Utidi'lbtrgkr Ztilung.
KreisueMiwigmgsdlatt für Sen Kreis Heiüclbcrg nnü nmtliches Äcrkünvigungsblatt fiir üie Aints- unü Amts-
Gerichtsbezirkc Hcidelbcrg unv Wicsloch und dcn Amtsgerichtsbczirk Sicckargemünü.
M L«1
Domiersttig, 12 Juli
18««
Bestellungen auf die „Heidelberger
Zeirung" nebfl Beilage „Heidelber-
ger Familienblätter" für das mit 1.
Juli 1866 begonnene 3. Quartal
werden fortwäbrend angenommen.
Die Expe^Ltion
^ Zur gegenwärtigen Lage.
Wer sich am vergangenen Donnersiag zu
den Gruppen gesellte, die das an den Straßen-
ecken angeschlagcne Moniteurtelegramm über die
Abtretung Venetiens commentirten, der ver-
nahm selten einsichtsvolle Worte, die einem
großen welthistorischen Ereigniß entsprechen
konnten. Wilde Aeußerungen, wie: „Perfibie!
Schurkenstrcich!" schwirrten durch die Luft und
verriethen eher den Politiker der Bierbank, wie
denpolitischcn Denker. Aus derFurcht vor franzö-
sischcr Einmischung sucht man nunmehr Kapilal
für denBismarck'schen Einheitsgedanken, fürdas-
selbePreußenzumachen, das man eben noch als den
Hort des Militärdespotismus mit allen Kräften
bekämpfen wollte. Was ist denn geschehen, um
so raschen Wechsel zu rechtfertigen? Die.
Macht, die uns ge'genübersteht, ist ge-
wachsen, undungleich gefährlicher ge-
worden, seit sie die Bluttaufe des
Siegs und des Erfolgs erha'ltcn hat.
Denn es ist ihr nun gelungen, den Rest von
Bcsinnung zu tilgen und das Rechtsgefühl zu
überrumpeln, das in der preußischen Nation
noch lebte. Derselbe Minister, der jüngsthin
als „Herostrat", als Frevler, Abenteurer ver-
schrieen war, ist nun unter eincm polttisch un-
mündigen Volke ein populärer Mann gewor-
den. Was man eben erst steinigen wollte,
wurde über Nacht zum Götzen, vor dem man
im Staube liegt. Das Geheimmittel: sich eine
innere Pression durch äußere Verwicklung, durch
Blnt und Eisen vom Halse zu schaffen, ist für
lange hin als vortrefflich bewährt worden. Und
das preußische Volk darf sich darüber nicht be-
klagen: es huldigt ja selbst dem Trommelwirbel
und den Bajonetten, seit es ihre Macht er-
sahren hat. Der Auöfall der preußischen
Wahlen beweist in erschreckender Weise, wie
sehr Bismarck auf die politische Unreife, auf
die niederen Motive in der Menschenbrust spe-
culiren durftc, wie leicht man in Preußen be-
reit ist, die innere Freiheit einzutauschen gegen
Machtzuwachs und Ruhm. Diese demorali-
sirende Wirkung ist die traurigste Folge der
gegenwärtigen Verwicklung. Jn Zeiten unbe-
rechenbarer Prüfung, wo daS Recht mit Füßen
getreten wird und das Schlechte triumphirt, da
pflegr der Einzelne wie der große Haufen rasch
abzufallen von der guten Sache und dem Evan-
gelium des Erfolges zuzujubeln. „Genieine
Noth trag' ein gemeiner Mensch, Es segl' auf
stiller See mit gleicher Kunst ein jedes Boot;
doch tiefe TodeSwunden, die Glück in guter
Sache schlägt, verlangen den höchsteu Sinn."
Dies Wort des größten Denkers muß uns in
dunkler Zeit Frische und Kraft wiedergeben.
Auch die gegenwärtige Noth wird nur der Prüf-
stein unserer echten deutschen Gesinnung sein.
