Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen
— 9./10.1927/28
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0113
DOI Heft:
1./2. Novemberheft
DOI Artikel:Bischof, Norbert: Künstlerisches Gestalten des Kindes
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0113
der — aller Kinder — emporblüht, nicht von den Strah-
len erwachsener, rationaler, kritischer Bewußtheit ver-
sensft werde. Ein Kerl der spekuliert ist wie ein Vieh!
Das Werk: Auf Blättern aller Formate bis zu zwei
Quadratmetern zeichnen die Kleinen, 6 bis 8-jährigen,
mit bunten Kreiden Dinge, die wir nur seiten inhaltlich
zu deuten wissen. In formaler Hinsicht konstatieren
und Wertigkeit wunderbar ausgeglichen, von roten,
gelben und schwarzen Linien mehrfach umschlossen,
komplizierteste Formen durcheinander, die wir nie ge-
sehen haben. ,,Da geht es aber wild zu!“ fragte der
Lehrer. Eine direktere Frage würde das Kind zu einer
rationalen Stellungnahme und Antwort gezwungen und
damit das Rätsel des Bildes ungelöst gelassen haben.
Arbeiten
dreizehnjähriger
Knaben
Ein Fiinftel
der natürlichen
Größe (linear)
wir eine unbegreifliche Beherrschung des Räumlichen,
ein unbewußtes Wissen um Farb- und Formwerte, das
Bewunderung abnötigt. Darstellungselemente frühester
Kulturen erkennen wir wieder: Mexikanisches, Aegyp-
tisches, Maori- und Negerhaftes scheint feststellbar.
Sollte, wie das Embryo während seines intrauterinen
Wachstumes alle Stadien der Entwicklung animalischen
So antwortete der Bub: „Freilich! das ist ja auch der
Frühling, da muass alles noch aussa aus die Knospen.“
In der Bürgerschule geben sie den Zehnjährigen in
der Zeichenstunde Pinsel und Aquarellfarben in die
Hand und lassen sie ihr feuchtes Werk beginnen. Es
bilden sich zunächst düstere Kleckse, mit verschwim-
menden Rändern; aus diesen Klecksen werden Farb-
Probe der Malerei
sechs- bis vierzehn-
jähriger Kinder
Nach den
Methoden
Prcfessor Thetters
Lebens von der Zelle zum Menschen durchschrejtet,
auch der junge Mensch während seines geistigen
Wachstumes alle Stadien der Entwicklung des mensch-
lichen Geistes zu durchmessen haben? Der größte Teil
der Formen allerdings, die uns auf den Blättern der
jüngsten entgegentreten, ist, wie gesagt, uns nicht aber
den Kindern selbst, unverständlich. Auf einem Bildc
wogen in kräftigster Dynamik, dabei aber in Rhythmus
wirkungen erkannt, dann Formen gefunden, die an dies
und das erinnern; solche Entdeckung wird voll Stolz
durch schärfere Umreißung der bedeutungsvollen Form
betont; schließlich entstehen so bei immer vollkomme-
nerer Materialbeherrschung die freien Schöpfungen der
kindlichen Phantasie. Zu welchen Gipfelhöhen sich
diese erheben, davon geben die beigebrachten Abbil-
dungen eine in Ermangelung der Farben leider nur un-
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len erwachsener, rationaler, kritischer Bewußtheit ver-
sensft werde. Ein Kerl der spekuliert ist wie ein Vieh!
Das Werk: Auf Blättern aller Formate bis zu zwei
Quadratmetern zeichnen die Kleinen, 6 bis 8-jährigen,
mit bunten Kreiden Dinge, die wir nur seiten inhaltlich
zu deuten wissen. In formaler Hinsicht konstatieren
und Wertigkeit wunderbar ausgeglichen, von roten,
gelben und schwarzen Linien mehrfach umschlossen,
komplizierteste Formen durcheinander, die wir nie ge-
sehen haben. ,,Da geht es aber wild zu!“ fragte der
Lehrer. Eine direktere Frage würde das Kind zu einer
rationalen Stellungnahme und Antwort gezwungen und
damit das Rätsel des Bildes ungelöst gelassen haben.
Arbeiten
dreizehnjähriger
Knaben
Ein Fiinftel
der natürlichen
Größe (linear)
wir eine unbegreifliche Beherrschung des Räumlichen,
ein unbewußtes Wissen um Farb- und Formwerte, das
Bewunderung abnötigt. Darstellungselemente frühester
Kulturen erkennen wir wieder: Mexikanisches, Aegyp-
tisches, Maori- und Negerhaftes scheint feststellbar.
Sollte, wie das Embryo während seines intrauterinen
Wachstumes alle Stadien der Entwicklung animalischen
So antwortete der Bub: „Freilich! das ist ja auch der
Frühling, da muass alles noch aussa aus die Knospen.“
In der Bürgerschule geben sie den Zehnjährigen in
der Zeichenstunde Pinsel und Aquarellfarben in die
Hand und lassen sie ihr feuchtes Werk beginnen. Es
bilden sich zunächst düstere Kleckse, mit verschwim-
menden Rändern; aus diesen Klecksen werden Farb-
Probe der Malerei
sechs- bis vierzehn-
jähriger Kinder
Nach den
Methoden
Prcfessor Thetters
Lebens von der Zelle zum Menschen durchschrejtet,
auch der junge Mensch während seines geistigen
Wachstumes alle Stadien der Entwicklung des mensch-
lichen Geistes zu durchmessen haben? Der größte Teil
der Formen allerdings, die uns auf den Blättern der
jüngsten entgegentreten, ist, wie gesagt, uns nicht aber
den Kindern selbst, unverständlich. Auf einem Bildc
wogen in kräftigster Dynamik, dabei aber in Rhythmus
wirkungen erkannt, dann Formen gefunden, die an dies
und das erinnern; solche Entdeckung wird voll Stolz
durch schärfere Umreißung der bedeutungsvollen Form
betont; schließlich entstehen so bei immer vollkomme-
nerer Materialbeherrschung die freien Schöpfungen der
kindlichen Phantasie. Zu welchen Gipfelhöhen sich
diese erheben, davon geben die beigebrachten Abbil-
dungen eine in Ermangelung der Farben leider nur un-
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