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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 283-306 Dezember
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https://doi.org/10.11588/diglit.2833#0647

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eidtlbtrger Ieilung.

d!»,' 306.

* Politische Nn;fchi,u.

Heidelberg, 29. December.

* I* Frankreich nimmt die Opposition
grgen die Armeereorganisatiob Dimensionen an,
von denen sich die napoleonische Regierung ur-
sprünglich wohl Nichts traumen ließ; sogar ein
Theil der sonst so gefügigen Deputirten dcs ge-
setzgebenden Körpers lehnt sich gegen dieselbe
auf. Wie die „Köln. Ztg." berichtet, begab
stch vor einigen Tagen der Vicepräsident dieser
Körperschaft, Schneider, mit 20 Deputirten zu
Minister Rouher, um ihm VorsteUungen zu
machen, und zu bemerken, daß durch das neuc
Project die Kammer in die unangenehmste Lage
kame. Die Agitation im ganzen Lande, in
Hütten wie in Palästen, in einem dem Reor-
ganisationsprvjecte feindseligen Sinne, sei eine
ungeheure, die an jcne von 1848 erinnere.
Wenn das Project beibehalten würde, so würde
es daS Kaiserreich bald so vcrhaßt machen, wie
seiner Zeit die 40-Centimes-Steuer die Nepu-
blik. Rouher soll mber diese Sprache sehr be-
troffen gewesen sein; er snchte die Abgeordneten
zu beruhigen, indem er ihnen sagte, daß es sich
bis jetzt nur um ein Programm handle.
Ob der Kaiser aber die Durchführung dieses
Programms bei dem allgemein sich regenden
Widerstande unterlaffen werde, läßt sich zur
Zeit noch nicht absehen. Die Militärpartei
ihrerseits widersetzt sich der Zurücknahme des
neuen Organisationsprojects mit aller Macht.

Dcr preuß. „Staatsanzeiger" meldet, daß
den Herren Lavalette und Benedetti der schwarze
Adlerorden vcrliehen worden ist.

Der preuß. „Staatsanz." verkündet die Ver-
cinigung dcs Postweseys in Hannover ukid in
Schleswig-Holstein mit dem preußischen.

Minister Beust ist zum Besuche seiner Fa-
milie nach Drcsden gereist.

Eincm Wiener Privattelegramm der „D. A.
A." zufolge stünde die Einberufung deS öster-
reichischen Rcichsraths auf Grund directer
Wahlen wahrscheinlich schon am nächsten Sonn-
tage bevor.

Der „Moniteur" vom.25. enthält zwei von
umfangreichen Ministerialrapporten begleitete
Decrete des Kaisers über algierische Angelegen-
heiten. Das eine bezieht sich auf die Errich-
tung, resp. Reform einer muselmännischen Ci-
vilgerichtsbarkcit für die Eingebornen, das
andere setzt fcst, daß weaen früher eingegange-
ner Schulden die durch das Senatsconsult vom
22. April 1863 in individuellen Desitz über-
gcgangencn Grundstücke nicht mit Beschlag be-
legt werden dürfen.

Sonntag, 30 Dezember

Jn der Stadt Venedig haben sich die Noth-
stände seit dcm Anschluß an Ztalien eher ver-
mehrt als vermindert; die Erwartungen, die
man an den Abzug der Oesterrcicher geknüpft,
sind nicht in Erfüllung gegangen; die Palläste
der Nobili siud leer geblieben, nachdem der
Festjubel vorüber war, stellte sich die frühere
Gewerblosigkeit wieder ein. . Neuestens haben
nun auch die Arbeiter ,im Arsenal höheren
Lohn verlangt und einstweilen die Arbeit cin-
gestellt. Die Regierung mußte zu Verhaftun-
gen schreiten.

