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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 152-177 Juli
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ridi'Ibtrgtr Zeitillig.

N 1«L


Dienstag, IS Juli


x Die dearsche Einiftung.

Der nachfolgende Artikel d-r „Berliner
BolkS-Zeiinng" verdient anch bei unS ver-
breitet zu werden. Er b-slätigt die Thatjache, daß
verständige nnd wirklich deutfch gestnnte Preußen
weit entsernt stnd »on dem völlig undeutschen
und vhantastischen RadicaliömuS der Ultra-
preußen. welche zncrst -in Kleindcutschland
mit Ausstoßung der schönen österreichischen deut-
schen Länder und nun vollends ein gewallsam
gegründctes K l e i n d e n ds ch l a » d jenjeits
des Mains — dieje verabschenungswür-
digste Zerreißung und Vernichlung
Deutschlands als die angeblich scgensrciche
Einigung nnscrcs drukjchen Vatcrlandes dar-
zustcllen wagen. und zur Täuschung und Fa-
natistrung unkundigcr Milbürgcr selbft dic ge-
wissenlosesteVcrbrcitung salscherVorstellnngen
»on den österreichijchen und preußischcn Zu-
ständen nicht scheucn.

Das überhaupt höchst ehrenwerthe viclver-
brcitete preußische Blatt jchreibt am 14. d. M.
wörtlich:

„Was ma» anch aussinnen mag zur Heilung
DcutschlandS, eS wird dieselbc durch nichts
schiieller herbeigeführt wcrdeu können. als durch
Einberusung cincS deutschcn ParlamenteS. Was
abcr auch im Parlamcnt von Pläncn und Wün-
schen zur AuSsprache gebracht werden möchte,
cS wird nichts die Wunden so ichnell schließen
und die Gesahrcn so leicht bcseitigen als die
rechtSgültige Verkündigung der Reichsvcrsassung.

Wir wiffcmsrcilich iehr wohl, daß stch dieiem
Zicle der Errichtung dc« BundcSstaatcs alle
möglichcn und unmöglichen Pläne von Anncrio-
nen entgegcnsteinmen, und wir hörcn auch die
Lobliedcr des EinheitsstaatcS, der die Borstufc
dcr Freiheit seiu solle. Mit einem Eiser, der
h-utigen Tages für patriotisch, viellcicht auch
gar für conscrvativ gitt, wird daS Wcsen und
die Eristenz kleiner Staaten als d-r Stanimsttz
der Schwäche und der Reaction angcfcindet und
dcn Völkerstämmcn im Gciste dcs Bolksthums
angerathcn, cs wie die Jtaliener zu machcn, di-
Fürsten zn »erjagen und daS Banncr dcs Ein-
heitSstaateS auszupflanzcn.

Jn Zeitcn dcr Auflösung bcstcheuder Zuständc
sind Projcitc radicaler Natur ungemein leicht
faßlich. Der Radicalismus hat auch seincn be-
sondcren Retz darin, daß er die einsachste Con-
segucnz und dic stmpelste Logik ausdrückt und
daruni viel leichtcr begrifscn wird als jede an-
dere Mcthode, die sich den verwickelten sactischen
Verhältniffcn anschließt. Es darf dahcr nicht
Wunder nehmen, daß sich die oberflächlichsten
Köpfe am schncllsten mit radicalen Problemen
bcsreunden. Wcr jedoch die Verhältnissc nicht
nach dcn einfachstrn Forineln, soiidcrn nach den
verschicdensten thatsächlichen Zuständen beur-
theilt, dcr kann sich nur von den leichtsertigen
Problemen abwenden. Wer Deutschland im
letztcn halben Jahrhundcrt betrachtet, wie es
wirklich war, wird. den Einheitsstaat als ein
Phantom bctrachten, das weder erreichbar noch
wünscheiiSwcrth ist.

Daß iu Deutschland die Dinge jetzt nicht jo
sind wie in Jtalien, liegt auf der Hand. Selbst
dcr schnellfertigc RadicatismuS mit seinem Jdeal
deS EinheitSstaatcs gibt zu, daß Preußen nicht
so regiert wird wie Piemont, und die Fürsten
der mittlercn und kleinen Staaten Deutschlands
nicht die Lyrannen sind, wie eS die H-rrscher
in den italienijchen Klciustaatcn waren. — Wir
sind nicht Verfechtcr der Legitimität, das wird
man uns schon glaubcnz aber wir sehen, wie
die Bcvölkerungcn dcr kleinen und der Mittel-
staatcn D-utschlandS nicht cntzückt sind von den
Bersicherungen, daß man nur die Regierungen
bekämpse, und wir verstehen und respcctiren
das Motiv, weshalb die radicalc Phrase wir-
kungslos »erhallt.

