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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Januarheft
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Tietze, Hans: Der Ausverkauf der österreichischen Klöster
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0214

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digste des österreichischen Kunsterbes, nicht aus aller
Welt zusammengebracht wie die kaiserlichen Samm-
lungen, sondern im Lande und für das Land verfertigt,
an Kulturzentren, die schon stark und mächtig auf die-
sem Boden standen, als die Habsburger liier die Krone
gewannen. Wer im oberösterreichischen Stift Krems-
münster den Kelch gesehcn hat, den Herzog Thassilo
von Bayern für eben dieses Haus gestiftet hat, ehe er
von Karl dem Großen vcrtrieben wurde und — ein
paar Stunden davon entfernt — in St. Florian in das
Zimmer gefiihrt worden ist, in dem die Erinnerungen
an den hier tätig gewesenen Regenschori Anton Bruck-
ner verwahrt werden, der fiihlt ehrfürchtig eine
kulturelle Einheit, die als lebendige Kraft mehr als ein
Jahrtausend umspannt.

Dieser klösteriiche Kunstbesitz ist in den Jahren
seit dem Kriege erschreckend abgebröckelt und für die
nächste Zukunft gefährdet; die wirtschaftliche Verelen-
dung Oesterreichs droht ihn aus einem Boden zu reißen,
der ihn Jahrhunderte hindurch treu bewahrt hat. Diese
Klöster, deren werbendes Vermögen größtenteils aus
Kapitalien, aus Wohnhäusern, aus vielfach im Neu-
ausland gelegenen Grundbesitz bestand, haben auf allen
drei Gebieten — durch Inflation, Mieterschutz und
Enteignung — die schwerste Einbuße erlitten; auf der
anderen Seite sind die sozialen Lasten, die Erhaltungs-
kosten ihrer weitläufigen Gebäude, die öffentlichen Ab-
gaben sehr empfindlich gestiegen. Die Kerze brennt,
wie die Franzosen zu sagen pflegen, an beiden Enden
ab. Und die notwendige Folge ist, daß die Klöster auf
einen Besitz greifen, der ihnen tot diinkt, und ilire Kunst-
werke Stück um Stück veräußern. Einzelne solche
Verkäufe — wie die der Gutenbergbibeln aus Melk und
St. Paul — haben in der Oeffentlichkeit Aufsehen
erregt; die ineisten sind in aller Stille vollzogen worden
und gehen unaufhaltsam weiter. Ein gewisser Trost
liegt darin, daß es bisher den öffentlichen Sammlungen
Oesterreichs gelungen ist, erhebliche Teile dieses zur
Abwanderung bestimmten Gutes für die Heitnat zu
retten; die Wiener Gemäldegalerie hat kostbare Bilder
aus Heiligenkreuz, St. Florian, St. Paul, dem Neukloster
erworben, die Plastiksammlung und das Kunstgewerbe-
museum konnten sich wichtige Stticke aus diesen Häu-
sern sichern, die Nationalbibliothek und die Albertina
Handschriften und Einblattdrucke aus Nonnberg,
Lambach, St. Paul, Vorau usw. an sicli bringen. Aber
diese Bemühungen waren nicht immer von Erfolg ge-
krönt, manches bedeutende Kunstwerk ist dennoch ins
Ausland gewandert, manches habcn auch die Samin-
lungen Deutschlands nicht aufzuhalten verinocht; ein
byzantisches Steinrelief aus dem Stift Heiligenkreuz
ist ins Victoria und Albert Museutn in London gelangt,
die dem Geertgen von St. Jans, später dem Gerard
David zugescliriebene Kreuzigung aus St. Floriau ist in
Amerika gelandet. Noch bedenklicher ist das unauf-
hörlich utid unkontrolliert Abfließende; man kann ohne
Uebertreibung sagen, daß der Antiquitätenmarkt und
insbesondere das Buchantiquariat in ganz Europa heute
zum guten Teil aus den Vorräten der österreichischen
Klöster gespeist wird.

So schlimm derartige Verluste sind, so können wir
uns doch nicht verhehlen, daß sie nur den Anfang von
schlimmeren bilden; einerseits weil die öffentlichen
Sammlungen in Dubletten und Depotstücken zunächst
eine gewisse Rücklage besaßen, die in den Inflations-
jaltren 'vorteilhaft abgestoßen werden konnte, ander-
seits weil die in finanzielle Bedrängnis geratenen
Klöster naturgemäß zunächst auf das Minderwichtige
gegriffen haben, aber im weiteren Verlauf, wenn das
leichter Entbehrliche dahin sein wird, auf immer wert-
vollere und wichtigere Stücke ihres Kulturinventars
werdcn greifen müssen. Die öffentlichen Sammlungen,
die ja so gut wie keine Dotation haben und die Denk-
malbehörden, die als Waffe nur ein papiernes Gesetz
besitzen, werden zusehen müssen, wie dieser älteste
Kunstbestand des Landes abwandert.

Denn man sieht nicht ein, was diese Bewegung
zum Stillstand bringen könnte. Gewiß haben diese
Klöster in ihrer vielhundertjährigen Geschichte schon
schwerc Krisen erlebt und iiberstanden, aber die gegen-
wärtige ist schwerer als alle früheren; auch der
Zusammenbruch der Klöster in der Reformationszeit,
der Aufhebungssturm der josefinischen Periode haben
Hekatoinben an künstlerischem Gut gekostet, aber der
wirtschaftlichen Katastrophe stand doch nicht die
unermeßliehe Wertsteigerung der in Rede stehenden
Objekte gegenüber, die jetzt ilire systematische Auf-
saugung durch das reichere Ausland zur Folge haben
muß, wenn nicht in irgend einer Weise vorgebeugt
wird. Diesen Scliutz gewährt das bestehende Denkmal-
schutzgesetz nicht und kann ihn nicht gewähren; denn
wenn auch staatliche und kirchliche Verordnungen
iibereinstimmend die Veräußerung solcher Gegenstände
untersagen, so bleiben sie doch in der Praxis not-
gedrungen unwirksam. Denn wenn ein Kloster eine
wirtschaftliche Zwangslage nachweist, so bleibt ja doch
nichts übrig, als immcr wieder und jedesmal ausnahrns-
weise den Verkauf zu genelnnigen, bestenfalls das
Objekt für eine inländische öffentliche Sammlung zu
erwerben — wenn die Mittel hierfür aufgebracht
werden können. Damit wird ein Loch zugestopft, aber
das eigentliche Problem bleibt unberührt; es ist die
glciche charakteristische Lotterwirtschaft, wie wenn
ein verarmter Privater ein Erbstück nach dem anderen
veräußert, um seinen unmittelbaren Bedarf an Geld zu
decken oder wie sie vor einigen Jahren — anläßlich des
damals geplanten Gobelinverkaufs — der österreichi-
sclie Staat selbst in Erwägung gezogen liatte. Die
Klöster verkaufen ein Stück um das andere, aber ihre
wirtschaftliche Lage bleibt die gleiche; bleibt die
gleiche mit allen unvermeidlichen Foigen.

Hier könnte nur ein weiter ausholender Wirt-
schaftsplan und das allgemeine Gefühl kultureller
Verantwortlichkeit helfen. Tatsächlich ist die Erhal-
tung dieses klösterlichen Kunstbesitzes keine Frage, die
vom Standpunkt irgend einer politischen Gesinnung
minder wichtig erscheinen könnte. Ob inan in ihm
den Niederschlag einer kirchlichen Kulturarbeit und
historischer Verhältnisse sieht oder den Ausfluß der
nationalen Begabung der deutschen Stämme dieses

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