Franz Radziwill
Von ROLAND SCHACHT
Mit 7 Abbildungen auf 3 Tafeln1
s ift ein Verhängnis aller kunftgefcßicßtlicßen Betrachtung, daß pe, um einen Be-
griff von neu auftretenden Erfcßeinungen zu vermitteln, immer nur an fcßon Be-
kanntes, alfo Älteres, fcßon Vorhandenes anknüpfen kann, durch welches jedoch
gerade das Neue feiner Natur nach immer nur unvollkommen charakterifiert wird.
Ändererfeits hat diefes Vorgehen den Vorteil, den Uneingeweihten ßinpcßtlich der
Grundtendenzen, der allgemeinen Richtung oder äußerlichen Erfcßeinung des Neuen
rafcßer und beftimmter zu orientieren als es durch vorausfetjungslofe und abftrakte Be-
fcßreibung gefchehen könnte.
Mit diefem Vorbehalt läßt fiel) des jungen, nod) nicht dreißigjährigen Radziwill bis-
herige Ärt am kürzeften umfeßreiben, indem man fagt: die Seele Enfors im Körper
eines Bauernjungen. Man könnte aud) fagen: ein Matiffe ohne alle impreffioniftifd)en
Änfänge mit einer deutfcß-flavifcßen Gefamteinftellung. Oberßäd)lid)ere werden, an
die väterlicßerfeits rußifeße Äbftammung des Deutfcßen Radziwill erinnernd, vor allem
auf Einflüffe Cßagalls ßinweifen. Gwifcßen ißm und Radziwill jedoeß fteßt die Ent-
wicklung einer ganzen Generation. Um es gleich vorauszuneßmen: Cßagall erfeßeint
ßeute als der große Hnftoß, der urfprünglicße Beweger, der Einweiher in neue Myfterien.
Seine großen Ulerke find neue Ulelten, aber einige find bereits klaffifcß-feft geworden.
Bei Radziwill ift über diefe durch Cßagall gelegte Schwelle hinaus noeß überall frifcß-
grünes Neuland in voller Entfaltung, aber auch, im Gegenfat$ zu der häufig fcßlackigen,
eng oppositionellen Ärt Cßagalls, volle Selbftverftändlicßkeit. Cßagalls Myftik ift immer
noeß irgendwie in feelifcßen oder geiftigen Untergründen gebunden, entfpringt aus
cßaotifcßen Hefen, ringt pcß gleicßfam mit fießeren, zäßen Bewegungen durch Gegen-
ftändlicßes und Künftlerifcßes ans Ließt. Bei Radziwill ift diefe Myftik gleich von An-
fang an da und erwäcßft aus den Dingen felbft. Und ganz äßnlicß ift das Verhältnis
der Farbengebung. Bei Cßagall beginnen gleicßfam die Farben erft zu erglühen, fie waeßfen
in einzelnen Fällen zu ßöcßfter Intenfität, beßalten jedoeß immer etwas Aktives, 3ie!-
ftrebendes, während es imGefamtwerk desKünftlers noeß genu^j des Erdigen, Scßmutpgen,
aueß Kraffen, Mifcßigen gibt. Bei Radziwill ift feßon von vornherein alles heiler Mittag.
Die Farbe braucht nießt meßr zu werden, fie ift da in praller, durd) nichts meßr in
Frage geftellter Gefundßeit. Sie wird nießt meßr in müßfamer Förderung geboren, fie
dient von vornherein als Bauftein.
Die Farbe ift in der Cat das Element Radziwillfdßen Schaffens. Eine urgefunde
kräftige Bauernfarbe, die aud) den Äbfolutismus von Kreideweiß und Cieffcßwarz nießt
zu feßeuen braucht, fondern beide gern in ißren Reigen mit auf nimmt. Sie wird oßne
alles brutale Paftofo, breit aber oßne Gewaltfamkeit und fo dünnflüffig aufgetragen,
daß faft überall der oft off engelaff ene Kreidegrund noeß durcßfcßimmert oder doeß
fühlbar bleibt. Es ift keine Valeurmalerei und ßat mit Natur nur infofern etwas zu
tun, als fie nießt nad) impreffioniftifeßer UQeife verfeinerte Beobachtung regiftriert,
fondern die Natur aus wenigen einfachen, nur durcß ißr Nebeneinander, nießt in pcß
variierten Ganztönen neu aufzubauen ftrebt zu einem Ganzen, das nießt Abbild der
Natur im alten Sinne, fondern Reßex der Natur in neu entdecktem Märchen- und
Ulunderland gibt. <Hoßl find die Töne nach dem Stärkegrad unterfeßieden und fpielen
in verfeßiedenen Temperaturen, aber es find ganze und Grundtöne. Die Ärt der Farben-
beßandlung gibt den meiften Bildern etwas geradezu Dramatifcßes. Aus dem einfachen
biderben Nebeneinander der Farben ergeben pcß überrafeßende Auffcßlüffe über ißre
Natur und ißre inneren Ulirkungsmöglicßkeiten. Und die Klarheit, mit der diefe cUir-
1 Die Abbildungen erfdjeinen mit Genehmigung der Kunftßandlung Alfred ¥)e\\er, Berlin f£I,
Kurfürftendamm 44, die aud) die erften Kollektivausftellungen des Künftlers in Berlin gezeigt ßat.