Erörtern wir die Gründe unserer Gegner noch
einmal kalt und leidenschaftölos; weisen wir
den Thatsachcn der letzten inhaltsschweren
Wochen ihre wahre Bedentung zu. „Wir sind
nicht blind für Bismarck's Schwächen", wirft
man unS ein, „doch in Oesterreich herrscht cin
gleiches reactiouäres Regiment, das sich jetzt
sogar mit dem Erbfeind Deutschlands hochver-
rätherisch verbundcn hat." Das ist eine völlige
Verdrehung der Thatsachen. Zunächst herrscht
in Ocsterreich keine Reaction (von einer wahr-
haft freisinnigen, Politik, von ciner ehrlichen
entschiedenen Manifestation auch die Volksrechte
zu achtcn und den wohlbegründeten Forderun-
gen der Nation durch Berufung eines freige-
wählten deutschen Parlamcutes zu entsprechen,
ist aber auch in dem Kaiserstaate bis jetzt keine
Rede. ,D. R.), wie das in Preußen leider nur
zu sehr der Fall ist, sondern in Oesterreich
herrschl blos Unfähigkeit zur Verfassungsge-
staltung. Das wesentlichste Hinderniß einer
gedcihlichen Entfaltung constitutionellen Lebens
beruht dort in den verschiedenen Nationalitäten,
deren verschiedenen Bedürfnissen und geschicht-
lich begründeten Jnteressen bisher in einer Ge-
sammtverfassung kein genügendcr Ausdruck ver-
liehen werden konntc. Durch das nunmehr
erfolgte definitive Ausscheiden der Jtaliener aus
dem österreichischen Staatsverband kann der
constitutionelle Gestaltungsproceß Oesterreichs
nur erleichtert und gefördert werden. Oester-
reich hat in der Noth der letzten Tage den
Schritt gethan, den seine hellblickendsttn Staats-
mäuner schon lange als erste Bedingung in-
nerer Stärkung bezeichnet haben. Um inner- §
lich zu wachsen, hat es sichderGebiete
entäußerl, die ihm bishcr eine Quelle
des Unfriedens und Hasses gewesen
sind. ES hat gerade-das Umgekehrte
von dem gethan, was die gcgenwär-
tige preußische Pdlitik als ihr Ziel
aufsteckt. Oesterreich t'rak Venetien ab, und
zwar nicht an Jtalien, weil das, wie Jeder,
der nicht blind sein will, einsieht, unmöglich
war. Hatte doch Ztalien noch kurz vor Beginn
des Kampfes das österreichische Anerbietcn der
Cession positiv abgel.ehnt! Venetien mußte an
einen mächtigen Staat abgetreten werden, der
zugleich im Stande war, dcn Kriegseifer der
Jtaliener zu dämpfen unv ihrer Unternehmungs-
lust, die sich an deutschem Bundesgebiet zu ver-
greifen drohte (vielleicht schon vergriffen hat!
D. R.), ein kategorisches Halt! zuzurufen.
Jndem Oesterreich Venetien an Frankreich ab-
tral, sorgte eS also nicht sowohl für die eiqene,
wie für die Sache des deutschen Bundes. Von
Landesverrath kann um so weniger die Rede
sein, als es sich gerade darum handelt, einem
landesverrätherischen Bündniß Preußens mit
dem Auslaud die Spitze abzubrechen. Nur die
vollendete Unreife unserer Gefühlspolitiker wird
sich über den Kaiser Franz Joseph entsetzen,
weil er in der Verzweiflung zu dem Hilfsmittel
griff, das Preußen ohne jede zwingende Ver-
anlassung schon längst ergriffen hatte. Vyn
preußischer Seite walten ja die zarten Bedenken
der Bundestreue so wenig ob, daß man schon
mit der bloßen Be-eichnung: „mittelcuropäische
Staatengruppe" die deutschen Staaten dem
Ausland gleichsam als herrenlose Gegenstände
hinwarf und das AuSland einlud, über die
Theile des durch Preußens Austritt entseelten
Rumpfes als gute Bcute herzufallen. Und da
wnndert man sich, weun Wind gesäet ist, daß
man Sturm erndten soll? Man spielt den
entrüstetcn Patrioten darüber, daß Oesterreich
den eigenen Vortheil verfolgt, da man sich
längst von allen Rücksichten gegen Andere ver-
mögc höheren göttlichen Kraftberufs entbunden
hat? Während man mit Jtalien gegen Deutsch-
land gefochten und mit Frankreich insgeheim
stets geliebäugelt hat, schreit man Verath! weil
Oesterreich Frankreichs Vermittlung anruft,
welche auch sofort die Billigung des Königs Wil-
helm gefunden? Verhängnißvoll genug rcifen
jetzt die Früchte der Blut- und Eiscnpolitik.