Das italienische Volk wollte die Einhcit, weil
mit ihr auch die Freiheit »erbundeu war. Das
dculsche Volk crblickt das Gegenlheil in der ge-
priesenen Einhcit des.EeutralstaateS und wünscht
uur djc Forni der Einhcil, welche eine Bürg-
schast der Frcihcit sein würde.

Jst das'so selbstvcrständlich, daß man kaum
ein Wort hierübcr zu verlicren braucht, jo lehrt
ein Blick aus die Vorgjinge und Zustände in
Dcutichland seit cinein halden Zahrhnndcrt, daß
das Gesühl des Volkes auch ein thatjächlich be-
grünsctcs ist.

Das klcinstaatliche Wesen ist cin Ucbel, daS
Jcdcrmann crkennt; aber das Ucbcl liegt nicht
darin, daß dic kleiueii Staatcn cpislircn, son-
dcrn saß sic Großstaaten jpiclen. Diese Sou-
veränetätscitclkcit ailfgeben und im Bundesstaat
cinc Einheit bilden, das ist daS Heilmittel, wel-
ches die Reichsversassung vollkommeu richtig
angebahnt und das auch im dcutschen Volkc
scine tiefen Wurzeln hat. Das ist cin erreich-
barcS Ziel, wcnii eS uur ernstlich gcwollt wird.
Und weil er tiefe Wurzcln im Volksbewußtscin
hat, ist der BundeSstaal Deutschland durchführ-
bar und crsprikßlich. Wcr dem entgegen den
EinhcitSstaat zur Volksdevise machen will, wird
auf den Wjderstand des VoikcS gegcn jcde Art
von CäsarismuS stoßen und Unheil in Deutsch-
land anrichten, statt di» Wunde des Vaterlau-
des zu heilen.

Jnnerhalb deS Bundesstaates ist die Epistenz
kleiner Staaten nebcn großen cin viel höherc»
Moment der Civillsation als der EinheitSstaat,
und cntjpricht dem germamschen Wescn der Frei-
heit viel mehr, als all die Vorbildcr romanischer
Centralisation, die man als mustergiltig preist.

Wenn man cin Land civilisirt nennt, wo
ungcfährdct der Schwache und dcr Kranke ne-
bcn dem Starkcn und Gesunden lcbt, ohne für
jeine Existenz sürLten zu müssen, so ist von
Staatcngruppen diejenigc die civilisirtere, wo
durch unlösbare Bündnisse dcr kleine Staal un-
gefährdet neben den größeren existirt. — Wie
dic Cullur deS Privalrechis im Schutz bestcht,
den das Gcsetz dcm Schwachcn gegen dcn Star-
ken gewährt, so ist die wahre Cultur des Völ-
kerrcchtes nur in solchcn Auständen ;u suchen,
wo Veriräge, wo Völkerrcchts-Gesetze dcn schwa-
chen Staat schützen vor der Bewältigung dnrch
den starkcn Nachbarstaati Wo dcr Schwache zu
cpistiren kein Recht hat, da ist der Zustand der
Unkultur, da tritt der Jmperialismus und die
Centralisation cin, in der wegeu der Unkultur
auch di- Freiheit nicht möglich ist. Der CL-
sarismus macht dic Gleichheit der
Sklavcrci, nicht di^ Freiheit der
Menschheit möglich.

Wie sehr dies in den frcieften Staatcn sich
bewahrheitet, das lehrt die Schweiz und Nord-
amerika. Nach dem Sonderbunds-Krieg der
Schweiz im Jahre1847 wärc daselbst die Cen-
tralisation möglich gcwesen. Sie wurde nimmer-
mehr vcrjucht, um die Freiheit nicht zu gesähr-
den. Nach dem jüngstcn Krieg in Amerika wäre
die Einverleibung dcr Sklavenstaate» die lcich-
teste und radikalste Hcilung. Sie wird nicht zu
Stande kommen, weil die Ccntralisation das
Grab dcr Freiheit, da« Grab der Cultur wäre,
für welche der Kricg gcsührt worden ist."

* Politische llllis.pau.

Heidelberg, 18. Juli.

