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Heidelberger Zeitung — 1866 (Juli bis Dezember)

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Nr. 231-256 Oktober
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https://doi.org/10.11588/diglit.2833#0406

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deßhalb nicht wünschenswerth, daß man den
Grundsatz durch Beisügung von Garautien und
dergl. wicder zur gesährlichcn Waffc in der
Hand der Gegner der Redcfreiheil mache.

Die Ansicht des Abg. v. Stockhorn, welcher
dieselbe durch ein Beispiel erläutcrt, wird von
den Abgg. v. Feder, Prcstinari, Frick bekampft;
ebenso von dem MotionSsieller, welchcr bemerkt,
daß der Angegriffene sich nicht solle vertheidi-
gen dürfcn, sei durch daS sragliche Gcsctz nicht
auSgeschlossen; auch besage schon die Motion,
daß die parlamentarische Unvxrantwortlichkeit
keineSwegs eine absolute sei, denn sie unter-
liege dcm Wächter- und Rügeamt der Kammer,
der Kritik der öffcntlichen Mcinung, und dcm
drohenden OstracismuS der Wähler.

Nachdem noch der Berichterstatter gcgen die
vom Abg. v. Stockhorn eingeworfene Contro-
verse gesprochen, wird der Commissiousantrag
einstimmig angenommen.

Die Kammer schreitet zur Bcrathung deS
Berichts des Abg. Sachs über die Motion des
Abg. v. Feder, die Abändcrung einiger mit
der ncuerlichen Entwicklung unserer öffentlichen
Zustände unverträglich gcwordencu Bcstimmun-
gcn dcr Wahjordnun g betr. Dcr Antrag dcr
Commission geht dahin: I. S. K. Hoh. den
Großherzog in unterthänigstcr Adresse zu
bitten, dcn Landständen dcn Entwurf eineS
Verfassungsgesetzes gnädigst vorlegen zu laffcn,
worin unter Acnderung der §§ 36 und 37
dcr VerfassungSurkunde, sowie der §§ 42, 53,
54. 56, 62 und 65 der Wahloronung bestimmt
wird, 1) daß der Bcsitz des Gemeindebür-
gerrechts am Wahlorte künstig als Erforder-
niß der Wahlberechtigung und Wählbarkeit wcg-
falle und eS dafnr an dem dauernden Ausent-
halte am Wahlorte genüge, dagegen die AuS-
schlicßungsgründc, wie sie im § 29 des Ver-
waltungSgesctzcs vom 5. Octbr. 1863 und im
§ 16 dcr Wahlordnung für die Kreisversamm-
lungen vom 20. April 1865 aufgcführt sind
(mit Ausnahme des noch nichl zurückgelegten
einjährigen Aufenthaltcs im Amtsbczirke), auf-
genommen werdcn; 2) datz die Wählbarkeit
zum Abgcordneten jcdem wahlberechtigten StaatS-
bürgcr, dcr das 30. Lcbensjahr zurückgelcgt hat,
zukomme; 3) daß auch bci den Wahlmänncr-
wahlen geheime Stimmgebung stattfinde. H. Auf
die Bitlschrift des Conrad Häring von Kon-
stanz, sowcit solche allgemeines Siimmrecht mit
gehcimcr Abstimmung verlangt, zur TageSord-
nung überzngchen."

Der Hr. Präsident des Ministcriums dcs
Jnnern erklärt: Vor Allem danke cr dem Hrn.
Motionssteller für die Schärfe des Urtheilö und
die Wärmc der Empfindung, welche in sciner
Motion zu Tage treten; die vorgeschlagencn
Aenderungen seien der Art, daß selbst die Geg-
ner dcrselbcn ancrkennen müssen, daß sic zeit-
gemäß seicn.

