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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI Heft:
1./2. Juniheft
DOI Artikel:
Bogeng, Gustav A. E.: Betrachtungen aus der Bibliophilenperspektive, [1]
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0458

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Beteacbtungen aus der BibUopbilcnpecfpektiüe

oon

6. A. 6. Bogeng

i.

J-c ibliophilie, Phiiobiblie, wie man mit dem wackeren
Richard de Bury sagen müßte, ist eine aus Bücher-
liebe sich gestaitende Biicherliebhaberei. Eine Art der
Betrachtung des Buches durch den Leser, tnit der dieser
jenem selbständige Werteigenschaften zumißt. An-
scbauung der Bücherwelt, die sie in einer Projektion
sieht, welche der CavaHerperspektive vergleiehbar
wird, die den Gegenstand über Eck betrachtet, mit einer
schiefen Augenstellung, in der er sich halb von oben, halb
von der Seite zeigt. Es ist nicht die Froschperspektive
aus einer unter ihrern Gegenstande liegenden Gesichts-
punkte. Und nicht die Gesamtansicht von oben her im
Vogeiblick. I)ie Bibiiophilenverspektive faßt das Buch
in einer Gesamterscheinung seiner Individualität zusain-
men, das „Buch“ sei'bst als solches, das Buoh„objekt“
und das Buch„subjekt“. An sich ist die bibliotechnische
Probiematik nicht an das Buchdruckwerk gebunden, als
welches uns das Buch der Gegenwart nocli vorwiegend
giit: Ausgestaltung eines Werkgehaltes durcli eine be-
grenzte und bestiimmte Buchform, die ihn dem Leser
vermittelt. Die Buchformeigenschaften hat die Kultur
der Menschheit sich gewonnen, auch das Buch über-
windet Raum und Zeit. Es erhält im Gedächtnis der
Menschheit voitkommen eine Werkgestaltung, es gi'bt sie
so wieder, wie sie die Fähigkeiten eines Leisers sie ihm
zeiigen. Bereits da besteht ein Gegensatz im Geistigen
und im Gemütiichen zwischen Buch und Leser. „Leser,
wie gefali ich Dir? Leser, wie gefellst Du mir?“ fragte,
1654, Friedrich von Logau in seinen „Deutschen Sinn-
Getichten“. Das Buch ist Unterhaltung eines Lesers mit
einem Verfasser, wenn die Aufnahmefähigkeit elines
Lesers mit in Betracht gezogen wird, sonst eiin Ver-
fasservortrag, der ein Werk wiedergibt, einem Leser,
der ihm zuhört. Bestehende reproduktionstechnische
Schwierigkeiten baben lange in der einen Buchform die
Sprache durch Schrift übermittelt und wiedergabbar ge-
macht, wofür andere, vollkommenere Möglichkeiten
mlittelbarerer Wiedergabe in beliebigen Wiederholungen
nun schon aufgefunden worden sind, die das Hören dem
Leser zurückzugeben beginnen, und aucli bereits das
Sehen. Abbiiden, Lauten und Tönen, sind in den Anfän-
gen einer Kunst der Maschine verfeinert, versinnlicht
worden, in Anfängen, die auf die großen Künstler warten,
die in Bewegungsbildern malen werden mit Farben-
spielen, auf die Dichter fiir die Reiche des Sprechens
und Tönens, die wieder Ton- und Wortkünste zu-
sammenführen.

Aber wenn das keine Utopie ist, wenn ein neuer
„Laokoon“ von einem neuen Lessing weisen sollte, wo
die Grenzen von Malerei (und Musik, von Plastik) und
von Poesie liegen, wird das nichtder völlige Zusammeri-
bruch aller altgewohnten Buchwerte? Ablösung bedeu-

tete bereits die Abtrennung des Buches von der Bühne,
öbgleich, geschichtllich geisehen, dlie Entwicklungen hier
umgekehrt verfuhren, in das Buch die Bühnendichtuug
und die Tonkünste hinüberieiteten, um ihrer Urgestalt
Widerstandsfä'higkeit gegen die Zeit zu geben. Die Auf-
zeichnung einer Bühnendichtung ist das Original der
Phantasie ihres Poeten, die schöpferische Verkörperung
seiines Werkes. Auch die beste Wiedergabe vermag sie
so nicht zu wiederholen. Sie bekommt so, bessere oder
schlechtere, fremde Züge. Die Ausformung durch ein
Buch neutralisiert sein Werk auf einer Grenze, der der
Verstänidi'gungsmöglichkeiten zwlschen Mensch und
Mensch. Die Ausdrucksmittel, die einem Verfasser-
vermögen beschieden sind, könnten derart beherrscht
werden, daß Buchideal und Werkideal zusammenfallen,
daß die Auswertungen eines Werkgehaltes durch däe
Buchgestaltung ein „Idealibuch“ erreichen.

Der Bibliophile, der sieh derart das Buch-Werk als
eine äußere und innere Einheit träumt, steht hier am
Scheidewege. Denn in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft kann er kein Idealbuch vermerken. Die Faust-
Goethe-Grammophonpiatte vermittelte ihm den Vorleser
Goethe, nicht dessen Werk. Der Film der Shakespeare-
Bühne zeiigte ihm den Schauspieler Shakespeare, nicht
dessen Werk. Die geistige, die gemütliche, die künst-
lerische Schöpfung eines Werkes reicht höher, als sie ihr
Urheber sellbst wiederzugeben vermag, sofern er nicht
von ihm beherrschte Mittel nutzen muß. Aber des Autors
ureigene Buchwiedergabe bleibt doch noch immer die
vollkommenste Werkwiederspiegelung, auf das engste
zeitgebunden und auf das weiteste zeitlos zugleich. Der
Abstand zwischen Original und Reproduktion bleibt hier
der kleinste, denn auch der Autor im Produzieren repro-
duziert. Nur daß seine Reproduktion die echteste, die
unverfälschteste Wiedergabe ist. Es sei denn, daß dem
Werke wesensfremde Elemente von seinem Autor zuge-
tragen werden. Ein beister Dichter braucht nicht ein
größter Schauspieler oder Vorleser zu sein. Das Bucli
neutralisiert. Leser und Verfasser treffen in ilim an
einem Rain zusammen, an dem die Aufnahmemöglichkei-
ten des einen, die Mitteilungsmöglichkeiten des anderen
die feiingestimmtesten sind. Dem Nachschöpfer überläßt
am reinsten hier der Schöpfer sein Werk. Mehr kann er
nicht tun, söliange die Menschen sterblich sind, als jenem
in lauter oder leiser Schrift die Wesenheit seiner Worte
zurücklassen.

Das Begreifender Unvollkommenheit der Dinge die-
ser Erde ist eine Resiignation, die der Bibliiophile mit dem
Philosophen teiit. Das Bemühen, durch das Buch die
höchstmögliche sinnl'iche Vergegenwärtigung eines Wer-
kes zu gewinnen ein Bestreben, das künstlerisch ist. Die
Art und Weise, in der es verwirkiicht wurde, muß

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