* Die Bemühungen NapolconS um eincn
Wassenstillstand stnd bis jetzt gescheitcrt. ES
ist übrigcns natürlich, daß eine solche Ver-
mittlung scheitcrn mußte. Wäre das berüch-
tigte Phantastestück einer deutschen Vrrsassungs-
und Terrilorialrcviston nur eine Grille de»
französtschen MinifterS des Aeußcrn gewesen,
so würde man einsach über dasselbe gelacht
haben; abcr als der eigene Gcdanke Napoleon«

— was cs allem Auschcin nach war — muß
cine solche FricdenSpunktation nicht nur jedcn
Frieden unmöglich machcn, sondcrn in allen
Betheiligten die Anstcht erwecken, daß Napolcon
die allerungceignctstc Person sci, Dcutjchland
einen Fricden zu vermitteln. Zn dcr That,
hätte er im L-inne, ein unmögliches Projcct
vorzulcgen, um den Kricg zu provociren, so
konnte c« nicht bcffer crfunden werden. War
cS ihm aber Ernst damit, und glaubt cr damit
dic Deutschen zu fangc», odcr gar sie zu be-
sricdigen, so ivürdc dcr sonst io scharfstnnige
und weltcrfahrcne Mann cine Unkenntniß der
deutschen Verhältnissc vcrrathen hadcn, welche
kaum gcringcr war, als die über Mcpico ünd
Amerika schon bcwiesene. Der eigentliche Pferde-
fuß komint schließlich aber in Landau und im
Saargebiet zum Vorschein. Nicht nur Ocstcr-
reich, auch Preußcn wird nimmermehr auf
solche Punkte cingchen. Preußen würdc zwar
etwas vergrößcrt, ader dafür ein neuer Bhein-
bund an seincr Scite gejchafsen, daS sranzöst-
schk Protektorat und die französijche Anncrion
bis an den Rhrin vorbereitet und in Landau
und im Saargcbiet bereits punktirt, kurz ein
Deutschland nach dem Herzeu Frankreichs
geschafscn. Auch auf ferner stehende europäische
Nationen muß das kaiserlichc Programm einen
ungünstigen Eindruck machen. Es zeigt, wie
der französijchc Kaijcr mit den europiijchcn
Ländern umjpringen würde, wenn er könnte,
daß er dieselben in keiner Weise anders behan-
dcln würde, als sein Oheivi vor einem halben
Jahrhundert eö gctdan hat, wenn er die Macht
diescs OheimS bcsäße. Auch Jtalien kann an
diesem Prograinme schen, wie lheuer es elwa
den G-Winn VenetienS bezahlen müßtc, Hol-
land, Bclgien und dic Schweiz, welchcn Re-
spccl ihrc Existenz von dem Herrscher an der
Seine zu gcwärtigcn hältc, wenn e« ihm etwa
convcnircn sollte, sie als CompensatioiiSobjecte
zu behandeln. Ganz im Allgcmeincn muß der
im Programm rnthaltcnc Läuderschachcr, die
Zumnthuug jolcher willkürlicher und unnatür-
lichcr Octroyirungen bei dcr gejammten civili-
sirten Welt den tiefsten Adscheu und Argwohn
gegen dic napolconischen Tcndcnzen errcgen.
Unter solchen UmständeN hätte allerdingS Oe-
sterreich, welches nun doch einen Theil jciner
Armee in den Festungen Venctiens lassen muß,
mit dieser Provinz, die nicht mehr sein Eigen-
thum ist. besser gethan, sich wie von vornherein
aus seine eigene Krast zu verlaffen. Dcn vicr-
ten Thcil seines Heere«, d. h. so viel wie jetzt,
hätte es dann immer von dort himvegziehm
können.

Die „Ztg. f. Nordd." veröffentlicht eine Er-
klärung und Ansprache nord- und initteldeul-
scher Kammermitgliedcr mit 137 Unterschrislen,
dic sich sehr energisch für die preußischen Re-
formvorschiäge und gegen Einmischung des AuS-
landes, sowie dic östcrreichische Politik ausspricht.

D-r französtsche Gesandtschaslsjecretär, wel-
cher den Vorjchlag einer dreitägigen Waffen-
ruhe zur Feststellung dcr Waffenftillstandsbe-
dingungen aus dem preußischen Hauptquartier
überbrachle, ift mit österreichischen Gegenvor-
schlägen zurückgereist.

Di- „Liberte" meldet als letzte Nachricht, daß
die preuß. Vorschläqe am 12. in PariS angekom-
men seien und in diejem Augenblick den Gegen-
stand wichtiger llnterhandlungen bildeten; ste scien
geinäßigt und licßen ei» günftige« Resultat er-
warten. Der FriedenSabschluß werde hauptsäch-
lich davon abhängen, ob Oesterreich, ehe eS daS
preußischc Ultimatum annehmen, noch eine ent-
scheidende Schlacht verjuchen werdc; über diese
Frage herrsche im Rath d-S Kaisers Franz Jo-
seph die größte Unentschlossenhcit.

Der Londoner ministerielle „Herald" glaubt,
daß Preußen dvch vor dcr Gefahr, eine Coalition
 
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