Die Anträge dcs MotionSstellers bewirken in
ihrem Zusammenhang eine, wenigstens formell
lief eingreifcnde Aenderung der Verfaffung;
allein sie stehen nicht. selbstständig für sich da,
sondern jedenfalls im Zusammenhang mit der
im andern Hause über die Organisation des-
sclbcn cingebrachten Motion. so daß nicht wohl
das Einc ohne daö Andere in Angriff gcnom-
men werdcy könne. Auch seien die gerügten
Mängel nicht die einzigen, und ebenso wenig
die vorgeschlagcncn Acnderungcn der Verfassung
die allein norhwendigen. Wolle man einmal
Hand an die Versassung legen, fo werde auch
eine Nevision dcr Eintheilung des Landcs in
Wahlbezirke nothwendig werden. Ebenso bc-
dürstcn die Paragraphen, wclche auf dcn Deut-
schen Bund abhebcn, einer Aendcrung. Die gr.
Negicrung erwartet, daß wir bald in dcn Nord-
deutschen Bund eintrctcn; das würde nothwen-
dig eine andere Neihe von Bcstimmungen,
welche sich auf das neuc Bundesverhältniß be-
ziehen, nothwendig machen.

Zn Folge der neucstcn Ercignisse stchcn wir
am Anfang einer ticfeingreifcnden Umgcstaltung
DcutschlanoS; diese wird auch auf unsere in-
nern Staatszustände zurückwirken, sobald sie
einmal vollendet sein wird. Wir wollen deß-
wegcn keincn Stillstand im VerfassungSleben
cintrcten lassen, sondern mit strammer Kraft
und aller Aufmerksamkeit unscr Bcstes thun.
Doch ist die Negierung im Augenblick nicht in
der Laze. die bcstimmte Zusagc zu machen, daß

sie schon anf dem nächsten Landtag so weit-
gchende Umänderungen in einer Vorlage als
Gesctzentwurf einbringen könne. Doch können
wir unS über eine Verzögerung schon deßwegcn
beruhigen, weil die VolkSvertretung bei unS
auf so breiter BasiS beruht, daß selbst die vor-
geschlageneu Aenderungcn voraussichtlich keine
Aenderung auf die innere Zusammensetzung
und den innern OrganiSmus dieses HauseS
haben werden.

Was die einzelnen Punkte anbelange, so sei
die Frage über bie gcheime oder offene Stimm-
gebung für die Negierung eine offene; sie sehe
den Aeußerungen des Hauses mit Jnteresse ent-
gegen. Bci der Frage über die Wahlberechti-
gung sei nicht zu läugnen, daß hier die Ver-
sassung mit anderen Gcbieten der Gcsetzgebnng
nicht niehr im Einklange stche. Jndcssen halte
er eS nicht für wünschenswerth, eine große
Menge von Staatsbürgern zu haben, welche
ohne besonderes Jntcresse an dem Ort, wo sie
ihr Wahlrecht auszuüben haben, seicn. Dcr
Hr. Mvtionssteller gehe von der Ansicht auö,
daß nach der jetzigen Bcstimmung der Verfaffung
Dienstboten, Gewerbsgehilfcn u. s. w. überhaupt
ausgeschloffen feien.

Das sei nicht der Fall; nicht der Umstand,
daß Jcmand Gewcrbsgehilfe, Dienstbote sei,
schließe dcnselben nach dcr Ncrfassung von dem
Wahlrecht aus, sondern nur der, daß diese
Personen in der Regel das Ortsbürgerrecht
nicht besitzen.

Die Ncgierung bcfinde sich bezüglich der
„Wählbarkcit" im vollen Einklang mit Mo-
tionsstellcr und Bericht und es wird dieser
Punkt schon auf dem nächsten Landtag seine
Erledigung finden. Die Bcseitigung des Zcnsus
sei angemeffen, schon aus dem Grunde, weil,
wie der Commissionsbericht mit Schärfe her-
vorhebe, man bei der Wahl eines ManneS seines
Vertrauens an AllcS cher Lenke, als daran, ob
derselbe das nöthige Steuerkapital besitze.