372
Von ROLAND SCHACHT
Mit 7 Abbildungen auf 3 Tafeln1
s ift ein Verhängnis aller kunftgefcßicßtlicßen Betrachtung, daß pe, um einen Be-
griff von neu auftretenden Erfcßeinungen zu vermitteln, immer nur an fcßon Be-
kanntes, alfo Älteres, fcßon Vorhandenes anknüpfen kann, durch welches jedoch
gerade das Neue feiner Natur nach immer nur unvollkommen charakterifiert wird.
Ändererfeits hat diefes Vorgehen den Vorteil, den Uneingeweihten ßinpcßtlich der
Grundtendenzen, der allgemeinen Richtung oder äußerlichen Erfcßeinung des Neuen
rafcßer und beftimmter zu orientieren als es durch vorausfetjungslofe und abftrakte Be-
fcßreibung gefchehen könnte.
Mit diefem Vorbehalt läßt fiel) des jungen, nod) nicht dreißigjährigen Radziwill bis-
herige Ärt am kürzeften umfeßreiben, indem man fagt: die Seele Enfors im Körper
eines Bauernjungen. Man könnte aud) fagen: ein Matiffe ohne alle impreffioniftifd)en
Änfänge mit einer deutfcß-flavifcßen Gefamteinftellung. Oberßäd)lid)ere werden, an
die väterlicßerfeits rußifeße Äbftammung des Deutfcßen Radziwill erinnernd, vor allem
auf Einflüffe Cßagalls ßinweifen. Gwifcßen ißm und Radziwill jedoeß fteßt die Ent-
wicklung einer ganzen Generation. Um es gleich vorauszuneßmen: Cßagall erfeßeint
ßeute als der große Hnftoß, der urfprünglicße Beweger, der Einweiher in neue Myfterien.
Seine großen Ulerke find neue Ulelten, aber einige find bereits klaffifcß-feft geworden.
Bei Radziwill ift über diefe durch Cßagall gelegte Schwelle hinaus noeß überall frifcß-
grünes Neuland in voller Entfaltung, aber auch, im Gegenfat$ zu der häufig fcßlackigen,
eng oppositionellen Ärt Cßagalls, volle Selbftverftändlicßkeit. Cßagalls Myftik ift immer
noeß irgendwie in feelifcßen oder geiftigen Untergründen gebunden, entfpringt aus
cßaotifcßen Hefen, ringt pcß gleicßfam mit fießeren, zäßen Bewegungen durch Gegen-
ftändlicßes und Künftlerifcßes ans Ließt. Bei Radziwill ift diefe Myftik gleich von An-
fang an da und erwäcßft aus den Dingen felbft. Und ganz äßnlicß ift das Verhältnis
der Farbengebung. Bei Cßagall beginnen gleicßfam die Farben erft zu erglühen, fie waeßfen
in einzelnen Fällen zu ßöcßfter Intenfität, beßalten jedoeß immer etwas Aktives, 3ie!-
ftrebendes, während es imGefamtwerk desKünftlers noeß genu^j des Erdigen, Scßmutpgen,
aueß Kraffen, Mifcßigen gibt. Bei Radziwill ift feßon von vornherein alles heiler Mittag.
Die Farbe braucht nießt meßr zu werden, fie ift da in praller, durd) nichts meßr in
Frage geftellter Gefundßeit. Sie wird nießt meßr in müßfamer Förderung geboren, fie
dient von vornherein als Bauftein.
Die Farbe ift in der Cat das Element Radziwillfdßen Schaffens. Eine urgefunde
kräftige Bauernfarbe, die aud) den Äbfolutismus von Kreideweiß und Cieffcßwarz nießt
zu feßeuen braucht, fondern beide gern in ißren Reigen mit auf nimmt. Sie wird oßne
alles brutale Paftofo, breit aber oßne Gewaltfamkeit und fo dünnflüffig aufgetragen,
daß faft überall der oft off engelaff ene Kreidegrund noeß durcßfcßimmert oder doeß
fühlbar bleibt. Es ift keine Valeurmalerei und ßat mit Natur nur infofern etwas zu
tun, als fie nießt nad) impreffioniftifeßer UQeife verfeinerte Beobachtung regiftriert,
fondern die Natur aus wenigen einfachen, nur durcß ißr Nebeneinander, nießt in pcß
variierten Ganztönen neu aufzubauen ftrebt zu einem Ganzen, das nießt Abbild der
Natur im alten Sinne, fondern Reßex der Natur in neu entdecktem Märchen- und
Ulunderland gibt. <Hoßl find die Töne nach dem Stärkegrad unterfeßieden und fpielen
in verfeßiedenen Temperaturen, aber es find ganze und Grundtöne. Die Ärt der Farben-
beßandlung gibt den meiften Bildern etwas geradezu Dramatifcßes. Aus dem einfachen
biderben Nebeneinander der Farben ergeben pcß überrafeßende Auffcßlüffe über ißre
Natur und ißre inneren Ulirkungsmöglicßkeiten. Und die Klarheit, mit der diefe cUir-
1 Die Abbildungen erfdjeinen mit Genehmigung der Kunftßandlung Alfred ¥)e\\er, Berlin f£I,
Kurfürftendamm 44, die aud) die erften Kollektivausftellungen des Künftlers in Berlin gezeigt ßat.
372