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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI Heft:
1./2. Augustheft
DOI Artikel:
Rosenberg, Max: Auge und Kamera: eine Jamnitzerstudie
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0539

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/ahrgang 1928

Herausgcber: i\dOlptl DonQtfl

1-/2. AugasiUeü-

Auge und Kameüa

Sinc laninit^cp(ludic
oon

Jvlax Rofcnbet^g

|as Verblüffendste, das man einem Laien, der sich
porträtieren läßt, sagen kann, ist, daß sein Bild
nicht ähnlich werden kann und nicht ähnlich zu werdeu
braucht. Der Begriff „Aehnlichkeit“ der die Porträts
früherer Jahrhunderte vollkommen deckte, hat unter
dem Einfluß der Photographie einen gesteigerten Inhalt
erhalten, den die Malerei nicht decken kann. Es kommen
aber auch noch andere Schwierigkeiten hinzu, die in der
Unmöglichkeit der genauen Naturnachschaffung liegen.
Zola hat versucht den Kunstfreund durch das oft wieder-
holte Wort: „L'art est la nature vue ä travers un tempe-
rament“ über das Versagen der Porträtähnlichkeit zu
b e r u h i g e n und Böcklin ist es gelungen, ihn durch
seinen Satz, daß bei einem Porträt der Maler immer her-
auskommt, niemais aber der Porträtierte, auf die Dauer
grtindtich zu beunruhige n.

Geistreiche Leute suchen uns dadurch zu helfen, daß
sie vom Porträtisten nicht die Aehnlichkeit der Sitzungs-
stunde, sondern die Summe des Ausdrucks von Leben
und Tun verlangen. Das zwingt zu einem Ineinander-
arbeiten verschiedener Momente, was etwa denselben
Schwierigkeiten unterliegt, die den Ktinstler in der Dar-
stellung der Bewegung allerseits hemmen.

Man hat darüber viel’ nachgedacht und ist zu der
Einsicht gelangt, daß das Problem nicht durcb Darstel-
lung eines ausgewählten bestimmten Moments inner-
halb der Bewegung erreicht werden kann, sondern nur
durch Vereinigung mehrerer Einzelmomente. Das In-

einanderarbeiten derselben und die Adjustierung zu
e i n e m Bilde führt natürliich zu einer Unwahrheit, aber
diese Unwahrheit der Natur gegenüber ist die Wahr-
heit in der Sprache der Kunst, sowohl im Allgemeinen
wie besonders, wenn es sicli um Uebermittinng eines
Bewegungsmotivs handelt.

Wie man sich im Laufe der Jahrhunderte zu solchen
Problemen gestellt hat, ist nie systematisch untersucht
worden, und nur — wie auffallend es auch erscheinen
mag — und nur bei den in Bewegung gesetzten vier
Füßen des Pferdes hat man sich eingehend mit der
Frage beschäftigt.

Wer dem großen Problem der Darstellung des
„cavallo“, der Reiterfignr in der Renaissance, nacli-
gegangen ist, weiß, welche unendlichen Schwierigkeiten
der Schritt des Pferdes den Bildhauern bereitet, eine
Schwierigkeit, die aucli iu der Kuust von heute noch
nicht mit voiler Sichcrbeit überwunden zu werden pflegt.
Man kann nicht mit der Fußstellung in der Hundertstel-
sekunde, wie sie die Momentphotographie zeigt, sondern
höchstens mit der Zehutelsekunde der Beobachtung
durch das Auge arbeiten, wobei eine G r u p p e von
weit kürzeren Bewegungen das im Gedächtnis fest-
gehaltene Bild ergibt.1)

5) Die Zahlen sind nicht zum nachrechnen, sie sollen lediglicli
dem Laien einen Begriff vermitteln. Der gelegentlich durch Zufall
gewonnene exzeptionell kurze „Augenblick“ ist in der alten Kunst
nicht systematisch verwendet worden.

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