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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 3.1902-1905

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Heft 4
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Röder, Ernst: Aus der Waffensammlung des Germanischen Nationalmuseums
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https://doi.org/10.11588/diglit.37714#0113

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4. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

97

Aus der Waffensammlung- des Germanischen National-
museums.
Von Ernst Röder, k. bayr. Artillerie-Oberleutnant a. D., Nürnberg.


I. Die Tannenberger Büchse.

an nimmt nunmehr all-
gemein an, dass die
V erwendung von
Feuerwaffen mit den
20er Jahren des 14.
Jahrhunderts be-
ginnt. Gewiss, das
mag sein, dass
Feuerwaffen zu der
Zeit zum ersten
Male in einem Kriege Schrecken unter die Feinde
trugen, und die Chroniken davon berichten; aber,
wenn das Jahr 1322 schon Büchsen1 2) von
solcher Güte aufweist, wie die im Besitze des
Grafen d ’ A r c o gewesene Handbüchse aus dem
Kloster Sant. Orsola in Mantua-), welch lange Zeit
und welche Reihe von Versuchen muss vorausge-
gangen sein, in der in ängstlich gehüteter Werk-
stätte Gelehrte, Erfinder und einfache Meister an
dem Problem arbeiteten, ohne dass ihr Wirken in
die weite Öffentlichkeit gedrungen ist und Urkunden
und Chroniken davon melden.
Zu den ersten auf uns überkommenen Stücken
aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gehört
neben der älteren Berner Handbüchse, im histori-
schen Museum zu Bern, die schon erwähnte des
Grafen d’Arco, die im Jahre 1849 entwendet
wurde und leider bisher nicht wieder zum Vorschein
kam. Sie trägt in grosser, deutlicher Schrift die
Jahreszahl 1322 und ist die einzige Handfeuerwaffe
des ganzen Jahrhunderts, die bis dato ihr Alter
selbst ausgewiesen hat.
Die Bilderhandschriften des 14. Jahrhunderts,
welche Feuerwaffen behandeln, in erster Linie der
cod. germ. 600 der Münchener Hof- und Staats-
bibliothek, sind zeitlich nicht so genau festzustellen,
dass man mit apodiktischer Sicherheit nach ihnen
die in unserem Besitz befindlichen Feuerwaffen der-
selben Zeit bestimmen könnte. Den cod. germ. 600
datiert von Rettberg3) zwischen 1345 —1350,
Oberstleutnant W ii r d i n g e r4) in dieselbe Zeit,
’) Man nannte im 14. u. 15. Jahrhundert bekanntlich
jede Feuerwaffe, ob gross ob klein, Büchse.
2) Köhler: Tafel III der Entwicklung des Kriegswesens
und die Kriegführung in der Ritterzeit. Breslau 1887.
3) Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit 1860
sp- 405-
4) Wiirdinger: Kriegsgeschichte von Bayern, München,
1868. Bd. II. S. 342.

ebenso Oberstleutnant Dr. M. Jäh ns5). Major
Toll6) nimmt 1330 etwa als Entstehungszeit an,
General Köhler7) dagegen 1377, möglicherweise
das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts und Essen-
wein8) die Zeit von 1390—1400. Der offizielle
Katalog der Münchener Hof- und Staatsbibliothek
nennt sogar den Anfang des 15. Jahrhunderts. Ich
glaube, hauptsächlich auch in Anbetracht der nach-
folgenden Erörterungen, nicht fehlzugehen, wenn
ich aus rein waffentechnischen Gründen diesen Ko-
dex derselben Zeit zuschreibe, die Würdinger, Jähns
und v. Rettberg annehmen. Die Anschauungen über
seine Entstehungszeit gehen also fast um 100 Jahre
auseinander. Zu dieser Ungewissheit kommt noch,
dass jene Bilderhandschriften in ihren Zeichnungen
wenig zuverlässig sind, da sie meist nicht \ on Künst-
lerhand herrühren, sondern von der des Zeichnens
ungeübten Faust eines Büchsenschmiedes oder
Btichsengiessers, der daneben auch Feuerwerkerei
betrieb. Oft sind die Darstellungen nur Ausgebur-
ten der wildesten Phantasien. Es ist also unmög-
lich, mit absoluter Sicherheit zu behaupten, dass die
gleichzeitigen Waffen bis ins Detail genau ebenso
ausgesehen haben müssen, wie sie diese Hand-
schriften geben. Man kann höchstens von Ähn-
lichkeiten sprechen und nur solche mit existierenden
Waffen in Beziehung bringen. Etwas anderes ist
es freilich mit dem handschriftlichen Inhalt, der
uns meist in die Praxis des schreibenden Büchsen-
meisters einführt. Aber Anhalt zu Datierungen giebt
auch dieser nicht.
Bei solcher Unsicherheit und solchen Zweifeln
sind Zeitangaben der Handbüchse des G a e t a n o
de Minicis zu Fermo, der Dresdner Büchse
des Germanischen Museums, der Hand-
büchse No. I des Museums Francisco Ca-
rolinum zu Linz a. D. nur Vermutungen und
Schätzungen, aber keine Gewissheiten, und mit sol-
chen allein darf der Forscher über Technik und
Wesen der Waffen rechnen. Und wie unendlich
wenig ist uns an Waffen dieser Zeit des Gährens

5) Dr. M. Jähns: Geschichte der Kriegswissenschaften.
München und Leipzig 1889. Bd. 1, S. 229.
6) Archiv für Artillerie und Ingenieur-Offiziere. 60. Bd.
1886. S. 148.
v) Köhler: Entwicklung des Kriegswesens und die Krieg-
führung in der Ritterzeit. Breslau 1887.
8) Essenwein: Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen.
Leipzig 1S77. S. 9.
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