Sache wenigstens eine geschmackliche oder geistige
Disposition schon vorhanden ist, kann auch die beste
Reklame nur beschränkten Erfolg haben. In dem großen
Auf und Ab der intellektuellen Bewegungen und ästheti-
schenStrömungen geht die Lust an den Museen zur Zeit
durch ein Wellental. Das liegt nicht an den Museen,
sondcrn ist eine Teilerscheinung eines weit größeren
geistesgeschichtlichen Phänomens: einer gewissen
Abkehr nämlich von der Kunstgeschichte. Der sinken-
den Besucherzahl der Museen entspricht die sinkende
Auflagezahl kunstgeschichtlicher Büclier. Andere
Interessen schwimmen zur Zeit oben. Die Frage, wie
man jung bleibt oder wieder wird. wie man zum Erfolg
kommt und wie berühmte Männer ihren Weg gemacht
haben, allcs Körperliche und greifbar Materiellc auf der
einen Seite, andererseits jede Aussage über Seelisches,
wie z. B. die Handschrift und die unbewußten Zeug-
nisse, derer die Psychoanalyse habhaft wird, das sind
jedenfalls einige der Gebiete, die heute stärker die
Phantasie dcr Menschen fessein als Kunstwerke,
Künstlerbiographien und Stilerörterungen.
Es wäre nun aber grundfalsch, aus dieser Schwer-
gewichtsverschiebung im System der öffentlichen
Interessen die Notwendigkeit der Resignation oder gar
der Vernachlässigung unserer Museen herleiten zu
wollen. Großc und ehrwürdige Institutionen müssen
warten können. Je weiter sie mit Stolz zurückblicken,
um so weiter sollten sie auch voll Selbstvertrauen vor-
ausblicken. Es mag sein, daß die Zeiten der großen
Erwerbungen und des imperialistischen Sammeltriebes
aus verschiedenen Gründen vorbei sind und daß die
Eorderung des Tages heißt: die Stoffmassen zu sichten,
zu ordnen, sie benutzbar und genießbar zu machen.
Nun gut: dann ist die Befriedigung dieser Tagesbedürf-
nisse eben die nächste Pflicht der Museen. Das ver-
langt erhöhte Aktivität ihrer Lciter, das verlangt ein
Arbeiten auf weite Sicht und nach festen Plänen, es
verlangt aber auch ein Ausnutzen aller modernen
geistigen Verkehrs- und Verständigungsmittel. Zu
ihnen gehören dic Ausstellungen, die Führungen, die
Vorträge so gut wie die Presse, der Film und der
Rundfunk.
LDatmm cUe „Jvtadonna cli Qacta7 nut? ctne Kopte tff 2
oon
flet’mann Beenken — letpEtg
P s ist überraschend, wie die Kriterien, ob ein Biid
^ Original oder Kopie sei, noch immer nicht derart
sichere sind, daß jeder Streit sich von vornherein aus-
schließt, ja, daß sie es auch dann noch nicht sind, wenn
wir eine und dieselbe Komposition in zwei Eassungen
besitzen, die an entscheidenden Pnnkten von einander
abwcichen. So ist jüngst ein bis vor kurzem im Besitze
des Eürsten Puttbus auf Rügen und heute im Kunst-
handcl befindliches1) Bild in verschiedenen Städten zur
Schau gestellt worden mit dem Anspruche, daß es sich
um ein Original Raffaels, um cine ältere schon in der
florentinischen Zeit des Meistcrs entstandene Fassung
der „Madonna aus dem Hause Alba“ in der Petersburger
Eremitage handele. Dieser Attribution sind namhafte
Mnseumsmänncr beigetreten, und in Aufsätzen der
„Zeitschrift für bildende Kunst“ haben sicli Hermanin2)
und Baldass3) für die Priorität des neu aufgetaucliten
Bildes erklärt. Das Petersburger Tondo wurde zwar
dem Werke Raffaels belassen, aber man glaubte nach-
weisen zu können, daß die figurale Komposition
ursprünglich nicht für das Rundbild, sondern fiir das
quadratische Format eben jener sogenannten „Madonna
di Gaeta“ konzipiert sei, und daß sie erst gelegentlich
T Qerüchtweise verlautet, daß das Bild neuerdings in den
Besitz des Vatikans übergegangen sei.
