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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 152-177 Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2833#0109

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M 177.


* Politifche Umschau.

Heidelberg, 29. Juli.

Die Berliner „Volkszcitung" jpricht sich heute
über die Grundlage eines befriedigendcn Frie-
dens unter Anderem wie folgt aus: „Dem
Kriege, der gcgen die politischen Sympathien
deS deutschen Volkes geführt worden ist, muß
ein Frieden folgen, der die Nation wahrhaft
befriedigt, und diese Befriedigung liegt nicht
in der projectirten Dreitheilung und eben so
wenig in einer Theilung Deutschlands in zwei
Gruppen, sondern einzig und allein in jener
Einheit, welche die Garantieen dcr Freihcit
zugleich bietel, in jener Einheil, melche die
Nation selbcr in der Neichsverfassung
festgestellt hal.. . . Schaffcn wir daher den
schnellen Frieden in einer schnell und vollauf
befriedigenden Weise. Wie jetzt die Dinge lie-
gen, werden nichl bloß die Völkerschaften Deutsch-
lands ihr Werk, die deutsche Reichsverfassung
am liebsten vor allen anderen möglichcn Pro-
jecten annehmen, sondern auch die Fürsten wer-
den jeden Widerstand schwinden lassen gegen
eine Verfassung, welche unler äußerster Scho-
nung ihrcr Rechte festgestelll worden ist. . .

Die „Neue freie Presse" spricht sich über die
Antwort deS Kaisers auf die Adresse des Ge-
meinderaths wie folgt aus: „Die Adresse ves
Wiener Gemeinderaths war eine politische An-
sprache, und die Annahme, daß bei Beantwor-
tung dieser Adresse vaS Ministerium sich.seiner
naturgemäßen Eiuflußnahme begeben ' habe,
würde auf einer durchauS unwahrscheinlichen
Doraussetzung beruhen. Von diesem GesichtS-
punkt aus werden wir das Ereigniß, welches
dic Hauptstadt des Neiches bewegt, wohl beur-
theilen dürfen. Wir werden fragen dürfen, ob
das Ministerium, als es dießmal die ihm zu-
stehende Einflußnahme übte, sich dic Lage voll-
ständig gegenwärtig gehalten hat, in welche das
Neich gcrathen ist? Wir werden bescheiden an-
fragen dürfen, ob die Stimmung in der Haupt-
stadt deS Neiches in diejem beispiellos critischen
Augenblicke etwa ein gleichgiltig Ding sei; wir
werden um einen Bescheid auf die Anfrage'
bilten dürfen, ob Graf Belcredi etwa der Mei-
nung war, daß es für die Wiener Bevölkerung
ganz nebensächlich sci, ob die Krone ihre Bitten
wohlwollend bescheidet oder auf dieselben einen
schweren Verweis ertheilt? Zu den vielen
Kümmetnisscn, welche dieseS Ministerium der
constitutionellen Partei in Oesterreich schon be-
reitet hat, ist ein ncues getreten. Nicht zum
erstcn Male haben wir jetzt erfahren, daß dieses
Ministerium sich selbst vor dem Sturmlaufe

Dienstag, 31 Zuli

der constitutionell gesinnten Bevölkerung sorg-
fältig dadurch zu decken bcdacht ist, daß es die
Krone in den Vordergrund lreten läßt und
dadurch eines der obersten Principien nicht ab-
solutistisch regierler Staaten geradezu vcrleug-
net. Wir wollen hier nicht speciell der cinzel-
nen Fälle gedenken, in denen solcheS geschah —
der hcutige überragt sie allc! Das aber aus-
zusprechen drängt unS unser patriotisches Ge-
fühl, daß es eine böse Stunde war, in welcher
das Ministerium dießmal von seinem ehren-
vollen Vorrechte, Sr. Maj. rathen zu dürfen,
Gebrauch gemacht hal. Zu einel-anderen Zeit
konnte es eher versucht werden, der bitteuden
Bcvölkerung zu zeigen, daß ihre Hoffuungen
auf einen Wechsel der Näthe der Krone aus-
sichtlos seidn — heute aber gebot eö vie pvli-
tische Klugheit, die Adrssse des Wiener Ge-
meinderaths nicht alS passende Gelcgcnheit für
Kundgebungen ministeriellcn BewußtseinS an-
zusehen, sondcrn diese Gelegenheit ein andermal
zu ergreifen."

Vom Kriegsfchauplatz.

