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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 10
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Steinmann, Ernst: Ein Flußgott nach Michelangelo
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0426

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eine der eigentümlichen Buonarroti-Reliquien in befonderen Ehren gehalten. Als
Nicodemo Ferrucci in der Casa Buonarroti auf einem riefigen Gemälde die Hauptwerke
Michelangelos zufammendrängte, brachte er im Vordergründe den Corfo des Flußgottes
an. Niemand anders als Baccio Bandinelli zeigt ißn dem Befcßauer und deutet feine
Vorzüge mit vielfagendem Finger1. Später finden wir den Corfo noch in zwei mittel-
mäßigen Gemälden des 18. Jahrhunderts dargeftellt in einem H- Lucas in S. Salvi und
einem Porträt Michelangelos in ganzer Figur, heute in der Casa Buonarroti2.
Wie unabläffig haben [ich die Archäologen feit Jahrhunderten mit der Ergänzung
antiker Statuen befcßäftigt! Wieviel Verftand und Nachdenken ift aufgewandt worden,
um nur den linken Arm des Laokoon zu ergänzen! Sollte ein einmal berühmtes, dann
gänzlich verfallenes Werk des „Meifters aller Meifter“, wieDoni feinen großen Lands-
mann genannt hat, nicht auch einen Wiederßerftellungsverfucß verdienen?
CInd eben Antonfrancesco Doni, der Verfaffer der „Marmi“, der einzige unter allen
3eitgenoffen Michelangelos, der die Erinnerung der Flußgötter-Modelle in der Medici-
kapelle der Nachwelt überliefert hat, eben diefer Doni hat uns in eben diefen Marmi
auch ein Abbild wenigftens eines diefer Flußgötter erhalten.
Doni war etwa um 1513 in Florenz geboren, dm 1540 verließ er feine Vaterftadt
und lebte ein mühfeliges Literatenleben bald in Venedig, bald in Florenz, bald in Rom
und ürbino und wieder in Venedig3. Die letzten zehn Jahre feines Lebens verbrachte
er in Arqua, wo er wie einft Petrarca im Jahre 1574 geftorben ift.
Aus Venedig feßrieb Doni im Auguft 1549 einen Brief an feinen Freund Alberto
Lollio, der fid) in Florenz befand, das feßon damals durch feine Sehenswürdigkeiten
in ganz Italien berühmt war: „Wendet einen ganzen Cag darauf“, heißt es hier, „die
Wunderdinge in der Kirche der Medici zu betrachten: die Bibliothek, die Bücher und
vor allem die Sakriftei Michelangelos. Im Atelier des Meifters werdet ihr noch eine
Madonna finden, die vom Himmel ßerabkam, um fid) von Michelangelo meißeln zu
laffen. Und wenn ißr diefe Bildwerke anfeßaut, fo laßt euch nicht fo weit hinreißen,
daß ißr euch felbft in Marmor verwandelt“ 4.
Wer Donis „Marmi“ gelefen hat, die im Jahre 1552 zum erften Male in Venedig
erfd)ienen, wird hier fofort an die Aurora-Legende erinnert, die einen Befucß Michel-
angelos mit einem Freund in der Sakriftei befeßreibt. Damals wurde das Lebendige
zu Stein und der Stein wurde lebendig, und beide kehrten auf Geheiß des Meifters
nach kurzer Verwandlung in ißren natürlichen 3uftand zurück. Bei diefer Gelegenheit
werden eben auch die beiden mächtigen Flußgöttermodelle erwähnt, die woßl noch
lange in der Kapelle aufbewaßrt worden find, die allen Befcßauern einen fo feßnfücß-
tigen Wunfcß nach Vollendung in Marmor einflößen mußten, daß Gandolfo Porrino
die Preisgabe „der hochgemuten Könige des Ober und des Arno“ in einem glänzend
gefeßriebenen Sonett aufs bitterfte beklagt ßat5.
In eben diefer Ausgabe der Marmi von 1552 findet ßcß unter anderen mittelmäßigen
Holzfcßnitten auch jenes merkwürdige Blatt, das unfere Vorftellung von dem wieder-
gefundenen Corfo des Flußgottes in fo überrafeßender Weife ergänzt0.
1 Steinmann, Die Porträtdarftellungen des Michelangelo, S. 91 und Caf. 97.
2 Hbbildungen bei Gottfcßewfki a. a. O., S. 60 und 61.
3 Cirabofcßi, Storia della letteratura italiana. Milano 1824, S. 1511 ff.
4 Bottari, Raccolta di lettere nella pittura, scultura ed arcßitectura. Milano 1822, III, 344.
6 Vard)i, Due Lezioni di M. Benedetto Vard)i nella prima delle quali si dichiara un sonetto
di M. Micßelangnolo Buonarroti etc. Firenze 1549, S. 111.
E i magnanimi Re del Cebro e d’Hrno
I gran sepolcri aspettarono indarno.
0 Diefe Holzfcbnitte finden pd), foweit icß feße, nur in der Äusgabe von 1552. Der HolzT^initt
mit dem Flußgott (II, S. 104) wurde wieder abgedruckt von G. L. Pafferini, II ritratto di Dante.
Firenze 1921, S. 36. Pafferini, S. 32, flnm. 31 bat diefen Holzfcbnitt auch in der „3ucca“ Donis
gefunden, die gleichzeitig gleichfalls in Venedig erfdbien. Ein Exemplar diefer frühen Äusgabe
der 3ucca war mir nicht zugänglich.

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