Hoffen wir, daß der frische, fröhliche Krieg mit
Frankreich, in den uns unselige Verblendung
stürzen möchte, verhindert, daß die Kcck-
heit des preußischen Prcmiers zur Besinnung
und zum Einlenken gebracht werde. Jn der
That fordert ein tief begründetes Bedürfniß der
europäischeN Staatcnfamilie, daß im Mittel-
punkt Europa's Achtung vor dem Rechte herrsche
und ein europäisches Jnteresse fordert, daß die
Vergewaltigungslust, welche nur übcr Berge von
Leichen führt und das Herzblut der Nation zum
Opfer fordert, in Deutschland für immer er-
stickt werde. Vor Allem daher ehrenvollen
Frieden, denn wer weiß, ob nicht binnen
Kurzem die Gesammtkraft des ganzen deut-
schen Volkes im Verein mit dem siegreichen
Preußen fest zusammenftehen muß, um dcn
Erbfeind unseres Vaterlandes zu bekämpfen?
Uud noch fordert ein unheilvoller Krieg zwi-
schen Deutschen das Blut unsercr treuesten
Söhne, zur Befriedigung ehrgeiziger dynasti-
scher Znteressen ü
* Politische Umschau.
Heidelberg, 11 Juli.
I * Die Jtaliener sind mit dem unerwar-
teten Verzichte OesterreichS auf Venetien am
wenigsten cinverstanden. Sie sehen hierin eine
große Beleidigung für ihr Nationalgesühl, cine
politische und moralische Niederlage, größer und
stärker als die militärische bei Custozza; zu-
gleich fürchten sie dic Compensationen, welche
Napoleon für die Schenkung Venetiens von
ihnen fordern wird. Den neuesten Nachrichlcn
zufolge hat ihre Armee trotz der Abmahnnng
Napoleons den Po überschritten, um nochmals
das Waffenglück, diesmal von Süden her, zu
versuchen. Was Oesterreich betrifft, so er-
regt es dort mit Recht eine große Verstimmung,
daß von Seiten der Rcgierung, trotz des gegen-
wärtigen großen Nationalunglücks keine Schritte
gethan werden, um sich dcm Volkc iu libcraler
Weise zu nähern. Selbst die österreichischen Or-
gane geben zu verstehen, daß unter diesen Um-
stälzden ein, wie auch immer sich gestaltender
Friede das Beste wäre, was dcm Waffcn-
stillstande (der übrigens noch nicht feststeht)
nachfolgen könne. Noch weit mehr gilt dies
natürlich von den übrigen deutschen Stammen.
Nicht darum soll gekämpft werden, ob das Haus
Habsburg oder das Haus Hohcnzollern in
Deutschland gebiete, sondern ob das deutsche
Volk dem Gange seiner Entwicklung folgen und
seine Glieder zu einem gemeinsamen Körper
verbinden, oder ob ihm die preußische Junker-
uniform übergeworfen und eS durch ein SL-
belregiment zur Einheit gebracht werden soll.
Nicht als militärischer Kampf läßt sich
der gegenwärtige Conflict ausfechten; nur als
politischer Kampf ist er zu gewinnen; zu den
materiellen Kräften sind die sittlichen aufzuru-
fen; der Freiheitsdrang der Nation soll der
Hauptfactor sein, der in's Feld zu führen ist.
Jn einer Lage, wie sie jetzt geworden ist und
durch die Einmischung des Auslandes noch
schlimmer zu werden droht, werden dic höchsten
Opfer von der Nation gefordert werden müssen,
wenn anders der Friede nicht sofort zu Stande
kommt. Solche Opser zu fordern und zu er-
halten vermag nur eine Jnftanz, das deutsche
Parlament. Ohne ein solches ist die deutsche
Sache auf lange Zeit hinaus verloren!
Die „Patrie" will aus Privatbriefen aus
Berlin erfahren. daß dort die öffentliche Mei-
nung bis in die unteren Klaffen der Bevölke-
rung sich mit der französischen Vermittlung
einverstanden erklärt. (Von anderer Seite wi-
dersprochen.)
