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Verein für Historische Waffenkunde [Hrsg.]
Zeitschrift für historische Waffen- und Kostümkunde: Organ des Vereins für Historische Waffenkunde — 3.1902-1905

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Heft 11
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Sixl, P.: Entwickelung und Gebrauch der Handfeuerwaffen, [22]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37714#0345

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ii. Heft.

Zeitschrift für historische Waffenkunde.

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der aber hierbei die Frage nach der im Felde
nötigen Einfachheit übersah.
Dieselbe Erscheinung wird später bei den
mehrreihigen Orgeln in erhöhtem Masse beobachtet
werden können.
Waren die bisher beschriebenen Orgeln in-
folge ihrer Konstruktion und Beweglichkeit offen-
bar für den offensiven Feldkrieg bestimmt, so mag
die folgende Orgel augenscheinlich mehr defen-
siven Zwecken gedient haben, da der Gebrauch
derselben als Schusswaffe noch besondere Ein-
richtungen erforderte, welche nur in der vorbe-
reiteten Verteidigung geboten werden konnten.
Diese Orgel befindet sich im germanischen
Nationalmuseum zu Nürnberg, Fig. 1081); die ge-
naue Beschreibung derselben lautet:
Konstruktion: einreihig mit 15 Läufen.
Material der Läufe: Schmiedeeisen.
Länge der Läufe: 44 cm.
Länge der Laufseele: 42 cm.
Kaliber: 20 mm.
Die Läufe sind vorne cylindrisch, ohne jede
Verbreiterung der Mündung und ohne Visier-
punkte; rückwärts, beiläufig zwei Drittel der gan-
zen Länge, sind dieselben sechskantig. Am rück-
wärtigen Laufende ist oberhalb ein schwanzförmi-
ges Eisenstück mit Schraubenloch efngeschweisst.
Jeder Lauf hat rückwärts oben, am äussersten Ende
der Seele, ein senkrecht gebohrtes Zündloch.
Die Unterlage ist ein 3 cm starkes Holzbrett,
70 cm breit, 31,5 cm tief, an welches vorne unten
und rückwärts oben eine 3,5 cm hohe und 7—7,5
cm breite Stufe anschliesst.
Die Läufe hegen frei auf der Unterlage neben-
einander in Abständen von etwa 2 cm; die Zwi-
schenräume sind durch Holzleisten derart ausge-
füllt, dass die Läufe zu zwei Drittel ihres Umfanges
eingebetteterscheinen. Das oben erwähnte schwanz-
förmige Eisenstück am Laufende ist in die rück-
wärtige Holzstufe eingelassen und mit einer
Schraube befestigt; vorne ragen die Läufe bei-
läufig um 13 cm über die Unterlage hervor; knapp
an der Unterlage sind über die Läufe Messing-
bänder gelegt, deren Enden an die vordere Holz-
stufe angenagelt sind.
Die Entzündung der Läufe geschah ähnlich
wie mit Zündrinne; zwischen je 2 Läufen befand
sich ehemals in der Höhe der Zündlöcher ein Holz-
pflock, welcher oben mit einer Rinne versehen war
und die Verbindung der beiden Zündlöcher be-
wirkte. Wurde nun über die Zündlöcher und die
dazwischen befindlichen Räume Zündpulver auf-
gestreut, so war es wohl möglich, durch Ansetzen
') Die genaue Beschreibung sowie die photographische
Aufnahme verdanken wir der besonderen Liebenswürdigkeit
der geehrten Direktiou des germ. Nationalmuseums in Nürnberg.

der Lunte alle 15 Läufe auf einmal abzuschiessen;
wobei das Ansetzen sehr wahrscheinlich beim Mit-
tellauf erfolgte.
An der rechten Seite ist noch eine derartige
Rinne erhalten.
Über den Zündlöchern ist ein dachförmiger
Holzschutz angebracht, welcher nach rückwärts
umgelegt werden konnte.
Spuren von Schiessgebrauch lassen sich nicht
genau nachweisen.
Das Gewicht der Waffe beträgt 28,5 kg.
Entstehungszeit: erste Hälfte des 17. Jahr-
hunderts.
Die Konstruktion der vorliegenden Orgel ist
höchst einfach; die brettartige Unterlage wurde
schon oben, Fig. 95, handschriftlich nachgewiesen,
jedoch fehlt hier das Untergestell. Dieses Unter-
gestell war notwendig, um für die Geschosse den
erwünschten Wirkungsbereich frei zu halten; es
ist möglich, dass für diesen Zweck die Verwendung
auf einem Fensterbankett, auf einer Mauer, auf
einem Holzgerüste usw. gedacht war.
Auf diesem Untergestell musste weiters eine
Einrichtung vorhanden sein, mittels welcher die
schussfertige Orgel in der ihr gegebenen Lage fest-
gehalten wurde, um die beabsichtigte Wirkung am
Ziele sicher zu stellen; endlich war noch eine Vor-
kehrung gegen den Rückstoss notwendig. Schon
das Fehlen einer Visiereinrichtung deutet an, dass
die nötige Elevation vorher ausgemittelt war und
die Orgel in diese fest und sicher eingestellt wer-
den konnte; um den Rückstoss abzuschwächen,
genügte es, die Orgel mit der rückwärtigen Seite
an ein festes Widerlager anzulehnen.
Das Laden der Orgel war dadurch erleichtert,
dass man dieselbe hierzu mit den Mündungen nach
aufwärts aufstellen konnte; auffallend bleibt die
Kürze der Läufe; die Befestigung derselben auf
dem Unterlagsbrett war, gegenüber den Orgeln im
königl. Zeughause zu Berlin, für einen wiederholten
Gebrauch gewiss unzureichend; auch hier kann
angenommen werden, dass die Art der Befestigung
auf dem Untergestelle diesem Lehler begegnete.
Die beiläufige Entstehungszeit dieser Orgel
konnte nur mit Rücksicht auf die Konstruktion der
verwendeten Läufe abgeschätzt werden.
Bei der Eroberung von Landsberg am 28. De-
zember 1632 wurden auch mehrläufige Feuerwaffen
erbeutet und in folgender Weise bezeichnet:
,,7 Orgel-,,Daffel“, jede mit 9 Musketenläufen;
1 Orgel-,,Daffel“ mit 5 Doppelhaken.“ (Heil-
mann II, 2, 961.)
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Orgel-
„Daffel“ von ähnlicher oder gleicher Konstruktion
waren, wie die oben beschriebene Nürnberger Orgel
I oder dass diese einer Orgel-„DaffeU nachgebildet ist.


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