Jn Rom ist ein Blaubuch in Betreff der
Differenzen mit Rußland erschienen. Darin
werden die Schritte der russischen Regierung
gegen dic katholische Kirche seit 1845 getadelt
und der Gesandte Meyendorff beschuldigt, in
einer Audienz vom 27. Dec. 1865 die Achtung
gegen den Papst verletzt zu haben, ohne daß
dasür irgend eine Genugthuung zn erlangen
gewesen sei; das Concordat sei nie zur Aus-
führung gekommen, vielmehr die poluischen Bi-
schöfe von ihren Diöcesen fortgeschleppt und der
Religionsunterricht bchindert worden. Am
Schlusse heißt es: „Unser heiliger Glaube wird
verhöhnl, Proselitenmacherei unterstützt und eine
Schranke zwischen dem Papst und seinen Kin-
dern errichtct; seit 80 Jahren hat Polen seine
GlaubenSfreiheit verloren." Der Timescorre-
spondent in Nom bemerkt dazu: Schiller hatte
wohl recht zu sagen „die Weltgeschichtc ist das
Weltgericht" , tausend Jahre habcn die Päpste
sich als die allein legitime Quelle alles Glau-
bens betrachtet und alle Gräucl gcbilligt, die
gegen Andersdenkende verübt wurden, und noch

tcrn entrissen und in das Klostcr gesperrt, uud
nun beschuldigen sie Andcre der Grausamkeit;
ist der eine Glaube bercchtigt Gewalt zu ge-
brauchen, warum nicht auch der andere? Wcnn
man nun in den europäischen Staaten andcrs
als in Rußland in dieser Hinsicht verfährt, so
liegt der Grund in der höheren Civilisation,
keineswegö in den milder gewordenen Ansichten
Noms; erst dann, wenn der Papst die katho-
lischen Staaten zu allgemeiner Duldsamkeit er-
mahnt, hat er ein Recht zu Beschwerden gegen
Rußland.

Das „Journal de St. Petersbourg" demen-
tirt die aus Galizien stammendeu Gerüchte von
einer Bedrohung der galizischen Grenze durch
russtsche Truppen und fügt hinzu, daß im Ge-
gcntheil die in Polen stehenden Truppen auf
den Friedensfuß gcbracht und demgcmäß effectiv
reducirt worden sind.

Die „Patrie" sagt: 1700 Freischärler wur-


den von einem in Ankona formirten Comite
nach Candia erpedirt. „Patrie" und „Eteu-
dard" schätzen die Zahl der auf Candia besind-
lichen fremden Abenteurer auf 6000.

Deutschrand.

KarlSruh^, M. Decbr.^ Durch höchste Befehle^Sr.

Karlsruhe, 28. Decbr. S. Gr. H. der
Prinz Ludwig von Heffen und Hochdeffen Ge-
mahlin, I. Kgl. H. die Prinzessin Alice von
Großbritannien, sind heute Vormittag gegen
11 Uhr mit ihrcr Tochter, der Prinzessin Vic-
toria, dahür angekommen und im großherzogl.
Residenzschlosse abgestiegen. (K. Z.)

S. G. H. der Prinz Wilhelm ist am
28. d., Nachmittagö 1^/z Uhr, nach Berlin ab-
gereist.

* Karlsruhe, 28. Dec. Wie die „Karlsr.
Ztg." erfährt, hat die französische Regierung
an die preußische das Ansuchen gerichtet, die
Ccntrül-Rheinschifffahrts-Commission möglichst
bald, behufs ciner Revision der Convention
zwijchen dcn Rheinufer-Staaten vvn 1831, zu-
sammenzuberufcn. Es'ist,zu crwarten, daß
bei dieser Gelegenheit auch der Rcst der Rhein-
zölle, die für die Strecke Basel-Lauterburg noch
bestehen, beseitigt werden wird. — Ferner theilt
gen. Blatt mit, daß, um den Klagen, der Be-
ginn der Flötzerei auf dem Main sei auf eine
zu späte ZahreSzeit sestgesetzt, abzuhelsen, in
dcr Verordnung des großh. Handelsministe-
riums vom 26. Mai d. I. der Beginn dersel-
ben auf der dicffeitigen Mainstrecke nach dem
Eisgang und dem Ablauf des Frühlings-Hoch-
wassers, in der Regel vom 1. März ab (bis
30. Nov. jedcn Jahres) gestattet wurde. Das
Gleiche ist von sämmtlichen andern Uferstaaten
des Mains verordnet worden, mit Ausnahme
noch des vormals Kurfürstl. hess. Gebietes, für
wclchcs jedoch die gleiche Verfügung ohne Zwei-
fel auch erfolgen wirv. Dadurch, sowie durch
Aufhcbung der Zöllc auf dem Main und ver-
schiedenen Ncbenflüffeu deffelben ist dem Holz-
handel und insbesondere dem Betrieb der Flö-
ßerei auf diesem Fluß ein weiterer Aufschwung
fehr wcsentlich crlcichtert. — Ucber den bad.
Postvcrkehr macht dic „Karlsr. Ztg." folgende
Mittheilung: Zm III. Quartal d. I. sind über-
haupt zur Verscndung gekommen 3,479,814
Briefe (im III. Quartal 1865 3,661,034 B.);

Ueber die fortschreitende Verlangsamung der
' Uotation der Erde.