KreisueMiwigmgsdlatt für Sen Kreis Heiüclbcrg nnü nmtliches Äcrkünvigungsblatt fiir üie Aints- unü Amts-
Gerichtsbezirkc Hcidelbcrg unv Wicsloch und dcn Amtsgerichtsbczirk Sicckargemünü.
M L«1
Domiersttig, 12 Juli
18««
Bestellungen auf die „Heidelberger
Zeirung" nebfl Beilage „Heidelber-
ger Familienblätter" für das mit 1.
Juli 1866 begonnene 3. Quartal
werden fortwäbrend angenommen.
Die Expe^Ltion
^ Zur gegenwärtigen Lage.
Wer sich am vergangenen Donnersiag zu
den Gruppen gesellte, die das an den Straßen-
ecken angeschlagcne Moniteurtelegramm über die
Abtretung Venetiens commentirten, der ver-
nahm selten einsichtsvolle Worte, die einem
großen welthistorischen Ereigniß entsprechen
konnten. Wilde Aeußerungen, wie: „Perfibie!
Schurkenstrcich!" schwirrten durch die Luft und
verriethen eher den Politiker der Bierbank, wie
denpolitischcn Denker. Aus derFurcht vor franzö-
sischcr Einmischung sucht man nunmehr Kapilal
für denBismarck'schen Einheitsgedanken, fürdas-
selbePreußenzumachen, das man eben noch als den
Hort des Militärdespotismus mit allen Kräften
bekämpfen wollte. Was ist denn geschehen, um
so raschen Wechsel zu rechtfertigen? Die.
Macht, die uns ge'genübersteht, ist ge-
wachsen, undungleich gefährlicher ge-
worden, seit sie die Bluttaufe des
Siegs und des Erfolgs erha'ltcn hat.
Denn es ist ihr nun gelungen, den Rest von
Bcsinnung zu tilgen und das Rechtsgefühl zu
überrumpeln, das in der preußischen Nation
noch lebte. Derselbe Minister, der jüngsthin
als „Herostrat", als Frevler, Abenteurer ver-
schrieen war, ist nun unter eincm polttisch un-
mündigen Volke ein populärer Mann gewor-
den. Was man eben erst steinigen wollte,
wurde über Nacht zum Götzen, vor dem man
im Staube liegt. Das Geheimmittel: sich eine
innere Pression durch äußere Verwicklung, durch
Blnt und Eisen vom Halse zu schaffen, ist für
lange hin als vortrefflich bewährt worden. Und
das preußische Volk darf sich darüber nicht be-
klagen: es huldigt ja selbst dem Trommelwirbel
und den Bajonetten, seit es ihre Macht er-
sahren hat. Der Auöfall der preußischen
Wahlen beweist in erschreckender Weise, wie
sehr Bismarck auf die politische Unreife, auf
die niederen Motive in der Menschenbrust spe-
culiren durftc, wie leicht man in Preußen be-
reit ist, die innere Freiheit einzutauschen gegen
Machtzuwachs und Ruhm. Diese demorali-
sirende Wirkung ist die traurigste Folge der
gegenwärtigen Verwicklung. Jn Zeiten unbe-
rechenbarer Prüfung, wo daS Recht mit Füßen
getreten wird und das Schlechte triumphirt, da
pflegr der Einzelne wie der große Haufen rasch
abzufallen von der guten Sache und dem Evan-
gelium des Erfolges zuzujubeln. „Genieine
Noth trag' ein gemeiner Mensch, Es segl' auf
stiller See mit gleicher Kunst ein jedes Boot;
doch tiefe TodeSwunden, die Glück in guter
Sache schlägt, verlangen den höchsteu Sinn."
Dies Wort des größten Denkers muß uns in
dunkler Zeit Frische und Kraft wiedergeben.
Auch die gegenwärtige Noth wird nur der Prüf-
stein unserer echten deutschen Gesinnung sein.
