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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 257-282 November
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Utidrlbergrr Zriluirg.

Sreitag, 2,r November 18««.

N 27«

Oesterreichs Noth und Rettung.

Die Hierarchie im Kaiserstaat.

V.

Karlsruhe, 18. Nov. Wir haben durch
Zah'len nachgewiesen, daß die Urberreicherung
des Clerus im Kaiserstaat die Grundursache
seincs volkSwirthschaftlichen Stillstandes und
Rückganges, und damit seiner finanziellen Noth
und materiellen Verfalles sei. Wir haben fer-
ner aus der neuesten Leidcnsgeschichte Oester-
reichs die Thatsachen angeführt, welche klar
und offen darlegen, wie dort der höhere Clerus
auch jeden Funkens patriotischer Opferwillig-
- keit baar und ledig sich zeigte, sobald es galt,
dem in äußerster Noth selbst um seine Existenz
ringenden Staate zu Hilfe zu kommen.

Man hat sich gewundert, daß dic österrei-
chische Hierarchie sich solche Blößen gegeben,
daß sie nicht vielmehr schon aus klugcr Bercch-
nung einige Millionen auf den Altar deS Vater-
landes gelegt habe, um mit ver öffentlichen
Meinung in Oesterreich selbst sich zu versöhnen
und den lauten Anklagen aller verständiger
österxeichischer Patrioten gleichsam ein Dementi
zu bieten. .

Die Hierarchie in Oesterreich hat dies njcht
gethan; sie hat die Maxime der Klugheit, durch
* kleine Opfer Großes zu retten, nicht befylgt.
Wir wundern uns übcr diese Verblendung der
Hierarchen nicht; denn Geistlosigkcit schcint in
unseren Tagen überhaupt das allgcmeine Merk-
mal der römischen Hierarchie zu sein, und zwar
diesseits wic jenseits der Alpen. Die jesui-
tische Hierarchie, wie sich diese fast überall im
Schooße der katholischen Kirche ganz gegen dcn
beffern Geist und die sonnenklarsten Jnteressen
diescr Kirche im Bunde mit dem Absolutismus
und der europäischen Neaction ausgebildet hat,
hat sich ganz auf den Standpunkt deö Legi-
timismuS gestcllt, und theilt ganz und gar
die bornirte Befangenheit und den blinden Haß
l dicser Politik gegen die gesammte modern« Ci-
vilisation, deren Anforderungen und Bedürfnisse.

Darum behauptet diese Hierarchie ganz wie
der Legitimismus, das Unglück dcr Staaten
kommc daher, daß man ihr System nur theil-
weise, und nicht ganz und gar befolge. Jhre
Feindschaft gegen jede freie geistige Bewegung,
gegen Schule und Wissenschaft, gegen Verfas-
sung und Volksrecht ist in wachsendcr Zu-
nahme begriffen, je mehr das Leben dcr Völker
nach Licht und Freiheit schmachtet, um bei der
gegenwärtigen gewaltigen Culturentwicklung der
Menschheit nicht ftille zu stehen, d. i. zurück-
zubleiben und elend zu verkümmern.

Dom Miguel, Herzog von Braganza.

Dom Miguel Maria Evarista ist alS Sohn deS
Königs Joao VI. von Portugal und der Prinzes-
stn Earlota von Spanten am 26. Oct. 1802 ge-
boren. Unter der Leitung seiner Mutter, nach

zeigte er fich schon jung als entschiedener Gegner
deS constitutionellen Prinzi-pS. Dom Miguel stif-
tete 1824 etne Verschwörung gegen die von seinem
Vater begünstigte Verfassung, und fast wäre der
Anschlag geglüA, da bereits einige Tausend Mann
Truppen für den Prinzen gestimmt waren, und die
Person deS KönigS sich in den Händen der Ber-
schwornen befand, alS der französische Gesandte an
der Spitze deS diplomatischen KörperS fich Zugang
zum König verscbaffte und von diesem die Versiche-
rung erhielt, daß AlleS ohne setn Wissen geschehen
sri. Der König begab sich an Bord cinrS im Tajo
liegenden englischen SchiffS, die Königin und der
Prinz wurden verbannt, und Letzterer schtffte fich
am 14. Mai nach NanteS etn, von wo er nach
Wien ging und dort mehrere Jahre lebte. Nach
seineS VaterS Tod, 1826, gab Kaiser Dom Pedro s

