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Donath, Adolph [Editor]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI issue:
1./2. Juniheft
DOI article:
Prott, Max: Zur Pflege und Erhaltung antiker Gobelins
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0452

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But? PfleQe und et?battung anttket? QobeUns

oon

Max Pcott

| eutschland ist arm geworden, arm an Geld, aber
nicht arm an Kunstwerken. Zn den letzteren gc-
hören nach den Wcrken dcr hohen Kunst, den Bau-
wcrken, Skulpturcn und Bildcrn, vornchmlicli dic
gcwirkten Wand- oder Bildteppiche, die sogenannten
G o b e 1 i n s , die sich in enorm großer Zahl nocli tiberall
in deutschen Landen vorfinden.

Mit dem seit etwa 40 Jahren zur hohen Entwicklung
gelangten Handel mit Antiqüitäten, dcr den Sammeleifer
angcregt und das Intcresse für dic Erzeugnisse dcr
Kunstbetätigung frtihercr Jahrhunderte wachgerufen hat,
ist auch der Gobelin, der Bildteppich, dcr ein Jahrhundert
lang völlig aus dcr Modc gekommen war, wicder zu
Ehren und Ansehen gelangt.

Im wohlhabend gewordenen Deutschland der
wilhelminischen Geschichtsperiode wurde er, der lange
Zeit Unbeachtete und Verschmähte, wieder aus Keller-
und Bodenverschlägen, aus Truhen und Kisten an das
Tageslicht gebracht und ihm seine verloren gegangene
behcrrschende Stellung, die er als der denkbar pracht-
vollste textile Wandschmuck bis zum Ausgang des
18. Jahrhunderts eingenommen hatte, zurückgegeben.
Kein Schloß, kein Patrizierhaus, kein vornehmer Wohn-
raum war seitdcm wicdcr ohne Gobelins mehr denkbar!

Gemeint sind jene alten herrlichen textilen
Schöpfungen friiherer Jahrhunderte; denn im Mittelalter,
vom 12. Jahrhundert etwa an, war die Bildwirkerkunst
eine hohe Kunst in allen Kulturländern, in ausgedehntem
Maße in Flandern, in Italicn und in Frankreich. Ihr Vcr-
fall trat erst ein, als sie, besonders in den späteren Arbe'-
ten der 1662 von Colbert gegründeten staatlichen Pariser
Gobelin-Manufaktur, den gefährlichen Versuch unter-
nahm, mit ihrer Schwesterkunst, der Oelmalerei, zu
wetteifern. Hierbei entfernte sie sich gänzlich von ihrer
ursprünglichen Bestimmung, die in der Aufgabe
wurzelte, große Wandflächen in monumentaler Weise
zu bekleiden. Die im Zeitalter Ludwigs XV. alles be-
herrschenden zierlich-graziösen Formen des Rokoko
waren nicht geeignet, für die großzügige Kunst des Bild-
teppichwirkers als Ausdrucksmittel zu dienen, und wenn
cr es wagte, die anmutigen Schöpfungen Bouchers und
anderer Maler dcr Grazien mit Hilfe der Spule durcli
farbige verflochtene Fäden in seiner Technik nach-
zuschaffen, so gelang es ihm nur, schöne textile
B i I d e r , aber keine Bild-T e p p i c h e herzustellen.

Es ist nicht zu verwündern, daß mit dem Beginn dcs
Maschinen-Zeitalters, also etwa seit 1800, die Ausübung
dieser herrlichen Kunst, die nur in bedächtiger Weisc
arbeiten konnte, wenig Interesse mehr bei den moder-
nen Menschen fand. Das Eilzugternpo, das der Kultur-
mensch des 19. und 20. Jahrhunderts seinem ganzen Tun
und Handeln unterlegte, konnte bei dieser Kunst der
Fadenmalerei, wie bei jeder hohen Kunst, keine Anwen-

dung finden. Hier hieß es naeh wie vor in Ruhe und
Ueberlegung künstlerische Gefühlc und Empfindungen in
tcxtilem Gewande ohne maschinelle Vorrichtung nur mit
Hilfe der menschlichen Hand zum Ausdruck zu bringen.

So viele Vcrsuche zur Wiederbelebung dcr Gobelin-
Wcbkunst denn aucli in allen europäischen Ländern iu
unserem Zeitalter gemacht worden sind —es sei nur an
die hervorragenden Arbeiten des genialen englischen
Kunstgewerblers William Morris erinncrt, der 1881 einc
Manufaktur in der Nähc von London ins Leben rief —
bis jetzt hat sich dic Bildwirkerkunst noch nicht
annähernd zu jener Höhe aufzuschwingen vermocht, die
sie im Mittelalter bis zum Ausgang des 17. Jahrhunderts,
in ihrer klassischen Zeit, am Himmel der Kunst ein-
genommen hatte.

Die hervorragendsten Malkünstler der Gotik, dcr
Renaissance und des Barocks hatten sich damals in ihren
Dienst gestcllt und Kartons für sie geschaffen; geistliche
und weltliche Fürsten, Päpste, Kaiser und Könige, die
Häupter vornehmer Patrizierhäuser ließen es sich ange-
legen sein, den Bildwirkern umfangreiche Aufträge zur
Ausschmückung von Kirchen, Schlössern, Burgen, Rat-
häusern, Palästen und Wohnräumen mit Bildteppichen
zuzuwenden bezw. selbst zu erteilen.

Heute bewundern wir in Museen, Schlössern und
Kunstsammlungen diesc Erzeugnisse einer längst zu
Grabe getragenen, wahrhaft großen Kunst, dic einstmals
Jahrhunderte hindurch viele Tausende fleißiger
Menschenhände ununterbrochen beschäftigt hat und bc-
greifen in unserer von Unrast erfüllten, schnellebigen
Zeit nicht mehr, wie es nur möglich gewesen ist, so un-
endlich viel Mühe, Fleiß und Geduld.aufzuwenden, um
solclie gewaltigen Schöpfungen zu zeitigen.

Bei solcher Betrachtung drängt sich uns unwillkür-
lich dcr Gedanke auf, ob denn auch wohl zur Erhaltung
all dieser kostbaren, ja unersetzlichen Meisterwerke ver-
gangener Kunstepochen in unserer Zeit das Nötige getan
wird, damit wir dies von unseren Vätern uns über-
kommene wertvolle Erbe auch dermaleinst noch in gut
erhaltenem Zustande auf unsere Nachkommen werden
überliefern können?

Wir können diese Erage durchaus nicht mit einem
freudigen Ja beantworten, miissen vielmehr sagen, daß
lcider vicl zu wenig getan wird, um diese unvergleich-
lichen Dokumente des Kunsthandwerks früherer Zeit-
läufte in gutem Zustande späteren Geschlechtern zu
erhalten.

Das Gesetz der Trägheit herrscht, wie überall im
menschlichen Tun und Handeln, auch hicr; liier sogar in
besonders starkem Grade.

Enorm groß ist nocli die Zalil der in Schlössern,
Museen, Kunstsammlungen, in öffentlichen Gebäuden,
Kirchen, Rathäusern und auch im Privatbesitz befind-

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