen Seiten
kommenden Anregungen zusammen und übermittelte
sie der Funkstunde. Die Leiter des Vortragswesens
haben dann in dankenswerter Bereitwilligkeit gemein-
sam mit den Museen das Programm der ersten
Museumsvorträge aufgestellt.

Es handelt sich um eineu Versuch, über dessen
Schwierigkeiten keiner der Beteiligten itn Unklaren ist.
Jede Form sprachlicher Verständiguug hat ihre eigenen
Gesetze: Die Rede, der Aufsatz, die Führung und der
Radiovortrag. Innere und äußere Voraussetzungen,
technische Bedingungen und Wirkungsmöglichkeiten
sind grundverschieden. Wie ein „Schreibe“ noch keine
„Rede“, so ist ein Lichtbildervortrag im Universitäts-
hörsaal nocli kein Rundfunkvortrag. Der aus guten
Gründen vorgeschriebcne und unbedingt einzuhaltende
Zeitraum von 25 Minuten verlangt Konzentration auf
das Wesentlichste, Abrundung des Inhaltes jeweilig zu
einem selbständigen Ganzen und — bei Vortrags-
reihen — Verbindungsglieder zwischen den meist um
eine Woche auseinanderliegenden Vorträgen. Dazu
kommen die besonderen radiotechnischen Anforderun-
gen an den Redner: lebendige, scheinbar im Augenblick
sich erzeugende Vortragsart, Rücksicht auf ein unsicht-
bares und in seiner Zusammensetzung völlig unbekann-
tes Hörerpublikum und Verzicht auf die Anschauung.

Damit berühren wir einen Punkt, der nach weit-
verbreiteter Ansicht Radiovorträge über Werke der
bildenden Künste von vornherein zu verbieten scheint.
Solange der Sender nur Worte und noch nicht gleich-

zeitig Bilder übermittelt und solange es noch nicht
gelingt, jedem Radiohörer das erforderliche Anschau-
ungsmaterial in billigen Reproduktionen in die Hand zu
geben, liegt hicr tatsächlich eine gewisse Problematik
vor. Aber auclr aus dieser Not läßt sich eine Tugend
machen. Zunächst darf jeder Redner mit einem
gewissen, ganz allgemein vorhandenen Schatz an
Anschauungen bei allen Hörern rechnen: nämlich mit
dem Vorstellungsbesitz, den das tägliche Leben liefert
und ständig nährt. Jedes Schaufenster, jeder Gang
über die Straßen, das Kino und die Zeitschrift, die
Ansichtskarte und das Buch, alle diese Quellen opti-
scher Eindrücke speisen die Phantasie der Stadt-
menschen (und an diese wendet sich ja seiner Reich-
weite nach der Berliner Sender zunächst) mit
Anschauungsstoff. In ihm liegen die Elemente
optischen Verständnisses, an die der Radiosprecher
appelieren, mit denen er rechnen und über die er zu
höheren Vorstellungen anschaulicher Art führen kann.

Die besondere Aufgabe der Museumsvorträge wird
aber gar nicht die sein, Anschauung zu e r s e t z e n ,
sondern das anschauliche Erlebnis zu ergänzen
oder es vorzubereiten. Hier öffnet sich ein weites Feld
pädagogischer Mögliciikeiten. Alles das, was das
unmittelbare Ansehen eines Kunstwerkes noch nicht
hergibt, seine kunstgeschichtliche Bedeutung, seine
Erwerbungs- und Entstehungsgesclrichte, seine Behand-
lung und Bewertung in der wissenschaftlichen Literatur
u. a. m. bildct den Stoff für den Redner. Er kann bei
denen, die die Werke, von denen er sprechen will,
schon kennen, die Erinnerung befestigen, die Eindrücke
vertiefen, die ästhetische und historische Ordnung auf-
weisen, der das Einzelne angehört, er kann aber auch
in denjenigen seiner Hörer, die noch nicht die Objekte
gesehen lraben, von denen sein Vortrag handelt, die
Sehnsucht nach dcm Museum wecken und in ihnen die
geistigen Voraussetzungen für einen intensiven Kunst-
genuß schaffen. Ausgesprochen oder unausgesprochen
— alle Museumsvorträge dienen der Ueberwindung der
Museumsscheu und Museumsmüdigkeit. Deshalb würden
wir es besonders begrüßen, wenn aucli unsere Fach-
genossen außerhalb der Museeu sich an ähnlichen Vor-
tragsfolgen beteiligen.

Es ist gar nicht zu leugnen, daß auf der ganzen
Erde die Kurve der Museumsfreude im Sinken ist. Der
laute Betrieb amerikanischer Sammlungen mit ihren
Kindervorträgen, Konzerten, Kinovorstellungen und
anderen populär-pädagogischen Lockmitteln spricht
nicht dagegen, sondern beweist, daß man sich auf die
stille Anziehungskraft der Museen allein nicht veriassen
kann. Jede, auch die geschickteste Propaganda fitrdet
nun aber ihre natürliche Grenze in der inneren Auf-
nahmefähigkeit des Publikums. Wo nicht für irgend eine

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