Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 9./10.1927/28
Zitieren dieser Seite
Bitte zitieren Sie diese Seite, indem Sie folgende Adresse (URL)/folgende DOI benutzen:
https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0114
DOI Heft:
1./2. Novemberheft
DOI Artikel:Bischof, Norbert: Künstlerisches Gestalten des Kindes
DOI Artikel:Widmer, Johannes: Kunstbrief aus der Schweiz
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0114
vollkommene Vorstellung. Jeder Versuch begrifflicher
oder formaler Analyse, Verstehen- und Erklärenwollens
dieses Unbegreiflichen scheitert. Nur eines sei zum
Inhaltlichen gesagt, um Mißverständnisse zu vermei-
den. Die zum größten Teil biblischen Sujets der Bilder
dürfen unter keinen Umständen als Ergebnis eines von
außen an die Kitider herangetragenen Systems aufge-
faßt oder als Auswirkung einer bestimmten geistigen
Atmosphäre ausgelegt werden. Die Kindcr sind nicht
religiöser, frömmer als andere. Wenn sie mit Vorliebe
biblische Themen für ihre Darstellungen wählen, so er-
härtet sich eben auclt hier wieder die ungeheuere seeli-
sche Strahlungskraft der Bibel, die sich stets dartut,
wo die transzendenten Komponenten des Komplexes
Kunst vorherrschend sind. Mit der konventionellen
Frömmigkeit haben diese Bilder nichts zu tun. Wohl
aber verraten hier Keuschheit des Empfindens eine oft
geradezu explosive Kraft der Darstellung und eine un-
glaubliche Beherrschung der Komposition in Form und
Farbe den Reichtum der Schätze, die in der Seele des
Kindes liegen und von der normalen Erziehung so
gründlich verschüttet werden, daß es nur in seltenen
Ausnahmefällen dem bewußt gewordenen Menschen
gelingt, Bruchstücke davon zu heben.
Proben
der Malerei
sechs- bis vierzehn-
jähriger Kinder
Aus der Ausstellung
des
Oesterreichischen
Museums in Wien
Kunffbetef aus dev Scbwetz
von
lobannes IDtdmet’^Qenf
/\/\an darf füglich von einem Wogen des künstleri-
schen Lebens in der Schweiz reden: Kein Monat,
wo nicht in einer unserer Städte, oder in mehreren zu-
gleich, eine bedeutsame Leistung, sei es eine Erinne-
rung, sei es eine Neuschöpfung, zutage tritt uud den
Kunstfrohen zum Reiseu zwingt. In B e r n sah man
die v a n Gogh-Sammlung K r ö 11 e r aus dem
Haag, die von Basel in die Kunsthalle der Bundesstadt
umgezogen war und an der Aare denselben Zuspruch fin-
den konnte wie am Rhein; denn der Holländcr ist und
bleibt trotz der nachdrücklichen Berührung mit dem
gallischen Land und Wesen Germane im Gefühl und
Ausdruck, genau wie Hodler es blieb, mochte er sich
lange am französischen Umgang und Malen verfeinert,
104
oder formaler Analyse, Verstehen- und Erklärenwollens
dieses Unbegreiflichen scheitert. Nur eines sei zum
Inhaltlichen gesagt, um Mißverständnisse zu vermei-
den. Die zum größten Teil biblischen Sujets der Bilder
dürfen unter keinen Umständen als Ergebnis eines von
außen an die Kitider herangetragenen Systems aufge-
faßt oder als Auswirkung einer bestimmten geistigen
Atmosphäre ausgelegt werden. Die Kindcr sind nicht
religiöser, frömmer als andere. Wenn sie mit Vorliebe
biblische Themen für ihre Darstellungen wählen, so er-
härtet sich eben auclt hier wieder die ungeheuere seeli-
sche Strahlungskraft der Bibel, die sich stets dartut,
wo die transzendenten Komponenten des Komplexes
Kunst vorherrschend sind. Mit der konventionellen
Frömmigkeit haben diese Bilder nichts zu tun. Wohl
aber verraten hier Keuschheit des Empfindens eine oft
geradezu explosive Kraft der Darstellung und eine un-
glaubliche Beherrschung der Komposition in Form und
Farbe den Reichtum der Schätze, die in der Seele des
Kindes liegen und von der normalen Erziehung so
gründlich verschüttet werden, daß es nur in seltenen
Ausnahmefällen dem bewußt gewordenen Menschen
gelingt, Bruchstücke davon zu heben.
Proben
der Malerei
sechs- bis vierzehn-
jähriger Kinder
Aus der Ausstellung
des
Oesterreichischen
Museums in Wien
Kunffbetef aus dev Scbwetz
von
lobannes IDtdmet’^Qenf
/\/\an darf füglich von einem Wogen des künstleri-
schen Lebens in der Schweiz reden: Kein Monat,
wo nicht in einer unserer Städte, oder in mehreren zu-
gleich, eine bedeutsame Leistung, sei es eine Erinne-
rung, sei es eine Neuschöpfung, zutage tritt uud den
Kunstfrohen zum Reiseu zwingt. In B e r n sah man
die v a n Gogh-Sammlung K r ö 11 e r aus dem
Haag, die von Basel in die Kunsthalle der Bundesstadt
umgezogen war und an der Aare denselben Zuspruch fin-
den konnte wie am Rhein; denn der Holländcr ist und
bleibt trotz der nachdrücklichen Berührung mit dem
gallischen Land und Wesen Germane im Gefühl und
Ausdruck, genau wie Hodler es blieb, mochte er sich
lange am französischen Umgang und Malen verfeinert,
104