WLen, 28. Juli. Graf Degenfeld bleibt
in Nikolsburg zur Unterhandlung des italieni-
schen Waffenstillstandes mit General Govone.
Die Demarkationslinie für Böhmen ist Znaim,
Eger, Pilsen, Tabor; für Mähren die Thaya,
dann die March. Die Präliminarien sind in
neun Artikeln abgefaßt; ihre Veröffentlichung
steht bevor.

Paris, 29. Juli. Die Grundlagen der
Nikolsburger Vereinbarungen sind folgende:
Jntegrität des östcrrcichijchen StaalSgebiets
außer Venetiens; Jntegrität Sachsens; Znstim-
mung Oesterreichs zur Bildung eineS norddeut-
schen BundeS unter Leitnng PreußenS; inter-
nationale unabhängige Existenz dcr süddeutschen
Staaten mit der Freiheit, sich belicbig zu grup-
pircn. Oesterreich zahlt 75 Millioncn Kriegs-
kosten-Entschädigung an Preußen.

Von der Tauber, 25. Juli, wird noch
Folgendes berichtet: Die Preußen sind inTauber-
bischofsheim. Gestern (24.) fielen ZOOOKanonen-
schüsse; die Zahl der Todten ist bcdcutcnd, hcute
wurden dieselben prenßischerscits beerdigt. Auf
der Tauberbrücke wurde stark gekämpft. Einige
Gebäude geriethen in Brand, doch griff derselbe
nicht um sich. Andere Gebäude demolirt. —
Die Bundestrpppcn kämpften mit großer
Bravour; sie concentrirten sich auf ihrer Haupt-
linie. — Bis heute Mittag 4 Uhr waren über
20,000 Mann Preußcn ourch Bischofsheim
gezogen gegen die Höhen nach Ninderfcld. Der
Durchmarsch dauert noch ununterbrochen fort.


Die Einwohner der Gegend flüchten mit Hab
und Gut, Kind und Kegel. — Jn dcn Nach-
barorten Jmpfingen, Hochhausen, Werbach
wurden Gebäude vurch Brand zerstört. Post-
und Telegraphen - Verkehr unterbrochen. —
Badische Truppen sollen bei Hundheim und
Külsheim mit Auözcichnung gekämpft haben.
Das Hauptgefecht war beiWerbach. BeiBischofS-
heim wurde zwischen Württembergern u.Prcußen
hartnäckig gekämpft. Gegen 100 todte Württem-
berger liegen noch in den Straßengräben, Waffer-
böschungen, auf den Wiesen und in den Gärten.
Man konnte dieselben noch nicht begraben, da
die Straße durch fürtdauernde Truppenzüge
gesperrt ist. Man hat die Tapfern mit Mänteln
zugedeckt. — Die Preußcn haben viele Lcute
verloren. Sie haben die Gefallenen heute in
allcr Frühe begraben. Wie viel, weiß man
nicht. Vom 53. Negiment, das noch in Bischofs-
heim liegt, sollen fast sämmtliche Offiziere ge-
blieben sein.

Tauberbischofsheirn, 26. Juli. Erst
heute kommen die Einwohner hier wieder etwas
zu Athem. Auf ihren Gesichtern aber liest man
deullich die Schrecken Ver vurchlcbten Tage. —
Das Spital, das SchUlhaus und viele Privatge-
bäude sind mit Verwundeten angefüllt. Um5Uhr
heute Nachmittag wurden die gefallenen Würt-
temberger beerdigt. Dret große Gruben an der
Straße nach Würzburg sind ausgehoben. Jn
die größercn derselben wurden etwa 40 gelegt
uud mit Kalk überschüttet. Es war eine er-
grcifende Scene. überwältigend wipkte sie auf
jedeS Gemüth. Stadtpfarrer Rombach katholi-
scherseits und Diakonus Leichtlin von Schüpf
evangelischerseits hielten ergreifende Grabreden.
Ein württemberger Oberlieutenant unb ein
preußischer Hauptmann wurdcn besonders be-
erdigt. — Jm Schulhause liegen sämmtliche
Näume gcdrängt mit Verwundcten; ich zählte
deren 92. Sie liegen auf Heu und Stroh.
Jch durchging die Neihen und der Anblick die-
ses Elends wird sich wohl für immer in meiner
Erinnernng festsetzen. Mehrere barmherzige
Schwestern erfüllen hier mir Sorgfalt die
Werke der Barmherzigkeit. — Zwei Gebäude
sind abgebrannt, mehrere stark dcmolirt. Das
humane Benehmen der Prenßen wird anerkannt,
obgleich auch Scenen vorgekommen find, die
an's Nauhe streifen. Allein es darf angenom-
men werden, daß auch einzelne Einwohner
selbst die Schuld tragen. (N. B. L.-Z.)

