und das Alter geprägt und modelliert hatte, kamen bei
ihm nicht zu ihrem Rechte; erst Raeburn hat sich dieser
Aufgabe gewachsen gezeigt. Er malte im Grunde nicht
Frauen, sondern er malte die Frau; er inalte und malte
immer wieder eine sehr reizende Vision, die seine Vor-
steffung füllte, und so ist es auch, wenn man sich sein
Werk als Ganzes vergegenwärtigt, vor aflem diese
Gainsiborough-Vision der Frau, die vor das geistige
Auge tritt, und nur wenige seiner Frauengestalten blei-
ben als charakterisierte Individualitäten im Gedächt-
nisse. Gewiß, solche Ausnalnnen gibt es; die vorzüg-
lichsten vielleicht die verschiedenen Bildnisse seiner
Töchter (wovon auch in der Agnew-Ausstellung eines
zu sehen war): liier spricht doch eine weit innigere
Vertrautheit mit den Persönlichkeiten mit als sonst, und
die Schillderung ihrer frischen Mädchenunschuld in den
Köpfen des Victoria and Albert-Museums sucht ihres-
gleichen (wie denn auch seine Kinderbildnisse den
raffaelischen Kinderengeln Reynolds iiberfegen sind).
Aber im Ganzen hat er, besonders bei den Damen reifie-
ren Altcrs, die Charakteristik der ästhetischen Vision
geopfert. Seine Frauen sind ätherische Wesen; ihre
Leiblichkeit ist in Duft und Zartheit aufgelöst, und hinter
den prachtvoll gemalten Kleidern ist der Körperbau
nicht zu fühlen. Insofern findet der böse gegen die eng-
lischen Bildnismaler erhobene Vorwurf, daß sie nur
Kostümstücke gemacht hätten, auf Gaiusborough in ge-
wissen Grenzen Anwendung. Zuweilen kann man in der
Gesetlschaft Gainsboroughscher Frauenbildnisse das
Gefühl nicht überwinden, daß man sicli unter entzücken-
den Puppen befindet. Nur darf dabei die bedeutende
Leistung nicht übersehen werden, daß Gainsborough es
vermocht hat einen Typus der engtischen Frau zu
schaffen, der offenbar das uationale Geschmacksideal
ganz erfüllt und der seine Haltbarkeit bis auf dieseu
lag bewährt hat. Man begegnet ihm in entarteter Form
in den Bildnissen Sargents, man trifft ihn in der Aus-
stellung der Royal Academy, und man erkennt ihn sogar
manchmal noch in den süßen Fraueubifdern, die die
Christmas Numbers englischer Zeitschriften zieren. Er
hat die engfische Frau, scheints, ein für allemal stilisiert;
der Rossetti-, der Burne Jones-, der Beardsley-Typus
vergehen — der Gainsborough-Typus hält sich.
Verg'leiche habeu immer ihr Bedenktiches, aber bei
den engen Grenzen, innerhalb deren die klassische eng-
lische Scliule gearbeitet hat, ist der Vergleich zwischen
Gainsborough und Reynolds kaum zu umgehen, weil ihre
Schaffensgebiete aufs engste benachbart sind und sich
oft überschneiden; haben sie doch oft dieselben Persön-
lichkeiten gemalt (ich erinnere etwa nur an Miß Robin-
son — „Perdita“ — und Sarah Siddons). Vor nunmehr
zwanzig Jahren, anläßlich der hervorragenden Ausstel-
lung engtischer Bildnisse in der Berliner Akademie, die
ältere Kunstfreunde noch in dankbarer Erinnerung
haben werden, habe ich (in den „Preußischen Jahr-
büchern“, Band 132) die Auffassung vertreten, daß,
wenn man das Gesamtbild Reynolds und Gainsboroughs
überblickt, der ättere Meister doch als der bedeutendere
und überragende anzusehen sei. Ich habe dabei nicht
überselien (und übersehe es auch jetzt nicht), daß Gains-
borough Werke geschaffen hat, die außerhalb der Reich-
weite der Begabung Reynofds lagen — es braucht ja nur
als bekanntes Beispiel der „Blue Boy“ genannt zu wer-
den, der inzwischen nach Kalifornien ausgewandert
ist —, nocli auch, daß Gäinsboroughs gute Bilder Vor-
züge besitzen, deren Sir Joshua nicht fähig war, und am
wenigsten, daß von Gainsboroughs künstferischer Per-
sön.ichkeit ein Zauber ausgeht, der dem methodischen,
akademisch geschulten, stets beherrschten Reynolds
versagt war. Atlein ganz abzusehen davon, daß Rey-
nolds doch nun einmal der Begründer der Schule war,
