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Donath, Adolph [Hrsg.]
Der Kunstwanderer: Zeitschrift für alte und neue Kunst, für Kunstmarkt und Sammelwesen — 9./​10.1927/​28

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1./2. Februarheft
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Hieber, Hermann: Die Régence-Zimmer des Kunstgewerbemuseums Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.26239#0247

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jungrfräulicher Stil zum ersten Flug seine Schwingen.
Noch ist alles Zierwerk, verglichen mit dem reifen
Louis XV., zurückhaltend und von strenger Symmetrie.
Man sp.ürt die Abstammung aus dem Louis XIV. — etwa
an der häufigen Verwendung des Palmettenmotivs.
Aber von der Kopie der Steinarchitektur hat man sich
losgesagt — selbst die Konsole, die zuvor stets die
Decke getragen hatte, ist verschwunden. Der Ueber-
gang von den Wänden zur Decke mit Hilfe einer male-
risch ornamentierten Hohlkelile ist die größte Kühnheit,
die dieses Zimmerchen aufweist. Außer dem Kamin
und der nachgeformten Decke ist nichts neu darin.

Das naturfarbene Kabinett in dunkler Eiche, das
aus dem abgebrochenen Palais S i 11 e r y in Paris
nach Berlin gelangt ist, gehörte dem frühen Louis XV.
an, dem Boffrand-Kreise, und ist vielleicht stilistisch
nicht so reizvoll wie das Nischenkabinett. Es steht ihm
aber an handwerklicher Qualität kaum nach. Die Ver-
goldung beschränkt sich im Wesentlichen auf Spiegel-
und Fensterrahmen und die Supraporte, die hier bereits
als Gemälde auftritt. Eine schmale Goldleiste trennt die
Stuckdecke — eine praclitvolle Originalstuckdecke! —
von den dunklebraunen Wänden. Aber die Feinheit der
Materialbehandlung ist erstaunlich. Das behutsame
Relief der Wandleisten und vor allem die Profilierung
der Türgewände und der für ein Sofa bestimmten
großen Nische — flache, wohlig gerundete Aushöhlun-

Abb. ]

Abb. 2

gen, die das Auge mit einer wahren Zärtlichkeit ab-
tastet — dürften sich im ganzen deutschen Rokoko
kaum nachweisen lassen. Die Ornamente sind nicht
etwa aufgeleimt, sondern mit größter Sorgfalt aus dem
Brctt geschnitzt.

Bruchstücke von solchen Holzvertäfelungen sind im
Kunsthandel nicht selten zu haben. In Berlin gibt es
so etwas in den Privatsammlungen F e i s t und Dr.
A 1 s b e r g. Aber ganze lückenlose Räume sind äußerst
begehrt, so begehrt, daß vor noch nicht langer Zeit das
New Yorker Metropolitan-Museum einen ganzen Flügel
solcher Vertäfelungen eingeräumt hat. Der Z u s t a n d ,
in dem sicli die Berliner Stücke gegenwärtig befinden,
entspricht keineswegs ihrer künstlcrischen Bedeutung.
Aus beiden Räumen hat man — vermutlich damals, als
sie herausgerissen und nach Paris abtransportiert wer-
den sollten — die kristallenen Lüster entfernt, dic unbe-
dingt zur Ausstattung gehören. Ja, noch mehr: das
Pineau-Kabinett ist als A b s t c 11 k a m m e r verwen-
det und bis auf den heutigen Tag für das Publikum
g e s p e r r t worden. Vielleicht kümmert sicli der
neue Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen
darum, daß beide Räume wieder vcrvollständigt und in
einen würdigen Zustand versetzt werden. Vor allem
muß das Nischenkabinett unverzüglich der Besichtigung
freigegeben werden.

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