Mergentheim, 26. Juli. (Aus einem
Privalbriefe.) Hcute bin ich erst im Stande,
Wahrheit über das Gefecht bei Bischofsheim zu
schreiben. Das 8. Armeccorpö müßte eben

Vom Aeußern auf's Junere zu schließen.

Wer an die Zukunft denkt, steht tn die Höhe,
wer ans Vergangene denkt, sieht tief vor sich hin,
wer gerade vor sich htn sieht, beschäftigt sich mit
der Gegenwart. Wer unbestimmt nach rechts und
links sieht, denkt an nichts; wenn er aber oft
hinter sich fieht, dann denkt er zuverlässig an seine
Gläubiger.

Wer langsam etnherschreitet, denkt über etwas
nach oder berechnet etwaS, wer ein Gesckäft machen
will, geht rasch, wer läuft. denkt einen Geld-,
Liebes- oder einen seiner Eitelkeit schmeichelnden
Vortheil zu erhascken.

Gine einfache, wenn auch etwas vernachlässigte,
aber doch reine Toilette, ein Gang, weder zu leb-
haft noch zu langsam, eine weder eckige, noch auch
wetchliche Haltung zetgen den ernsten, verständtgen
und guten Menschen an.

Vtn Mensch, ber etnher trippelt, mtt den Augen
blinzelt, den Kopf vorstreckt und die Schultern
bewegt, ist plauderbaft, stichelnd und ränkesüchtig.

Ein aufgewtchfter Mensch, der mit der Hand über
seinen Hut fährt, mtt setnem Laschentuche setn

Beinkleid reibt und mit dem Aermel stellenweise
über seinen Rock streicht, ist ein kleinlicher, empfind-
licher unv spitzfinviger Mensch. ,

Der Einfaltspinscl mag uns zehnmal in einer
Stunde begegnen, er wird uns auch zehnmal grüßen.

Zwei Menschen, die sich verachten, grüßen sich
sehr ehrerbietig unb einnehmend, alS wenn fie
Furcht vor einander hätten.

Der Mann grüßt deu Courmacher seiner Frau
mit eincr Beschützermiene,-und bieser lächelt wohl-
gefällig, wenn er ben» Gruß erwiedert; der Gläu-
biger grüßt mit Verlegmheit, der Schuldner mit
Leichtigkeit; die Freundsckaft grüßt nur mit der
Hand; die Liebe mit dem Auge. Der Mann mit
der Perrücke grüßt so selten wie möglich; die Hand-
habung des Hutes setzt ihn immer etwaS in Ver-

Wer den Hut auf Einem Ohre trägt, ist etn
Prahlhans, wer ihn in den Nacken setzt, ist ein
einfältiger Mensch; wer thn vorn tn die Augen
drückt, ist launenhaft und mürrisch; wer ihn, da-
mit schwenkend, in der Hand trägt, ist ein einge-
bildeter Mensch; wer seinen Hut immer blank und
gleichgestrichen hält, tst etn methodischer Kopf.

ist einfältig.

geordnete zeigen meistens Neigung zu siunlichen

Wenn Kahlköpfigsein häufig auf starke geistige
Thätigkeit hindeutet, so bezeichnet es aber auch
meistens einen kleinlichen und alltäglichen Geist,
wenn Jemand sich bie sparsamen Haare des Hinter-
kopfs nack vorn streicht.

Wer ohne Erziehung ist, trägt nur Handschuhe
bei feicrlichen Anlässen, auch weiß er nicht recht,
fie auszuwählen und damit umzugehen; wer baum-
wollcne Hanbschuhe trägt, fetzt fick Abends auch
meistens eine baumwollene Schlafmütze auf; der
Gebildete weiß seine Handsckuhe wohl auSzuwäh-
len, trägt fie und zieht fie mit Geschmack auS; ber
Zierbengel nimmt so enge Handsckuhe, daß er dte

und zuzuthun verma^, er hält daher seinen Stock
zwischen den ausgespreizten Fingern, wie der Hans-
wurst tm Marionettenspiel den seintgen.

Der Bauer, welcher fich als Herr geberden wtll.
 
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