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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

DOI Heft:
1./2. Januarheft
DOI Artikel:
Wilm, Hubert: Über das Restaurieren alter Holzskulpturen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0207

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den Hochaltar der Klosterkirche in Blaubeuren hinge-
wiesen. Seine Schreinfiguren weisen eine Erhaltung des
Goldes und der Farben auf, die einzigartig genannt wer-
den muß. Mit besonderer Sorgfalt ist die Bemalung der
Gesichter ausgeführt, deren Oberfläche spiegelglatt und
glänzend wie Emaille ist. Die vom gelblichen Weiß
ins zarte Rosa spielende Fleischfarbe geht an den Wan-
gen und Lippen in ein tiefes Pfirsichrot über und gibt
den Gesichtern warmes, seelenvolles Leben. Von einer
ähnlichen Pracht der Erhaltung ist der in der Werkstatt
Daniel Mauchs entstandene Thalheimer Altar in der
Stuttgarter Altertiimersammlung. Diese Beispiele
mögen geniigen. Die Anzahl der in alter Fassung erhal-
tenen gotischen Einzelfiguren ist natiirlich noch größer
als die der intakten Altarwerke. Es sei nur auf die
prächtig erhaltene, vollrunde Figur eines Johannes des
Täufers aus Schülzburg, von einem schwäbischen
Meister des ausgehenden 13. Jahrhunderts hingewiesen,
die im Germanischen Museum zu Nürnberg ver-
wahrt wird.

Diese und ähnlich intakt auf uns gekommenen Pro-
ben gotischer Faßmalerei können dem modernen
Restaurator zum Vergleich mit den ihm anvertrauten
Skulpturen dienen.

Die heute neu auftauchenden Bildwerke mit origi-
naler Fassung haben meistens durch eine Jahrhunderte
alte Staubsclücht, durch den Kerzenrauch der Kirchen
oder durch einen später einmal aufgetragenen Firnis-
überzug viel von ihrer ursprünglichen Schönheit ein-
gebüßt. Es ist zu entscheiden, ob man diese alte Patina
auf einer Figur unverändert sitzen läßt, oder ob man,
vor allem bei Goldfassungen, zu einer Reinigung schrei-
tet, die dem Bildwerk den alten Glanz wiedergibt.

Am häufigsten tritt an den Restaurator die Aufgabe
heran, ein altes Bildwerk von einer oder von mehreren
späteren Uebermalungen zu reinigen. Ist unter den
späteren Farbschichten die originale Fassung gut erhal-
ten, so muß der Restaurator sein ganzes Können anwen-
den, um diese Uebermalungen, unter völliger Erhaltung
der alten, untersten Schicht zu entfernen. Diese Frei-
legung der alten Fassung kann auf zwei Arten
geschehen: Mit dem n a s s e n und dem trockenen
Verfahren. Das nasse Verfahren ist das schnellcre
und es wird überall da angewandt, wo die Uebermalun-
gen mit fetten, also mit Oelfarbcn ausgeführt sind. Je
fetter die Uebermalungen sind, desto leichter lösen sie
sich in der Abbeizmasse auf und können dann mit einem
stumpfen Eisen schichtenweise abgeschabt werden.
Besonders vollständig gelingt diese Freilegung der alten
Fassung, wenn es sich bei dem zu restaurierenden Werk
um spätere Uebermalungen auf einem Untergrunde von
Blattgold handelt. Schwieriger ist schon dic Loslösung
von Uebermalungen auf einer originalen Farbschicht.
Das chemische Hilfsmittel bei dieser Prozedur, die
Abbcizsalbe, stellen sicli die meisten Restauratoren
nach eigenem Rezept selbst her, denn das gute Gelin-
gen einer Restaurierung hängt in hohern Grade davon
ab, daß dem Restaurator die Zusammensetzung und die
Stärke seines Abbeizmittels genau bekannt ist. Einige

chemische Laboratorien haben jedoch in den letzten
Jahren auch eine in Blechdosen abgefüllte, gebrauchs-
fcrtige Abbeizsalbe unter den Namen Beizol, Pansol
u. s. f. in den Handel gebracht, die von guter Qualität
ist. Die Wirkung der Abbeizsaibe beruht darauf, daß
sie alle fetten Farben, also Oelfarben, Firnisse, Lack-
farben, Oelgold usw. angreift und auflöst, während sie
die mageren Farben, wie Tempera- und Wasserfarben
und aucli das Blattgold unberührt läßt. Da die gotischen
Faßmaler fast ausschließlich Wasserfarben und echtes
Blattgold auf Bolusgrund verwendet haben, bleiben

Abb. 4. Meister H. W. um 1515, Christus als Schmerzensmann
(Kopfdetail) — München, Sammlung des Verfassers
Mit dem nassen Verfahren von Uebermalungen gereinigt

diese, unter den späteren Uebermalungen liegenden
originalen Metall- und Farbschichten bei dem Vorgang
des Abbeizens geschont.

Das trockene Verfahren ist bedcutend
mühevoller und zeitraubender. Es muß in den Fällen
angewendet werden, in denen die Uebermalungen eben-
falls, wie der Untergrund, in mageren Farben ausgeführt
sind. Auch dann, wenn z. B. auf der alten Vergoldung
cinc spätere Vergoldung mit erneuter Kreidegrundie-
rung sitzt. Da wedcr die zur Uebermalung verwendcten
Wasserfarben, noch die Grundkreide von der Abbeiz-
salbe angegriffen werden, ist der Restaurator gezwun-
gen, in solchen Fällen die späten Farbschichten in lang-

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