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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Februarheft
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Hieber, Hermann: Die Régence-Zimmer des Kunstgewerbemuseums Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0246

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wurden zwangloser in der Linie. Die Scheinarchitekten
nach Yersailler Muster verschwanden — der M a 1 e r
hatte das Wort. Die Ornamentstecher Berain und
M a r o t und nach ihnen die G i 11 o t und 0 p p e n o r d
bestimmten die neuen Formen, bei denen das Muschel-
motiv und die Grottesken Italiens, aber auch c h i n e -
sische Elemente Pate standen.

Eben um diese Zeit kehrte man auch zu der
Zimmertäf clung zurück. Das war schon so
etwas wie ein Zugeständnis an den bürgerlichen
Geschmack, in die Wohnungskultur gotisclicr Zeiten.
Man gibt bald diesen vertäfelten Zimmern sogar den
Vorzug vor den mit Gobelins austapezierten. Mit den
zarten Wirkungen der Holzschnitzerei läßt sich vor-

Von beiden Arten vertäfelter Räume, der gestriche-
nen und vergoldeten wie der naturfarbenen, besitzt das
Berliner Kunstgewerbemuseum je ein erlesenes Bei-
spiel. Dem Nicolas Pineau (1684—1754) wird
das Nischenkabinett von A. de Champeaux
(,,L’art decoratif dans le vieux Paris“) zugeschrieben,
das man mit der Ninon de Lenclos in Verbindung ge-
bracht hat, ein Kabinett aus einem abgebrochenen
Hause des Boulevard Beaumarchais. Das bedeutet
höchste Anerkennung für die Qualität dieser Raum-
ausstattung: Pineau war ein sehr gefeierter und gesuch-
ter Innenarchitekt. Peter der Große hatte ihn nach
Petcrsburg berufen und ihm nach dem Tode des Archi-
tckten Le Blond die Leitung des Bauwesens in seiner

Abb. 3

züglich jener Flächenstil erzielen, den die kleinen Wohn-
gemächer erheischen. Germain Boffrand der führende
Architekt neben Robert de Cotte, gibt in seinem 1745
erschienenen ,,Livre d’Architecture“ Anweisung, wie
die Täfelung solcher Räume auszufiihren ist. Die Orna-
mente miissen gut verteilt und iibersichtlich sein; weder
diirfen sie ein zu starkes Relief und einen zu großen
Maßstab haben -— weil sie sonst das Zimmer verklei-
nern — noch umgekehrt zu flach und lose zerstreut
erscheinen, — damit sie selbcr nicht kleinlich wirken
und ihre Geltung einbiißen. Die ganze Täfelung soll wie
ein harmonisches Ganze erscheinen; wird Vergoldung
angewendet, so muß das mit größter Vorsicht
geschehen, damit die Hauptlinien der Zeichnung nicht
verwischt werden. Räume, die auf Lichtwirkung be-
rechnet sind: Salons, Boudoirs, Schlafgemächer, wer-
den weiß gestrichen und vergoldet; die Naturfarbe des
Eichenholzes blcibt Arbeitszimmcrn, kleinen Kabinetten,
vorbehalten.

neuen Hauptstadt übertragen. Seit 1726 arbeitete er
wieder in Paris. Pineau war als Mansart- und Boff-
rand-Jiingcr durch die beste architektonische Schulc
seiner Tage hindurchgegangen.

Die mit einem Baldachin gekrönte Nische deutet
auf die Bestimmung des Raumes als Schlafkabinett hin.
Der Bcttnische gegeniiber befindet sich die Fenstertür.
die auf die Straße fiihrte; die übrigen Wände werden
durch deu vortretenden Kamin mit reichdekoriertem
Spiegel dariiber und durcli die dem Kamin schräg gegen-
überliegende Tiir unterbrochen, die eine sogenannte
„Singerie“, ein Paneel mit cinem geigenden Affen und
Vögeln in der phantasievollen Art des Claude Gillot,
als plastische Supraporte trägt. In die Kaminwand sind
zwei dekorative Landschaftsgemälde im Stil Crepins
eingelassen; die Türwand enthält ebenfalls eine Land-
schaft. Die Pfeilerfüllungen und Bilderrahmen ebenso
wie der Baldachin sind von einer entzückenden Frische
und Zierlichkeit der Erfindung: hier entfaltet ein noch

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