2) Federigo Hermanin, Die Madonna aus dem Hause Alba und
die Madonna di Qaeta, Zeitschrift für bildende Kunst, Jg. 59, S. 81.
3) Ludwig Baldass, Die Stellung der Madonna di Qaeta im
Werke Raffaels, Zeitschrift fiir bildende Kunst, Jg. 60, S. 32.
der Anfertigung der späteren Replik dem Kreisumriß
eingefügt sei.
Wenn wir an dieser Stelle dem Versuche, eine, wie
wir meinen, keineswegs besonders hervorragende
Kopie zu einem Originale Raffaels zu stempeln, ent-
gegentreten, so geschieht es nur deshalb, weil unseres
Erachtens hier ein Fall vorliegt, bei dem sich von dem
gewohnten, aber so leiclit anfechtbaren Kriterien der
Stilkritik ganz absehen läßt und eine Entscheidung auf
Grund sehr viel strengerer und beweiskräftigerer
Indizien möglich ist. Diese Besonderheit des „Falles“
mag es auch verzeihen, wenn jemand in die Debatte
eingreift, der sich sonst keineswegs berufen fühlt, in
Dingen, die Raffaels Person und Stil betreffen, ein Wort
mitzureden.
Voraussetzungen.
Im ganzen läßt sich die Frage, ob die Madotina di
Gaeta cin Original Raffaels sein kann, auf das eine
Problem zusammenziehen, ob sie oder ob das Tondo der
Eremitage das friiher entstandene Bild ist, ob, wenn
man nicht gar mit einem dritten Exemplar rechnen will,
dieses oder jenes Bild das Vorbild des anderen gewesen.
Ist die Gaeta vor der Alba entstanden, so wird Raffael
zum mindesten für den Entwurf verantwortlich seitt,
auch wenn die Ausführung einem Schüler übertragen
worden sein mag. Ist dagegen umgekehrt die Alba
vor ihr entstanden, so käme Raffael als Autor der Gaeta
selbst dann nicht in Frage, wenn sich herausstellen
sollte, daß auch die Alba kein eigenhändiges Werk ist.
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Disposition schon vorhanden ist, kann auch die beste
Reklame nur beschränkten Erfolg haben. In dem großen
Auf und Ab der intellektuellen Bewegungen und ästheti-
schenStrömungen geht die Lust an den Museen zur Zeit
durch ein Wellental. Das liegt nicht an den Museen,
sondcrn ist eine Teilerscheinung eines weit größeren
geistesgeschichtlichen Phänomens: einer gewissen
Abkehr nämlich von der Kunstgeschichte. Der sinken-
den Besucherzahl der Museen entspricht die sinkende
Auflagezahl kunstgeschichtlicher Büclier. Andere
Interessen schwimmen zur Zeit oben. Die Frage, wie
man jung bleibt oder wieder wird. wie man zum Erfolg
kommt und wie berühmte Männer ihren Weg gemacht
haben, allcs Körperliche und greifbar Materiellc auf der
einen Seite, andererseits jede Aussage über Seelisches,
wie z. B. die Handschrift und die unbewußten Zeug-
nisse, derer die Psychoanalyse habhaft wird, das sind
jedenfalls einige der Gebiete, die heute stärker die
Phantasie dcr Menschen fessein als Kunstwerke,
Künstlerbiographien und Stilerörterungen.
Es wäre nun aber grundfalsch, aus dieser Schwer-
gewichtsverschiebung im System der öffentlichen
Interessen die Notwendigkeit der Resignation oder gar
der Vernachlässigung unserer Museen herleiten zu
wollen. Großc und ehrwürdige Institutionen müssen
warten können. Je weiter sie mit Stolz zurückblicken,
um so weiter sollten sie auch voll Selbstvertrauen vor-
ausblicken. Es mag sein, daß die Zeiten der großen
Erwerbungen und des imperialistischen Sammeltriebes
aus verschiedenen Gründen vorbei sind und daß die
Eorderung des Tages heißt: die Stoffmassen zu sichten,
zu ordnen, sie benutzbar und genießbar zu machen.