Abg. Paravicini: Die Eintheilung dcr
Wahlbezirke habe vicle Unzuträglichkeiten, be-
sonderS gelte dieS auch von dem Amtsbczirk

wcßhalb es demselben unmöglich werde, seinen
Einfluß irgendwo geltend zu machen.

Daß die Wahlcommission die Entscheidung
über die Wahlberechtigung und Wählbarkeit
habe, sei ebenfalls ungeeignet und sollte bei
einer Rcvision der Versassungöurkundc beseitigt
werden.

Abg. KirSner stimmt dcm Vorredner be-
züglich der Eintheilung der Wahlbezirke bei und
weist die angeregten Mängel durch Beispiele
nach.

Abg. Roßhirt wünscht Einführung direkter
Wahlen, wie solche auch das von Preußen für
den Norddeutschen Buud adoptirte Neichswahl-
gesetz vom Jahr 1849 vorschreibe.

Abg. Lamey: Die gegcnwärtige Motion
habe einen doppeltcn Charakter; entweder habe
sie die Bestimmung, das jetzt bestchende Wahl-
system.ganz umzuändern, oder die Bcstimmung,
dicses Wahlsystem nur von scinen MLngeln zu
desreien. Wollen wir das Erste, so müsscn
wir uns klar machen, ob wir die direkte Wahl
wollcn, ob wir gcheime Abstimmung wotten,
und ob eine andere Einthcilung der Wahlbe-
zirke geboten sei. Jn dieser Nichtung sollten
wir jetzt, wo unsere alten Bande mil den übri-
dcn deutschen Staaten gelöst und neue noch
nicht geknüpft sind, nicht vorgehen. Dagegcn
für die Belassung dcr groden Mißstände un-
seres Wahlsystems sprechen keine Gründe; cS
sind dics die Punkte 1 und 2 dcs CommissionS-
antrags. Nedner würde seinerseitö überhaupt
daö Gemeindebürgcrrccht als Erforderniß strei-
chen. Um dies zu lhun, brauche man nicht zu
warten, biS eine Abänderung der Gemeindc-
ordnung vor sich gegangcn sei; wcnn man als
Gcmeinvebürger ciner Gemcinde auswärts
wohne, so habe man allcrdings kcin Jntcrcsse
an den Wahlen dcr Aufenthaltsgemeinde; für
die Wahlen zum Landtag könne man cin sol-
cheS doch haben. Mit Punkl 2 sei cr ebenfallS
einverstanden; allein dabei solle man sich be-
ruhigen.

Abg. v. Feder ist mit der Erklärung, welche
die gr. Negierung abgegeben hat, nicht zufrieden.
Man sotte die Sachc, wcnn man einmal daS Vor-

handensein von Mißständen zugibt, nicht auf
die lange Bank schicben. Einen innern Zu-
sammenhang der Wahlbcrechtigung znr Zweiten
Kammcr mit dcr Organisation der Erstcn Kam-
mer sche er nicht ein, und diese könne deßhalb
auch kein Hinderungsgrund für die vorgeschla-
gcnen Abänderungcn sein. Eine Frage der
inncrn Neform sollte man mit der großen
äußern Frage deßhalb nicht in Zusammenhang
bringen, weil der Eintritt in dcn Norddeut-
schen Bund nicht von nns allein abhänge.

Nachdem noch dcr Abg. Hummel, der sich
mit dem Abg. Lamcy vollkommen cinvcrstandcn
erklärte, gcsprochcn, sowie nach einigcn Bemer-
knngen der Abgg. Huffschmid, Noßhirt,
Kirsner, Eckhard und Lamey wird die
allgemeine Diskussion verlaffen und zur Spe-
cialdiscussion übcrgcgangcn.