Es charakterisirt klar den Ungeist der östcr-
reichischen höhern Hierarchie in dieser Richtung,
daß dieselbe gegen die löblichen Schritte der
Stadt Wien,' das Volksschulwesen der Haupl-
ftadt zu reformiren und ihm durch eine beffere
Vorbildung der Lehrer aufzuhelfen, sofort Pro-
test erhob und alle ihre mächtigen Hebel in
Bewcgung setzte, um einen so zeitgemäßen Plan
zu vcreiteln, und den ersten Bedingungen zum
Besserwerdcn in Oesterreich sich entgegenzu-
stellen. Lcider hat die rathlose Regierung auch
hicr nachgegeben.

Die jesuitische Hierarchie hat daS schöne und
.herrliche Oesterreich, an den Bettelstab ge-
bracht; ihre Sünde geht aber noch wciter, sie
bestreitct und verkümmert ihm auch die ersten
Grundbedingungcn des Besserwerdens. Bliebe
dieser Zustand erhalten, wtrd hier nicht die
Axt an daS tödtliche System gelegt, und ener-
gisch und gründlich geholfen, so bliebe nichts
übrig, als — mil ihm unterzugehen, wenn nicht
heute oder morgen, so gewiß doch in nicht zu
ferner Zukunft... Dies ist das nothwen-
digeFacitderangeführtenZatzlenund
Tha lsachen.

Unsere Wünsche sind für das Gegentheil.
Schreiber dicses hat schon vor Jahren auf daS
vorstehende Grundübel in Oesterreich aufmerk-
sam gemacht; auch hat er zu allen Zeiten nach
seinen schwachcn Kräften dagegen gekämpft,
namentlich im Gegensatz und im Streite mit
den vielen angeblichen aber falschen Freunden
des Kaiserstaates, denen dessen Unglück nicht
zum geringen Theil zur Last fällt.

Das politische Siechthum deF sonst so mäch-
tigen Oesterreichs hängt mit seinen verkomme-
nen, unwahren, unchristlichen, ja unkatholischen
kirchlichen Zuständen zusammen; diese ernste
Mahnung lehren Zahlen und Thatsachen,
die beide hartnäckiger NatUr sind, und sich von
dem gesunden Sinne weder ignoriren noch weg-
läugnen lassen.

Kann hier nicht geholfen werden, weil das
Uebel bereitS zu tief sich eingefressen, oder hat
man nicht die Einsicht und den Muth, durch-
greifend und nachhaltig zu helfen, dann wäre
freilich dem Donaureich überhaupt nicht mehr
zu helfen — sein Todesurtheil wäre auf dem
Leichenfelde von Königgrätz gesprochen.

* Politifche Umschau.

Heidelberg, 22. November.
An die mögliche Bildung eines süddeutschen
Staatenbundes scheint in England nur noch
der Advertiser zu glauben, die andern Organe

von Brasilten durch Decret vom 3. Jult 1827 seiner
Tochter Donna Maria da Glorta den Thron von
Portugal unb bestimmte/daß Migu?l die Köntgin,
seine Nichte, ehelichen, zugleich aber die Verfassung

wenigen Tagen hob er die Verfassung auf, erklärte
fich durch Decret vom 30. Iuni 1828 zum Köntg,
und regierte ganz absolutistisch, ward aber, außer

über London nach Rio de Ianeiro zurückkehrte.
Im Aahr 1832 machte Dom Pedro eine Gcgen-
revolution» und Dom Miguel ward enblich unter
Englands Mitwirkung gestürzt. In Folge der
Uebereinkunft von Evora-Monte, 26. Mai 1834,
verließ Miguel Portugal auf etnem englischen
KrtegSschiff und ging über Genua nach Rom, lebte
dort eintge Iahre, vermählte fich am 24. Sept.
1854 mit der Prinzesfin Adelhetd von Löwenstein
s Wertheim-Rochefort und lebte seitdem meistenS auf

