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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 3.1902-1905

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.37714#0190

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i/4

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

III. Band.

etranges“, deren sonderbare äussere Form, wie noch seltsamere
Handhabung und Bestimmung nicht selten auch den Archäo-
logen irre geführt haben, welcher sie zu beschreiben und ihre
Anwendung zu erklären versuchte.
Zu diesen Waffen gehört in erster Linie der Anneau-
disque oder Wurf ring, eine flache kreisrunde Scheibe aus
Stein oder Metall, deren Mitte durch ein konzentrisches mehr
oder minder grosses Loch durchbrochen und deren äusserer
Rand zur Schärfe einer Messerschneide Zugeschliffen ist. Beim
Wurfe wird der rechte Zeigefinger durch die Mitte des Ringes
gesteckt, derselbe in horizontale, möglichst schnell wirbelnde
Bewegung gesetzt und sodann mit aller Kraft gegen das Ziel
geschleudert.
Den ersten Teil seines Werkes widmet der Verfasser
den aus poliertem Stein gefertigten Wurfringen der prä-
historischen Zeit, und ist es seinen unermüdlichen Nach-
forschungen gelungen,' in den Museen und Privatsammlungen
Frankreichs 41 Exemplare resp. Bruchstücke von solchen (von
denen 11 Stück im Besitze des Verfassers selbst), und in
italienischen Sammlungen weitere 25 Stück festzustellen. Der
totale Durchmesser dieser 66 Ringe variiert von 0,180 m bis
zu 0,095 m> die Breite des Ringes von 0,060 m bis zu 0,010 m
und die innere Stärke von 0,025 m bis zu 0,005 m- Ebenso
verschieden ist die Gesteinsart, welche aus Serpentin, Basalt,
Kalkschiefer, talkigem Jadestein, Fibrolit, sowie Sandstein und
Schiefer, zum Teil mit Glimmerspuren, besteht. Die ausser-
ordentliche Seltenheit dieser prähistorischen Waffe erhellt am
besten aus der Thatsache, dass sich trotz eifrigster Umfragen
des Verfassers in den Sammlungen von Deutschland, Belgien,
Dänemark, Holland, Schweden und Norwegen, sowie der
Schweiz keine derartigen Exemplare haben ermitteln lassen.
Da auch die vollständigsten und neuesten Lehrbücher des
Bronze- und Eisenzeitalters über europäische Funde ähnlicher
Gegenstände wie diese Ringe aus Metall keine Auskunft
geben, so erscheint der Schluss gerechtfertigt, dass sich — im
Gegensatz zu Asien — diese Wurfringe für den Occident auf
die Periode der Steinzeit beschränken.
Bei der Frage nach der Zweckbestimmung dieser prähisto-
rischen Steinwaffe entwickelt der Verfasser in der ihm eigenen
anschaulichen Darstellungsweise seine uns bekannte scharf-
sinnige Kritik, indem er die bisherige Meinung der Archäo-
logen, wonach man in diesen Ringen den Kopf einer Keule,
einen Armring oder ein Instrument zu erblicken hätte, als
unhaltbar nachweist und mit überzeugenden Gründen darthut,
dass es sich hier vielmehr um eine Wurfwaffe handelt.
Insbesondere erkennt man, dass durch die Politur der Ober-
fläche des Ringes das notwendige Gleichgewicht desselben
erzielt werden sollte, während aus der genau konzentrischen
Durchlochung der Mitte, deren Innenränder ebenfalls poliert
sein mussten, um bei der schnellen Umdrehung des Ringes
nicht den Zeigefinger des Schleudernden zu verletzen, das
Bestreben erhellt, ein Abweichen des Geschosses von seiner
Flugbahn nach Möglichkeit zu vermeiden.
Der Umstand, dass das Material dieser in Europa gefun-
denen prähistorischen Ringe zumeist aus Jadestein besteht,
dessen Heimat ausschliesslich im östlichen Asien zu suchen
ist, lässt darauf schliessen, dass wir hier in der That eine
Waffe asiatischen Ursprungs vor uns sehen, deren sich die
arischen Einwanderer gegenüber der europäischen Urbevöl-
kerung bedienten. Der Gebrauch derselben muss jedoch
später, aber noch vor Beginn des Bronze- und Eisenzeitalters
in Vergessenheit geraten sein, zumal sich — wie schon her-
vorgehoben — kein einziges metallenes Exemplar aus dieser Zeit
in Europa hat nachweisen lassen. Die Wiege dieser Waffe
ist somit im Orient zu suchen, welchem der Verfasser den
zweiten Teil seines Werkes widmet.
Da sich hier, insbesondere in Indien, der Gebrauch des
„Tschakra“ oder „Quoit“ benannten Wurfringes bis in unsere
jüngste Zeit erhalten hat, so ist uns durch das Studium dieser
Waffe um so eher die Möglichkeit geboten, auf ihre Hand-
habung auch in prähistorischer Zeit schliessen zu dürfen. Im
Norden Indiens, im sog. Punjab, war es die zu Beginn des