Erörtern wir die Gründe unserer Gegner noch
einmal kalt und leidenschaftölos; weisen wir
den Thatsachcn der letzten inhaltsschweren
Wochen ihre wahre Bedentung zu. „Wir sind
nicht blind für Bismarck's Schwächen", wirft
man unS ein, „doch in Oesterreich herrscht cin
gleiches reactiouäres Regiment, das sich jetzt
sogar mit dem Erbfeind Deutschlands hochver-
rätherisch verbundcn hat." Das ist eine völlige
Verdrehung der Thatsachen. Zunächst herrscht
in Ocsterreich keine Reaction (von einer wahr-
haft freisinnigen, Politik, von ciner ehrlichen
entschiedenen Manifestation auch die Volksrechte
zu achtcn und den wohlbegründeten Forderun-
gen der Nation durch Berufung eines freige-
wählten deutschen Parlamcutes zu entsprechen,
ist aber auch in dem Kaiserstaate bis jetzt keine
Rede. ,D. R.), wie das in Preußen leider nur
zu sehr der Fall ist, sondern in Oesterreich
herrschl blos Unfähigkeit zur Verfassungsge-
staltung. Das wesentlichste Hinderniß einer
gedcihlichen Entfaltung constitutionellen Lebens
beruht dort in den verschiedenen Nationalitäten,
deren verschiedenen Bedürfnissen und geschicht-
lich begründeten Jnteressen bisher in einer Ge-
sammtverfassung kein genügendcr Ausdruck ver-
liehen werden konntc. Durch das nunmehr
erfolgte definitive Ausscheiden der Jtaliener aus
dem österreichischen Staatsverband kann der
constitutionelle Gestaltungsproceß Oesterreichs
nur erleichtert und gefördert werden. Oester-
reich hat in der Noth der letzten Tage den
Schritt gethan, den seine hellblickendsttn Staats-
mäuner schon lange als erste Bedingung in-
nerer Stärkung bezeichnet haben. Um inner- §
lich zu wachsen, hat es sichderGebiete
entäußerl, die ihm bishcr eine Quelle
des Unfriedens und Hasses gewesen
sind. ES hat gerade-das Umgekehrte
von dem gethan, was die gcgenwär-
tige preußische Pdlitik als ihr Ziel
aufsteckt. Oesterreich t'rak Venetien ab, und
zwar nicht an Jtalien, weil das, wie Jeder,
der nicht blind sein will, einsieht, unmöglich
war. Hatte doch Ztalien noch kurz vor Beginn
des Kampfes das österreichische Anerbietcn der
Cession positiv abgel.ehnt! Venetien mußte an
einen mächtigen Staat abgetreten werden, der
zugleich im Stande war, dcn Kriegseifer der
Jtaliener zu dämpfen unv ihrer Unternehmungs-
lust, die sich an deutschem Bundesgebiet zu ver-
greifen drohte (vielleicht schon vergriffen hat!
D. R.), ein kategorisches Halt! zuzurufen.
Jndem Oesterreich Venetien an Frankreich ab-
tral, sorgte eS also nicht sowohl für die eiqene,
wie für die Sache des deutschen Bundes. Von
Landesverrath kann um so weniger die Rede
sein, als es sich gerade darum handelt, einem
landesverrätherischen Bündniß Preußens mit
dem Auslaud die Spitze abzubrechen. Nur die
vollendete Unreife unserer Gefühlspolitiker wird
sich über den Kaiser Franz Joseph entsetzen,
weil er in der Verzweiflung zu dem Hilfsmittel
griff, das Preußen ohne jede zwingende Ver-
anlassung schon längst ergriffen hatte. Vyn
preußischer Seite walten ja die zarten Bedenken
der Bundestreue so wenig ob, daß man schon
mit der bloßen Be-eichnung: „mittelcuropäische
Staatengruppe" die deutschen Staaten dem
Ausland gleichsam als herrenlose Gegenstände
hinwarf und das AuSland einlud, über die
Theile des durch Preußens Austritt entseelten
Rumpfes als gute Bcute herzufallen. Und da
wnndert man sich, weun Wind gesäet ist, daß
man Sturm erndten soll? Man spielt den
entrüstetcn Patrioten darüber, daß Oesterreich
den eigenen Vortheil verfolgt, da man sich
längst von allen Rücksichten gegen Andere ver-
mögc höheren göttlichen Kraftberufs entbunden
hat? Während man mit Jtalien gegen Deutsch-
land gefochten und mit Frankreich insgeheim
stets geliebäugelt hat, schreit man Verath! weil
Oesterreich Frankreichs Vermittlung anruft,
welche auch sofort die Billigung des Königs Wil-
helm gefunden? Verhängnißvoll genug rcifen
jetzt die Früchte der Blut- und Eiscnpolitik.
