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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 14.1922

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Heft 16
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Die Zeit und der Markt
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https://doi.org/10.11588/diglit.33342#0727

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Ausheilungen

zu durchTchreiten. Iri höchft forgfältigerCÜeifepnd
die Bilder gruppiert und auch bei der Verteilung
der für den Laien faft zu reichhaltigen graphifchen
Abteilung (über 400 Drucke) auf die verfchiedenen
Lokalitäten waltete eine forgfame 5and.
Das große Intereffe deroftfchweizerifchenKunß-
freunde am impofanten tüerk Edvard Munchs,
das [ich jüngft auch im ftarken Befuch eines ge-
diegenen Vortrags Curt Glafers kundgab, ließ
eine Verlängerung der 3ürcher Äusftellung
wünfchenswert erfcheinen. Sie konnte dank den
Bemühungen Dr. ttlartmanns auch durchgefe^t
werden, und fo wird denn die denkwürdige Schau
in 3üri<h noch bis zum 27. Auguft ficbtbar
bleiben. Nachher wandern etwa zwei Drittel der
ausgeftellten Arbeiten nach Bern, wo pe in der
dortigen Kunßhalle nicht nur einer gefchmack-
vollen Plazierung, fondern auch des regften Be-
fuches der kunftfreundlichen Bevölkerung pcher
fein dürften. tü.
Äusftellung von Franzofen und Neu-
erwerbungen in der Bremer Kun ft-
halle
Oft ift das, was der 3ufall fdjuf, vollendeter,
als das Refultat mühe- und planvoller Arbeit.
So können pch nur wenige Galerien, auch folcpe,
die mit Intelligenz und Eifer franzöpfche Malerei
des 19. Jahrhunderts gefammelt haben, einer
folchen Auslefe des Beften rühmen, wie pe jetjt
der erfte Ausftellungsfaal der Kunfthalle enthält.
Dort ift es dank dem Entgegenkommen der Be-
ßrer augenblicklich möglich, die Bilderfchäfze
zweier Bremer Pr ivatfammlungen zu zeigen,
von denen allerdings manches fchon von früheren
Veranftaltungen bekannt ift.
Faft alle die großen Namen, die nicht nur der
zeitgenöfpfchenfranzöfifchen, fondern der gefamt-
europäifchen Malerei Gefid)t und Richtung ge-
geben haben, pnd mit guten, zum Ceil hervor-
ragenden merken vertreten. Da ift die gigantifche
Figur von Delacroix, der uns, indem wir Ab-
ftand von ihm gewinnen, weniger bedeutfam,
als Kunftrevolutionär, denn als ein letztes Bei-
fpiel jener großen Künftlerperfönlichkeiten er-
fcßeint, wie pe im 3eitalter der Renaiffance er-
wuchfen, vollgefogen mit der Geifteskultur ihrer
3eit, deren vollendeter Ausdruck und CUegweifer
pe zugleich waren, reine Künftler, Maler, und
doch breiter fußend, ohne Metierengigkeit, große
Geifter fchlechthin. hier hängt die Untermalung
feines „Löwen, der ein Pferd zerreißt“, mit dem
ganzen erften Furor eines flammenden Cempe-
ramentes hingefegt, das Farbenkleinod feiner
„büßenden Magdalena“ und feine fpäte „Löwen-
jagd“, gewaltige Form gewordene Erregung,
Farbe, die raufchhaft fchön, losgelöft vom Ob-
jekt, vergeiftigt, eigene, ewige Melodie des
Lebens geworden ift. Auch von G e r i c a u 11, dem
ung verftorbenen, feinem Vorläufer, einer Ikarus-
pgur, die wie eine frühere Inkarnation von

Delacroix erfcheint, ift eines feiner feltenen
Bilder, der „Corfo in Rom“ vorhanden.
Corot ift mit einer frühen italienifchen Land-
fchaft vertreten, die in ihrer fouveränen Ein-
fachheit, in ihrer Vergeiftigung des Naturvor-
wurfs wie ein Bruder des köftlichen kleinen
Blechens der Bremer Galerie anmutet. Con-
pables Bedeutung erhellt eine kleine Landfchaft,
ein fandiger Abhang, die ebenfofehr die neue
Unmittelbarkeit feiner Naturanfchauung, wie feine
innere Verwandtfchaft mit den großen hollän-
difchen Landfehaftern des 17. Jahrhunderts er-
weift. Von Courbet, der ganz Maler und nur
Maler war, aber das mit unerhörter Stärke und
Konfequenz, bekommen wir eine charakterißifche
Landfchaft, einen prachtvollen Kopf und vor
allem den „Apfelblütenzweig“ zu fehen, der einen
Gipfel reiner Malerei bedeutet.
Und dann vier Bilder von Monet, der wohl
nie erfchöpfender als mit den CUorten Cezannes
charakterisiert wurde, „Monet ift nichts als ein
Auge“, und dann nach einigen Augenblicken des
Nachdenkens bewundernd, „aber was für ein
Auge“. Renoir, diefer franzöpfchfte aller fran-
zöfifchen Maler des 19. Jahrhunderts, der Limoger,
dem als ein glückliches Erbteil feiner Vaterftadt
etwas im Blute gefteckt zu hüben fcheint von
der Liebe zum pnnlich fd)önen Emaille der Farb-
oberfläche, ift nicht erfchöpfend, aber immerhin
doch mit drei guten Bildern, einem kleinen Still-
leben, einem wundervollen Blumenftrauß und
einem feiner Mädchenköpfe, deren weiblichen
Charme nachzugehen, er nie müde geworden ift,
charakterifiert. Eine bezeichnende gute Flußland-
fchaft Sisleys rundet das Bild der impreffioni-
ftifchen Schule ab.
Neben Delacroix aber ift Cezanne der Höhe-
punkt diefes Raumes. Von ihm hängen hier feine
berühmten „Culpen“, die entzückende kleine
Landfchaft „Jas de Bouffan“ und endlich die
„Rote Erde“, eine jener ganz reifen, ganz be-
deutenden, in die 3ukunft weifenden Schöpfungen,
bei denen pch die Frifche des Naturerlebniffes
mit jenem lebten an Sublimierung der Form ver-
bindet, das man klaffifch nennt.
3wei Deutfche hüben fich zwifdjen die fran-
zöfifchen Meifter, wie es fcheint, verirrt. Aber
wenn man recht hinficht, h> fühlt man, daß pe
durchaus hier am Platte pnd, daß Crübners
„Klofter Herrenchiemfee“, mit dem vollen bra-
vouröfen Können des Künftlers und ohne viel
von der bei ihm oft peinlichen Kälte der Emp-
pndung gemalt, gute Figur in diefer Umgebung
macht, und daß der kleine Choma „Cal bei Siena“
eine jener feltenen reinen Schöpfungen des fo
Ungleichen ift, ein Bild, das obwohl To typifch
deutfd), vielleicht das einzige im Saal ift, das —
in einer anderen Sprache zwar — dasfelbe fagt,
wie Cezannes „Rote Erde“, eine jener vollendeten
Harmonien darftellt, die blitzartig erhellen, was
eigentlich Kunft ift.

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