16. Jahrhunderts von Nanak-Shah gegründete religiöse Sekte
der kriegerischen „Sikhs“, und unter ihnen der Stamm der
;,Akalis“, welche mit der den Orientalen eigentümlichen fana-
tischen, Treue die Jahrhunderte alten Krlegswaffen und Ge-
bräuche in derselben Form beibehalten und dementsprechend
den Tschakra zu ihrer Spezialwaffe erkoren hatten. Nach
zahlreichen übereinstimmenden Reisebeschreibungen von Euro-
päern verstehen diese bis an die Zähne bewaffneten Akalis
ihre stählernen, und zum Teil goldtarschierten Wurfringe, von
denen oft 5 bis 6 Stück um den Arm oder auf dem spitz-
zulaufenden Turban getragen werden, durch Wirbeln um den
rechten Zeigefinger so geschickt und kraftvoll zu schleudern,
dass sie auf 80 Schritt mit Sicherheit ihr Ziel erreichen und
den Kopf ihres Feindes vom Rumpf trennen können. Die
mörderische Wirkung und der einer Flamme gleichende An-
blick des im wirbelnden Dahinfliegen und im Sonnenlicht
leuchtenden Metallringes lassen denselben daher in der indi-
schen Mythologie als Emblem des Blitzes, der Waffe der
Götter, erscheinen. Dementsprechend stellen auch zahlreiche
alte Statuen und Basreliefs sehr häufig den blitzschleudernden
Indra oder Wischnu mit einem um den rechten Zeigefinger
wirbelnden Tschakra vor. In derselben Weise sind auch die
andern indischen Gottheiten wie Agni und Rudra, sowie Schiwa
und Ganessa mit dem Tschakra bewaffnet. Arier und Semiten
erblickten in demselben das Symbol der Macht und Herrschaft
eines höheren Wesens, im Buddhismus erscheint er als Ver-
körperung des Gesetzes und als religiöses Emblem, und auch
den Medo-Persern und Chaldäern ist er wohlbekannt. Leider
gebricht es hier an Raum, um auf die ausgezeichnete Dar-
stellung Buttins näher einzugehen, welche bedeutende Rolle
der Tschakra nicht bloss in der altindischen, sondern auch in
der chaldäischen und semitischen Poesie von Urzeiten an ge-
spielt hat. Als ein treffendes Beispiel möge hierfür nur eine
Siegesdithyrambe dienen, welche die Alt-Babylonier, die Akkader,
einem ihrer kriegerischen Götter, wahrscheinlich dem Maruduk,
in den Mund gelegt haben und welche in ihren wesentlichen
Stellen nach der trefflichen, auch von Jähns a. a. O. citierten
Übersetzung von Lenormant folgendermassen lautet:
„In meiner rechten Hand halte ich meinen Feuer di skus, in
meiner Linken halte ich meinen zerfleischenden
Diskus.
Die Sonne mit fünfzig Gesichtern, die erhabene Waffe meiner
Göttlichkeit, ich halte sie.
Die tapfere, die die Berge zerbricht, die Sonne, deren Feuer
nicht aufhört, ich halte sie.
Die Waffe, die wie der Währwolf vollständig zerreisst, ich
halte sie.
Die die Berge zerbricht, die mächtige Waffe des Gottes Anon,
^ich halte sie.
Der die Berge biegt, den Fisch mit sieben Flossfedern, ich
halte ihn.
Die Wurfscheibe der Schlacht, die verwüstet und verheert
das rebellische Land, ich halte sie.
Die Waffe, die das Land mit dem Schrecken ihrer unendlichen
Macht erfüllt, in meiner rechten Hand mit Macht,
das Wurfgeschoss von Gold und Onyx, ich
halte sie.“
Lenormant3) bemerkt hierzu: „Der Gott preist die Macht
seiner Waffen; nun ist aber die hauptsächlichste davon, auf
welche er beständig mit einer unerschöpflichen Fülle von Ver-
gleichen zurückkehrt, eben diesen zufolge, offenbar ein durch
sieben konzentrische Speichen nach innen zusammengehaltener
und mit fünfzig Stacheln nach aussen versehener Diskus, eine
Waffe, die in rotierender Bewegung, gleich dem ihr. sehr
ähnlichen Tschakra der indischen Helden, geschleudert wurde.“
Unser Interesse dürfte es jedoch im höchsten Maasse fesseln,
3) Lenormant: Die Anfänge der Kultur. II. (Jena 1875.)
S. 142. Ausser dem altbabylonischen Urtexte ist auch eine
Übertragung in das Assyrische erhalten. Auf Grund des
Vergleiches beider ist die Übersetzung Lenormants entstanden.
 
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