Hoffen wir, daß der frische, fröhliche Krieg mit
Frankreich, in den uns unselige Verblendung
stürzen möchte, verhindert, daß die Kcck-
heit des preußischen Prcmiers zur Besinnung
und zum Einlenken gebracht werde. Jn der
That fordert ein tief begründetes Bedürfniß der
europäischeN Staatcnfamilie, daß im Mittel-
punkt Europa's Achtung vor dem Rechte herrsche
und ein europäisches Jnteresse fordert, daß die
Vergewaltigungslust, welche nur übcr Berge von
Leichen führt und das Herzblut der Nation zum
Opfer fordert, in Deutschland für immer er-
stickt werde. Vor Allem daher ehrenvollen
Frieden, denn wer weiß, ob nicht binnen
Kurzem die Gesammtkraft des ganzen deut-
schen Volkes im Verein mit dem siegreichen
Preußen fest zusammenftehen muß, um dcn
Erbfeind unseres Vaterlandes zu bekämpfen?
Uud noch fordert ein unheilvoller Krieg zwi-
schen Deutschen das Blut unsercr treuesten
Söhne, zur Befriedigung ehrgeiziger dynasti-
scher Znteressen ü
* Politische Umschau.
Heidelberg, 11 Juli.
I * Die Jtaliener sind mit dem unerwar-
teten Verzichte OesterreichS auf Venetien am
wenigsten cinverstanden. Sie sehen hierin eine
große Beleidigung für ihr Nationalgesühl, cine
politische und moralische Niederlage, größer und
stärker als die militärische bei Custozza; zu-
gleich fürchten sie dic Compensationen, welche
Napoleon für die Schenkung Venetiens von
ihnen fordern wird. Den neuesten Nachrichlcn
zufolge hat ihre Armee trotz der Abmahnnng
Napoleons den Po überschritten, um nochmals
das Waffenglück, diesmal von Süden her, zu
versuchen. Was Oesterreich betrifft, so er-
regt es dort mit Recht eine große Verstimmung,
daß von Seiten der Rcgierung, trotz des gegen-
wärtigen großen Nationalunglücks keine Schritte
gethan werden, um sich dcm Volkc iu libcraler
Weise zu nähern. Selbst die österreichischen Or-
gane geben zu verstehen, daß unter diesen Um-
stälzden ein, wie auch immer sich gestaltender
Friede das Beste wäre, was dcm Waffcn-
stillstande (der übrigens noch nicht feststeht)
nachfolgen könne. Noch weit mehr gilt dies
natürlich von den übrigen deutschen Stammen.
Nicht darum soll gekämpft werden, ob das Haus
Habsburg oder das Haus Hohcnzollern in
Deutschland gebiete, sondern ob das deutsche
Volk dem Gange seiner Entwicklung folgen und
seine Glieder zu einem gemeinsamen Körper
verbinden, oder ob ihm die preußische Junker-
uniform übergeworfen und eS durch ein SL-
belregiment zur Einheit gebracht werden soll.
Nicht als militärischer Kampf läßt sich
der gegenwärtige Conflict ausfechten; nur als
politischer Kampf ist er zu gewinnen; zu den
materiellen Kräften sind die sittlichen aufzuru-
fen; der Freiheitsdrang der Nation soll der
Hauptfactor sein, der in's Feld zu führen ist.
Jn einer Lage, wie sie jetzt geworden ist und
durch die Einmischung des Auslandes noch
schlimmer zu werden droht, werden dic höchsten
Opfer von der Nation gefordert werden müssen,
wenn anders der Friede nicht sofort zu Stande
kommt. Solche Opser zu fordern und zu er-
halten vermag nur eine Jnftanz, das deutsche
Parlament. Ohne ein solches ist die deutsche
Sache auf lange Zeit hinaus verloren!
Die „Patrie" will aus Privatbriefen aus
Berlin erfahren. daß dort die öffentliche Mei-
nung bis in die unteren Klaffen der Bevölke-
rung sich mit der französischen Vermittlung
einverstanden erklärt. (Von anderer Seite wi-
dersprochen.)