Abg. Eisenlohr: Der Wahlberechtigte müffe
immer in eincm gewissen inncrn Verhältniß zu
dcr Gemeinde stehen, in wclchcr er daS Wahl-
recht ausüben wolle; man sollte deßwcgen die
ncue Gcmeindcorvnung abwarten, welche eine
Bestimmung darüber enthalten müsse, wie Je-
mand als Ortsbürger anzuschen sci und unter
wclchen Umständen er also ein Wahlrecht auS-
zuüben habe.

Abg. Husfschmid kann damit nicht über-
einstimmen. Dcr Commissionsantrag verlange
dcn dauernden Aufenthalt am Wohn-
ort, und da wcrde es leicht sein, zu bestim-
mcn, wer einen svlchen danerndcnÄufenthalts-
ort habe und wer blos vorübergehcnd sich auf-
halte oder durchreise.

Die Abgg. Paravicini, Huffschmid
sprcchen für den Commissionsantrag, v. Feder
vertheidigt den der Motion; der Abg. Presti-
nari stellt, weil man sich bei eincr Adrcsse
über eine Motion nicht auf Specialitätcn ein-
lasscn soll, den Antrag, nur Len ersten Satz
des Commissionstrags unter'Ziff. 1 beizube-
halten (also bis zu den Worten „Wählbarkeit
wegfalle" einschließlich), die übrigen Sätze zu
streichen. Schaaff unterstützt diesen Antrag,
welchem der Hr. Negicrungscommissär, Mini-
sterialpräsident Dr. Jolly, beipflichtet, und
die Umgestaltung der Gcm-indc in nahe Aus-
sicbt stellt. Abg. Gerwig beantragt dagegen,
die bciden erstcn Sätze vcs genannten Antrags
untcr Ziff. 1 beizubehalten (demnach die Worte:
dagegen die Ausschlicßungsgründe und ff. bis
Schluß dcr Ziffer 1 zu streichen); der Antrag
wird von den Abgg. Obkircher und, Lam ey
untcrstützt. Der Berichterstatter erläutert und
vertheidigt den Commissionsantrag. Es sprechcn
noch die Abgg. Turban, Gerwig, Ob-
kircher, Eckhard, sodann wird der Antrag
dcs Abg. Gerwig angenommen.

Punkt 2 deS Commissionsantrags wird ohne
Discussion angenommen.

Ueber die Frage, ob geheime oder offene
Stimmgebung bei den Wghlmänncrwahlen statt-
finden soll, entstcht einc längere Debatte. Abg.
Schaaff ist für öffcntlichc Wahl. Man wllte
die Verfassungsurkunde nur da abändern, wo
es dxingend nothwendig ist; überaü könne und
dürfe man nicht nach Symmetrie streben.

Mit der gegenwärtigen Zusammcnsetzung der
Kammer, dercn Mitgliedcr bei offcner Stimm-
gebung gewählt worden sind, könne man zu-
frieden sein.

Abg. Kirs ner untcrstützt den Commissions-
antrag.

Abg. Hnffschmid für gchcime Wahl.

Abg. Beck hält dcn Theil des CommissionS-
antrags für den wichtigsten, und wird deßhalb
unbedingt für denjclben stimmen.

Abg. Lamey: kann die Ansicht ves Abg.
Schaaff über die gegenwärtige Znsammcnsctz-
ung der Kammer nicht thcilcn, weil sie rein
subjectiv sci; bei jcder Wahl meine der Ge-
wählte, vie Wähler hättcn bei ihm den besten
Griff gethan. Jm Allgemcinen sei die offene
Wahl voch vorzuziehen, denn die gchcime sei
nichts Andercs, alS ein Nachgcbcn dcr mensch-
lichcn Schwäche; eincn andcrn Bcrcchtigungs-
grund könne sie für sich nicht anführen. AÜch
die geherme Wahl vcrhindere die Mißstände
nicht, welche man beseitigen will. Trotz der-
selben stehen unsclbstständige Lcute untcr dem
Drnck der ihnen überlegcnen Pcrsonen; dcnn
Niemand werde behaupten, daß unter dem Ein-
 
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