Nun gut: dann ist die Befriedigung dieser Tagesbedürf-
nisse eben die nächste Pflicht der Museen. Das ver-
langt erhöhte Aktivität ihrer Lciter, das verlangt ein
Arbeiten auf weite Sicht und nach festen Plänen, es
verlangt aber auch ein Ausnutzen aller modernen
geistigen Verkehrs- und Verständigungsmittel. Zu
ihnen gehören dic Ausstellungen, die Führungen, die
Vorträge so gut wie die Presse, der Film und der
Rundfunk.
LDatmm cUe „Jvtadonna cli Qacta7 nut? ctne Kopte tff 2
oon
flet’mann Beenken — letpEtg
P s ist überraschend, wie die Kriterien, ob ein Biid
^ Original oder Kopie sei, noch immer nicht derart
sichere sind, daß jeder Streit sich von vornherein aus-
schließt, ja, daß sie es auch dann noch nicht sind, wenn
wir eine und dieselbe Komposition in zwei Eassungen
besitzen, die an entscheidenden Pnnkten von einander
abwcichen. So ist jüngst ein bis vor kurzem im Besitze
des Eürsten Puttbus auf Rügen und heute im Kunst-
handcl befindliches1) Bild in verschiedenen Städten zur
Schau gestellt worden mit dem Anspruche, daß es sich
um ein Original Raffaels, um cine ältere schon in der
florentinischen Zeit des Meistcrs entstandene Fassung
der „Madonna aus dem Hause Alba“ in der Petersburger
Eremitage handele. Dieser Attribution sind namhafte
Mnseumsmänncr beigetreten, und in Aufsätzen der
„Zeitschrift für bildende Kunst“ haben sicli Hermanin2)
und Baldass3) für die Priorität des neu aufgetaucliten
Bildes erklärt. Das Petersburger Tondo wurde zwar
dem Werke Raffaels belassen, aber man glaubte nach-
weisen zu können, daß die figurale Komposition
ursprünglich nicht für das Rundbild, sondern fiir das
quadratische Format eben jener sogenannten „Madonna
di Gaeta“ konzipiert sei, und daß sie erst gelegentlich
T Qerüchtweise verlautet, daß das Bild neuerdings in den
Besitz des Vatikans übergegangen sei.
2) Federigo Hermanin, Die Madonna aus dem Hause Alba und
die Madonna di Qaeta, Zeitschrift für bildende Kunst, Jg. 59, S. 81.
3) Ludwig Baldass, Die Stellung der Madonna di Qaeta im
Werke Raffaels, Zeitschrift fiir bildende Kunst, Jg. 60, S. 32.
der Anfertigung der späteren Replik dem Kreisumriß
eingefügt sei.
Wenn wir an dieser Stelle dem Versuche, eine, wie
wir meinen, keineswegs besonders hervorragende
Kopie zu einem Originale Raffaels zu stempeln, ent-
gegentreten, so geschieht es nur deshalb, weil unseres
Erachtens hier ein Fall vorliegt, bei dem sich von dem
gewohnten, aber so leiclit anfechtbaren Kriterien der
Stilkritik ganz absehen läßt und eine Entscheidung auf
Grund sehr viel strengerer und beweiskräftigerer
Indizien möglich ist. Diese Besonderheit des „Falles“
mag es auch verzeihen, wenn jemand in die Debatte
eingreift, der sich sonst keineswegs berufen fühlt, in
Dingen, die Raffaels Person und Stil betreffen, ein Wort
mitzureden.
Voraussetzungen.
Im ganzen läßt sich die Frage, ob die Madotina di
Gaeta cin Original Raffaels sein kann, auf das eine
Problem zusammenziehen, ob sie oder ob das Tondo der
Eremitage das friiher entstandene Bild ist, ob, wenn
man nicht gar mit einem dritten Exemplar rechnen will,
dieses oder jenes Bild das Vorbild des anderen gewesen.
Ist die Gaeta vor der Alba entstanden, so wird Raffael
zum mindesten für den Entwurf verantwortlich seitt,
auch wenn die Ausführung einem Schüler übertragen
worden sein mag. Ist dagegen umgekehrt die Alba
vor ihr entstanden, so käme Raffael als Autor der Gaeta
selbst dann nicht in Frage, wenn sich herausstellen
sollte, daß auch die Alba kein eigenhändiges Werk ist.
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