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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 152-177 Juli
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https://doi.org/10.11588/diglit.2833#0079

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Utidelbrrgrr Ztilung.


Politifcbe Ausfichten.

Mit den Wafscnstillstandsunterhandlungcn
dürste cS nun gänzlich vorbei und die unmittcl-
Lare Fortsehung dcr ohnchin eigentlich nie un-
terbrocheucn Fcindscligkcitcn zu erwarten sein.
Oestcrreicb hat laut einem Tclcgramme auS
Wien die Pariser Vorschläge, dcren Zuhalt be-
kannt ist, abgclchut, und dcr Kaiser gcht zur
Armec ab. Erzhcrzog Albrecht und Frhr. von
Zohn sind bcrcits, gefolgt von den ersten Co-
lonnen dcr Südarmcc, in Wien augclangt, und
cs wurde in der Hosburg unter ihrem Vorsitz
und iu Anwesenhcit dcs Kaiscrs und allcr Erz-
herzoge cin KricgSrath gehaltcn, dcssen Ent-
schcidungen indcß noch Gchcimniß siud. Der
Bcrner Bnnd knüpft an vorstchcnde — bcrcits
vor cinigcu Tagcu gcschriebcncw Wortc — sol-
gende bemerkenswerthe Dctracbtungcn:

Es zcigt sich nun, daß die Abtretung Vene-
tienS und die dadurch erkauste sranzösische Vcr-
mittlung nur den Fcindcn genützt llnd Oestcr-
reich nur gcschadct hat. Vcnctien ist moralisch
und bald auch militärisch nun ganz verlorcn,
ohne Nubm. ohne Eukschädiguug, und die Fcinde
siud dem Hcrzcn Oestcrreichs von bciden Seiten
nähcr gernckl. Die bewaffncte Zutcrvcntion
FrankrcichS dagcgen ist nicht erwirkt und Oester-
reich in schlimmerer Lage alS znvor, sich wieder
selbst überlasscu. Wie gewöhulich zn spät,
merkt man dicS jctzt in Wicn und fängt daher
nun an. stch als dcn Belrogcnen in einer fran-
zösisch - prcußisch - italienischcn Komödie zu be-
trachten, was wicdcr kcinen richtigen Schars-
sinn verräth, denu Ocsterreich hatte die Ko-
mödie ja mit dcr Abtreiuug Vcncticns selber
angcfangcn. Früher, da es Zeit gcwesen wäre,
wollte Ocstcrreich Vencticn nicht hergcbeu, jctzt
bietet es dassclbc im Krcise hcrum dcn Kauf-
lustigcn an und wird eS uicht mchr loö, ks
kchrt zu ihm znrück. wie der Niug dcs Poly-
krateS. um cS in'ö Verhäugniß zu zichcn. Seit
Degiun deS Kriegcs wurde Vcnctien, wie uun
fcststeht, wicderholt Ztalieu angcbotcn^ daun
Fraukrcich; cs wurde schon vor der Schlacht
von Königgrätz Prcußcn Fricden angeboten;
aüeS vcrg'cblich! Vor dcm Zustandckommen
dcs prcnßiich-italicnischcn Bündnisses hätte der
sreiwillige Vcrzicht auf Vencticn Ocstcrreich
von aücn Fcindcn besreit und in Dcutschland
machtig gcmacht, jctzt stchcn dic Feinde in Vi-
ceuza und vor den Thorcn WienS und Frank-
surtö, denn — noch bcwährt sich in allcn Theilcn
Napolcons 1. Urthcil: Ocstcrrcich ist stets um
eine Jdee uud cine Armce zurück.

Man ist nun in Wicn bcschäslig', alle Trüm-
mer seincr Krästc zu sammcln. Allcin nirgends

Ein Tag in Gotha.

(Sckluß.)

Friedlicher war eS in dem zum Lazarcth einge-
richtcten Schießhause bei Golha und in cinem an-
dcrrn Lazarrth in drr Stadt selbst. Jn ersterem
lagen ungefähr 8<> bis 100, in dem zweiten noch
weuigrr, da bereits am Tage zuvor die Leichtver-
wundetrn nach Erfurt geschafft ivaren.