auf dessen Werk auch Gainsborough bereits gefußt hat,
und daß er sehr viel gleichmäßiger und zuverlässiger in
der Arbeit gewesen ist afs dieser, so behauptet sefne
L.ebensleistung auch an Breite des Motivenkreises, an
Bewegfichkeit und Mannigfaltigkeit der Erfindung und,
vielleicht hauptsächlich, an Kraft und Wahrheit in der
Auffassung und Charakteristik der Persöntichkeiten den
Vorrang. Bilder, wie die Nelly O’Brien der Wallace-
Collection oder die Porträts des Dr. Johnson, um nur
ein paar der bekanntesten Beispiele herauszugreifen,
sind Zeugnisse einer mächtigeren und reicheren Kiinst-
ferindividuafität. Diese Auffassung war damals nicht
zeitgemäß, denn der Geschmack war im Zeitalter der
Blüte des Impressionismus ganz auf das Nur-Maferische
eingestellt und Reynolds hat in der deutschen Literatur
seitdem im Schatten Gainsboroughs stehen müssen. Um
so mehr gereicht es mir zur Genugtuung, daß Emil
Wafdmann in seinem jüngst erschienenen Buche über
englische Malerei (Ferd. Birt, Breslau) auf Grund ein-
gehendcr Prüfung des Werkes der beiden Meister zu
einem mit dem meinigen im wesentlichen sicli decken-
den Urteite getangt ist. Aber 'ich stimme Waldmann
auch darin zu, daß Gainsborough der Laudschaftsmafer
auf eine ganz andere Ebene zu stellen ist, als Ciains-
borough der Porträtist. Hier ist er originelf, hfer ist er
Bahnbrecher. Doch von dieser Seite seiner Kunst hat,
wie angedeutet, die Aussteflung bei Agnew kein zurei-
chendes Bild gegeben und ich versage es mir daher auf
sie einzugehen.
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ihm nicht zu ihrem Rechte; erst Raeburn hat sich dieser
Aufgabe gewachsen gezeigt. Er malte im Grunde nicht
Frauen, sondern er malte die Frau; er inalte und malte
immer wieder eine sehr reizende Vision, die seine Vor-
steffung füllte, und so ist es auch, wenn man sich sein
Werk als Ganzes vergegenwärtigt, vor aflem diese
Gainsiborough-Vision der Frau, die vor das geistige
Auge tritt, und nur wenige seiner Frauengestalten blei-
ben als charakterisierte Individualitäten im Gedächt-
nisse. Gewiß, solche Ausnalnnen gibt es; die vorzüg-
lichsten vielleicht die verschiedenen Bildnisse seiner
Töchter (wovon auch in der Agnew-Ausstellung eines
zu sehen war): liier spricht doch eine weit innigere
Vertrautheit mit den Persönlichkeiten mit als sonst, und
die Schillderung ihrer frischen Mädchenunschuld in den
Köpfen des Victoria and Albert-Museums sucht ihres-
gleichen (wie denn auch seine Kinderbildnisse den
raffaelischen Kinderengeln Reynolds iiberfegen sind).
Aber im Ganzen hat er, besonders bei den Damen reifie-
ren Altcrs, die Charakteristik der ästhetischen Vision
geopfert. Seine Frauen sind ätherische Wesen; ihre
Leiblichkeit ist in Duft und Zartheit aufgelöst, und hinter
den prachtvoll gemalten Kleidern ist der Körperbau
nicht zu fühlen. Insofern findet der böse gegen die eng-
lischen Bildnismaler erhobene Vorwurf, daß sie nur
Kostümstücke gemacht hätten, auf Gaiusborough in ge-
wissen Grenzen Anwendung. Zuweilen kann man in der
Gesetlschaft Gainsboroughscher Frauenbildnisse das
Gefühl nicht überwinden, daß man sicli unter entzücken-
den Puppen befindet. Nur darf dabei die bedeutende
Leistung nicht übersehen werden, daß Gainsborough es
vermocht hat einen Typus der engtischen Frau zu
schaffen, der offenbar das uationale Geschmacksideal
ganz erfüllt und der seine Haltbarkeit bis auf dieseu
lag bewährt hat. Man begegnet ihm in entarteter Form
in den Bildnissen Sargents, man trifft ihn in der Aus-
stellung der Royal Academy, und man erkennt ihn sogar
manchmal noch in den süßen Fraueubifdern, die die
Christmas Numbers englischer Zeitschriften zieren. Er
hat die engfische Frau, scheints, ein für allemal stilisiert;
der Rossetti-, der Burne Jones-, der Beardsley-Typus
vergehen — der Gainsborough-Typus hält sich.