folgen allmälig immer mehr dcr Ansichl der
Timcs. Der Herald bemerkt hcute: Äus dem
süddeutschen Bunde wird wahrscheinlich nicht
mehr werden, als aus jcncm andern stnnrei-
cheu Project des KaiserS der Franzosen, auS
der italienischcn Föderation. Preußen, bemerkt
er weiterhin richtig, werde keinen süddeutschen
Staat mit Gewalt in den norddeutschen Bund
treiben, aber mittelft des Zollvereins, den es
von Zeit zu Zeit kündigen könne, und ohne
wclchen die Finanzen des SüdenS bald erschöpft
wären, vermöge eS Bayern, Baden und Würt-
temberg in seinen Schooß. zu ziehen. Bei ihrer
Jsolirung würden die süddeutschen Staaten stch
allmälig von selbst mit der Leitung Preußens
befreunden.

Die „Nordd. Allg. Ztg." widerspricht den
„von Süddeutschland verbrciteten Gerüchten"
über Verhandlungen zwischen Preußen und dem
ehemaligen König von Hannover, bftreffend
eine Verzichtleistung; ste widerspricht ferner den
Gerüchten von der Uebersiedelung preußischer
Prinzen nach Hannover, Wiesbaden und Kaffel.

Die Berliner Officiösen schreiben auswärti-
gcn Zeitungen, daß die russischen Rüstungen
nicht gecignet seien, Besorgniffe zu erregen. —
Was geht das die Berliner Officiösen an?
Oder glauben sie dadurch die Nachrichten über
ein preußisch-russisches Bündniß cntkräften zu
wollen? Fragt die „Berl. Volksztg."

Wie man vernimmt, umfaßt die dem preuß.
Landtag eingebrachte Dotationsvorlage nur eine
geringe Zahl von hochgestelltcn Militärs. Die
Namen der Generale, denen vom König eine
Nationalbelohnüng zugedacht ist, werden der
betreffenden Commission des Abgeordnetenhau-
ses genannt. Unter denselben befindet sich der
Kriegsminister v. Roon.

Der AuSschuß des Nationalvereins hat, nach
der „Sp. Ztg.", beschloffen, die Generalver-
sammlung bis zum Frühjahr auszusetzen, sich
aber an der Wahlagitation für den norddeut-
schen ReichStag nach' Möglichkeit zu betheiligen
und in dieser Beziehung eine Ansprache zu er-
laffen.

Jn Frankreich wird die Frage wegen der
Militärreorganisation, wenn auch in aller
Stille, gleichwohl mit der größten Entschicden-
heit behandelt. Ueber den Stand der Sache
vernimmt man: Die Vorschläge der Marschälle
Mac Mahon und Nicl wurden am 14. ein-
stimmig von der Commission für Heeresorgani-
sation angenommen; dieselben beruhen auf dem
Princip der allgemeinen Wehrpflicht, und be-
sagen Folgendes: 1) der Friedensstand wird
von 4- auf 600,000 Mann gebracht; 2) jeder

sckloß KarlShöhe traf, endete in der Nacht'vym
14. auf den 15. d. sein Leben. Aus seiner Ehe
leben 5 Töchter unb ein 1853 geborner Prinz.

Heidelberg, 18. Nov. Die Reihe der Vorlesun-
gen im MuseumSsaale wurde gestern durch Prof.
Kopp eröffnet. Sr wählte seinen Stoff auS dem
wissenschaftlichen Gebiete, in welchem cr bekanntlich
die erste Stelle einnimmt, nämlich auS der Ge-
schichte der Lhemie, und schilderte in kurzem Ueber-
blick den Stand deS chemischen WiffenS in verschie-
denen Zeitaltern, wobei auS dem classischen Alter-
thum sehr wepig, aus der neuesten Zeit im zweiten
Drittel unseres IahrhunderS aber daS Eindringen
der Forschung in die Zusammensetzung der Körper
auS sog Molekülrn, d. i. Gruppen von Atomrn
eineS StoffeS oder mehrerer Stoffe, bargestellt
wurde. Der Redner war bemüht, den Gegrnstuud
so letchtverständlich abzuhandeln, alS eS die Be-
schaffenheit deffelben nur irgend gestattete.
 
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