Die Pstkge war eine vortrcffliche, Militär- und
Civilärzte, Soldateu unv Diakonissiunen, so wie
Frauen aus Gotha tbaten Alles, waS in ihren
Kräften stand, um die Lciden der Unglückltchen zu
mildern. D>e Säle und Räumlichkeiten waren kübl
und luftig, die MaLratze» gut, an Bandagen kcin
Mangrl. Auf den Gcstchtern der Unglücklichen
stille, schweigende Ergrhung. Dort lagen Schwer-
vrrwundete, dcren kurzrr Athem den Schuß durch
die Brust verrieth, dort ein vom Fieber Geröthc-
trr, deffrn verbundenen Kovf dcr Säbel einrs
Husaren oder Dragonxrs halb grspalten. Dort bie
mtnder Gefährltcheu, denrn rin Bein oder Arm
durchschossen, dort Augrnkranke, dort mrhrere, >

Sonntag, 22 Zuli

kann man sich entschlicßcn, zum rechten Mittel
zu greifcn. Man spricht von Cabinetöände-
rungen, von' einem Ministeriu'm AnerSperg-
Kaijcrfeld, aber cö gcschieht nichts, im Gcgcn-
thcil hcit Belcrcdi noch Einfluß gcnug, scincn
Günstling, den böhmischcn Statthalter Lazanzky,
sür dcsscn ohne Zwciscl unsterbliche Verdienstc
mit dem Stcphauordcn zu schmücken, wie auch
noch andcrc Ordensvcrleihungcn in dicser Trüb-
sal vorgenommen wurden. Man spricht von
Befriedignng UngarnS, es geschicht aber nichts,
als daß die Kaiscrin mit dcn k. k. Kindern
zwischcn Wien und Pesth hin- und herreist.
Man rcchnct 400,000 Mann znsammcn, die
nmn nntcr der ncuen sichcrn Bürgschaft des
Sieges, nämlich untcr dem unnbcrwindlichen
Erzherzog Albrecht, dem Fcinde entgegenstellen
will; wcnn diese nur nicht eben so rund und
glatt blos auf dem Papier stehen, wie die Hun-
dcrttausende Bencdck's! Das Volk rnhrt sich
auch in seiner Weise, Görtz und Gradisca an
der venetianischen Grenze haben Ergebenheits-
adrcssen eingcsandt, zum Zeichcn, daß dic Graf-
schafl Görtz nicht ctwa auch noch zu Jtalien
will. Dcr StadMth von Graz hat eine vom
liberalen Abgcordnctcn Ncchbauer redigirte
Aoresse übcrgcben, wclche yleich dcrjenigen von
Salzbnrg in dcr Einsührung aufrichtigcr nnd
dauerndcr constitutioncllcr Zustände das cin-
zige Hcil und die einzige Nctlung erblickt. Die
erstcren Avressen werdeu bcifällig anfgcnommen,
die lctzteren hinter den Spiegel gcsteckl, bis man
Zeit, an sie zu denkrn, habcn wird.

ES ist abcr dic höchste Zeit, wenn die glciche
nnglanbliche Verblendung den Habsburgern
nicht das gleiche Schicksal bereitcn soll, wie dcn
Bourbonen. Dcnn währcnd in Wien-die Män-
ner der Familie Haböburg, dcr Kaiscr nnd die
Erzhcrzoge tagcn und die Kaiserin zwischcn
Wicn und Pcsth hin- und hcrstiegt, während
dcr Kaiser, wie in dcn officicllen Blättern zu
lcscn, geruht, dcn uiigariichen Gcmcinden zu
„crlaubcn", daß sic ihre Söhne als Frciwillige
in die Armee senden, lcckt schon die Ncvolu-
t io n mit dcr Zungcnspitze an das morsche Gc-
bäude. Wie würde Ocslerreich dastehen, wcnn
cS Veneticn frciwillig abgctrcten, Ungarn und
Deutschösterreich frciwillig bcfriedigl hälte l es
wäre kein preußisch-italieiiischeS Bni^dniß mög-
lich und Ocstcrreich gcgcn Prcußen sicher ge-
wescn. Und jctzt? Zetzt soll 'die Kaiserin
Elisabeth mit dcm Prinzen Nndolph dic neue
Maria Thcrcsia in Ofcn vorstcllcn und in
Szcgcdin weidcn ihr bercits Kossuth's und
Klapka'ö Proclamation entgcgengeschlcndcrt.
Maria Thcresia kam ebcn anch nicht zu cincm


seiner Versassung beranbten Ungarn nnd hatte
dahcr ein Nccht auf seinc Sympathien. Allein
die Kaiserin Elisabcth, so schön sie ist, bringt
auch jetzt noch nicht UngarnS Versassungsrecht,
sondern nur den Anspruch, daß die ohne Unter-
laß mißhandelleu Magyaren nun helfen sollen,
die habsburgische Familicndomäne zu retten und
dem unverbcfferlichen FamilicnabsolutiSmus wie-
der auf die Beine zn helfen. Daher wcrden
die Ungarn jetzt schwierig werden, und leicht
kann es dazn kommen, daß, wenn in der letzten
Stunde ihncn ihre Verfaffnng alS ein erzwun-
genes Zugeständniß der äußcrsten Noth dar-
geboten wird, auch sie Oesterrcich zurufcn wer-
den: Zu spät, jctzt nehmen wir sie uns selbft.