Verg'leiche habeu immer ihr Bedenktiches, aber bei
den engen Grenzen, innerhalb deren die klassische eng-
lische Scliule gearbeitet hat, ist der Vergleich zwischen
Gainsborough und Reynolds kaum zu umgehen, weil ihre
Schaffensgebiete aufs engste benachbart sind und sich
oft überschneiden; haben sie doch oft dieselben Persön-
lichkeiten gemalt (ich erinnere etwa nur an Miß Robin-
son — „Perdita“ — und Sarah Siddons). Vor nunmehr
zwanzig Jahren, anläßlich der hervorragenden Ausstel-
lung engtischer Bildnisse in der Berliner Akademie, die
ältere Kunstfreunde noch in dankbarer Erinnerung
haben werden, habe ich (in den „Preußischen Jahr-
büchern“, Band 132) die Auffassung vertreten, daß,
wenn man das Gesamtbild Reynolds und Gainsboroughs
überblickt, der ättere Meister doch als der bedeutendere
und überragende anzusehen sei. Ich habe dabei nicht
überselien (und übersehe es auch jetzt nicht), daß Gains-
borough Werke geschaffen hat, die außerhalb der Reich-
weite der Begabung Reynofds lagen — es braucht ja nur
als bekanntes Beispiel der „Blue Boy“ genannt zu wer-
den, der inzwischen nach Kalifornien ausgewandert
ist —, nocli auch, daß Gäinsboroughs gute Bilder Vor-
züge besitzen, deren Sir Joshua nicht fähig war, und am
wenigsten, daß von Gainsboroughs künstferischer Per-
sön.ichkeit ein Zauber ausgeht, der dem methodischen,
akademisch geschulten, stets beherrschten Reynolds
versagt war. Atlein ganz abzusehen davon, daß Rey-
nolds doch nun einmal der Begründer der Schule war,
auf dessen Werk auch Gainsborough bereits gefußt hat,
und daß er sehr viel gleichmäßiger und zuverlässiger in
der Arbeit gewesen ist afs dieser, so behauptet sefne
L.ebensleistung auch an Breite des Motivenkreises, an
Bewegfichkeit und Mannigfaltigkeit der Erfindung und,
vielleicht hauptsächlich, an Kraft und Wahrheit in der
Auffassung und Charakteristik der Persöntichkeiten den
Vorrang. Bilder, wie die Nelly O’Brien der Wallace-
Collection oder die Porträts des Dr. Johnson, um nur
ein paar der bekanntesten Beispiele herauszugreifen,
sind Zeugnisse einer mächtigeren und reicheren Kiinst-
ferindividuafität. Diese Auffassung war damals nicht
zeitgemäß, denn der Geschmack war im Zeitalter der
Blüte des Impressionismus ganz auf das Nur-Maferische
eingestellt und Reynolds hat in der deutschen Literatur
seitdem im Schatten Gainsboroughs stehen müssen. Um
so mehr gereicht es mir zur Genugtuung, daß Emil
Wafdmann in seinem jüngst erschienenen Buche über
englische Malerei (Ferd. Birt, Breslau) auf Grund ein-
gehendcr Prüfung des Werkes der beiden Meister zu
einem mit dem meinigen im wesentlichen sicli decken-
den Urteite getangt ist. Aber 'ich stimme Waldmann
auch darin zu, daß Gainsborough der Laudschaftsmafer
auf eine ganz andere Ebene zu stellen ist, als Ciains-
borough der Porträtist. Hier ist er originelf, hfer ist er
Bahnbrecher. Doch von dieser Seite seiner Kunst hat,
wie angedeutet, die Aussteflung bei Agnew kein zurei-
chendes Bild gegeben und ich versage es mir daher auf
sie einzugehen.
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