I

Am December v. I. laS der Mathematiker De-
launay in der Akadcmie der Wlffenschaften zu
PariS eine Abhandlung vor, deren Resultate von
so weittragender Wichtigkeit find, daß sie noch fort-
während die Geister der Gelehrten in hohem Grade
beschäftigen. Delaunay fand nämlich, daß die Um-
drehung der Erde um ihre AchK sich fortschreitend
verlangsamere, daß diese Veruingsamerung fich
durch Berechnung bestimmen lasse und in einer
längst bekannten Erscheinung ihren Grund habe.
Die zahlreichcn, von den verschiedensten Seiten da-
gegen erhobenen Einwände vermochten nicht, die
Eristenz dieser Verlangsamung wegzuleugnen, und
förderten nur die festere Begründung und gründ-
lichere Vrforschung dieser ueuen Sntdeckung.

Wohl wird es noch vtel Arbeit der Gelehrten
rrfordern, um alles die BerrLnung dieseS WerthrS
Störende zu ermitteln und auszuschließen; wohl
wird noch eine Zett ernster Forschung vergehen, biS
die Wiffenschaft genau brstimmt haben wtrd, um
wie viel die Erde fich an jedem folgenden Tage

> langfamer dreht, als am vorhergehenden; die Ver-
! langsamung selbst aber unterliegt keinem wissen-
! schaftlichen Bedenken mehr; dte Ursachen, die De-
! launay für dieselbe gefunden, eristiren und müffen
sich geltend machen. Für uns Erdenbewohner kann
es aber nicht gleichgtltig sein, ob fich unsere Erde,
auf der wir wohnen, gleickmäßig dreht, oj>er ob

Kenntniß dieser neuen Entdeckung ist von allgc-
meinstem Antereffe.

Denn, so wenig wi'r uns deffen im gewöhnlichen
Leben bewußt werden, es hat die Geschwindigkeit,
mit der fich die Erde um ihre Achse dreht, noch
eine praktische Bedeutung. Diese Umdrehung ist
nämlich unsere Zeiteinheit. Wir können die Zeit
nicht anderS meffen, als tndem wir den Abschnitt,
welcher von einem Mtttage zum nächstfolgenden
vergeht, also etne Erbumdrehung als Zeiteinheit
festhalten und Tag nennen. Dtesen Tag zerlegen
wir dann in 24 Stunden, die Stunde in K0 Mi-
nuten, die Minute tn 60 Secunden. Anderersetts
machen wir auS den Tagen Wochen nnd Monate
und richten somit unsrre ganze Zetteintheilung nach

dcr Dauer einer Erdumdrehung. Unsere Uhren,
die unS die Zeit angeben, werden gletchfallS nach
der Dauer deS TageS regulirt, dcr Art, daß fie
genau von einem Mittag bis zum andern 24Stun-
drn angeben. Die Stunden unserer Uhren hängen
somit wesentlich von der Geschwindigkeit ab, mit
der fich dte Erde um ihre Achse bewegt.

Eine srhr großc Rolle spielt aber die Zeiteinthei-
lung in der Wiffenschaft. Alle Bewegungen, die
wir wahrnehmen und berechnen, messen wir nach
der Zeit. Zwei Bewegungen werden nur dann
als gleich erkannt, wenn fie einen gleichen Raum
in derselben Zeit zurücklegen. Die ganze Astrono-
mie und Physik beruht auf der Voraussetzung, baß
die Zeiteintheilung, die wir uns na» der Um-
drehung der Erde um ihre Achse gebildet haben,
eine ganz genau richtige sei, daß die Secunde
z. B. dte den 60.69.24ten - 86,400ten Thetl
eineS Tages oder einer Erdumdrehung ausmacht,
zu allen Zeiten dieselbe geblteben.

Erfabren wir aber, daß die Erde fich nicht gleich-
mäßig um ihre Achse dreht, daß fie täglich fich
langsamer bewegt, so braucht fie heute zu etner
vollstäudigen Umdrehuns mehr Zeit alS vor einem
 
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