Nichts verhindert die Ungarn, dics zu thun.
Dculschösterreich isi so machllos, daß sie blos
ihre Hilfe zu verweigern brauchen, um Alles,
selbft ihre Trcnnung von Oestcrreich und die
Abdanknng des KaiserS dnrchzusctzen. Ja eS
ist nicht nur kcin Hinderniß vorhanden, son-
dcrn die Feinde, die Oestcrrcich besicgt, kommcn
ihnen sogar noch entgegen uud provociren ste
znr Hcrstellung der Kronc St. SlephanS, die
sie alö eigcue Friedcnsbedingung aufznstellen
gcsonnen sind. Dicser Schritt ist ein so merk-
würdiger und folgcnschwerer, daß er an Ge-
wicht dcr Schlacht von Königgrätz mindestcnS
glcichsteht- Er zcigt, daß die Alliirten nicht
bei der Besieguiig Oesterrcichs stehcn bleiben,
sondcrn daß sie eS zcrtrümmern, vernichten
wollen, ja es blickl sogar die mögliche Absicht
durch, daß auch Deutschöstcrrerch als König-
thum odcr Erzherzoglhum dem neucn Deutsch-
land erobcrl, Ungarn niit dcn slavischen Län-
dern als eigene Macht constitnirt werden soll.

Ein Gedanke von unabschbarer Tragwcite
und von cincr Großartigkeit, welche die Wun-
dersamkeit der Entwicklnng, in der wir unS
bcsinden, aus'S Höchstc stcigcrtl ........

Die ersten ungarischcn Jnsurgcnten werden die
Vorboten der Ncvolution in Nom scin, und wo
wird die Umwälzung dann ihr Ziel finden?

* Politifche Umfchnu.

Heidelberg, 21. Juli.

Zn Wren hal nach anfäuglichcm Schwanken
dic Kricgspartci dcn Sieg davongctragcn. Zn
einem KricgSrath, der am !6. zn Wicn gchal'
ten wurde, nnd dcm die ganze kaiscrliche Fa-
milie beiwohnte, ist die Fortsetzung dcS Kriegö
beschleffcn wordcn. Oestcrrcich ist zu dcn lctzten
Anstrenguiigcn entschloffen, yoch einmal will
cs eaS Glück dcr Wasscn vcrsuchcn, und allcm
Anschcin nach darf man schon in wenigcn Ta-
gcn die entschcidcnde Schlacht crwarten, die vor

tät und Sorgf'lt, mit M'lcber die Kranken und
Verwundrtrn bebandelt wurden — Mancher las
oder rauchte bereitS wieder srine Clgarre, obschon

die Stille tn ihnen einen fäst friedlichen Eindruck,
und doch spielte sich an dein Lagcr fast jedcs Ver-
wundeten ein kleines Drama ab. Dort waren
die Vcrw-invten herbeigrellt, V'ter, Mutter oder
Schwcster, und saßen still, die Augrn mit Tbrä-
nen gcfüllt, die Hand deS Krankcn in der tbrigcn,
nrbrn ibm, dort rilt eine Muttrr durch die Neidrn
der Betten hin, sucht untcr dcn bleichen Gesichtern
ihren Sohn. Unter den Vcrwundrten hattc sie ihn
nicht gcfunden, fie konnte lhn nur noch im Laza-
reth oder auf dem Schlachtfelde unter den Todten
suchen. Dort wieder rricbt rine andeee Frau fast
jrdem Offici.r, jedem Solvaten, dcr ihr begegn.t,
rine Pbotographie, um von ihnen Nachricht zu
erhalten über drn, der das Bild zeigt. Dort steht
rin einfacher Bauer an einr Wand gelehnt, aus

einander der vrrschiedensten Truppen. Vor der
Caserne wurden die Gothaer gesammelt, zum
Thcil, um die Gewehre wiedrr in Empfang zu
nehmcn, welche sie in der Hitze des Kampfes oder
als Gcfangene cingedüßt. Da standen bie 16 Ge-
schütze, w-lche zwei Tage zuvor so manches Leben
- vernichtet, still, bereits wicder aufgepackt, um jede
i Stun-e grgen einen neuen Frinb gkführt zu wer-
! den. Dort stand ein DatailloH, um weiter gegen
^ die Bayern geschickt zu werden^ dort fuhr ein Wa-
^ gen langsam durch die Sladt, ein oder mehrere
! Berwundrte saßen darauf — von den Ihrigen in
! bie nahe Heimath gcholt.

Fast all'N Solbatc'n sah man noch die Anstrrn»
gung und Ermüdung der Tage znvor an. Kein
Haiich dcr parademäßigen Ordnung mehr, die Uni-
formen bcschmutzt, znm Tbetl durck Kugrln zerrissen,
auf drn Stiefrtn zum großen Thrkl noch der SLmutz
! deS Schlachtfeldes oder der Staub des Marsches.
 
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