Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

DOI Kapitel:
Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0041

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heidlelberger

Nr. 10.

Samſtag, den 3. Februar 1872.

5. Jahrg.

Se cheint Mittwoch und Samſtag. Preis monatlich 12 kr. Einzelne Nummer à 2 kr. Man abonnirt in der Druckeret, Scheſgaſſe4
und ber den Trägern. Auswärts bei den Landboten und Poſtanſtalten.

Die Gräfinnen von Schauenſtein.
Novelle von Wilhelm Blumenhagen.
(Fortſetzung.)

„Los? O wer mich löſete! Wer mich fortbrächte von

hier, wo jeder Gegenſtand mich anwidert!“ rief die Com-

teß aus, indem ſie aufſprang und ſich aus den Armen der
Signora frei machte.
„Hoffe, mein Kind; die Jugend iſt die Zeit der Hoff-
nungen und Du ſtehſt eben auf ihrer Schwelle. Was kann
der Augenblick nicht umgeſtalten. Ich ſehe eine Hülfe für
Dich wie Morgenroth am Nachthimmel herauf ziehen. Die
Herrſchſucht, der liebloſe Stolz Deiner Mutter wird einen
Zügel bekommen, wenn Du die Schwächen zu benutzen
verſtehſt, welche die Männer zum eigenen Schaden ſelten
verhehlen. Der Obriſt gilt für einen edeln Mann; er iſt
der Schönheit nicht abhold; er trägt Deinen Ring am
Finger; die reizende Geberin, wenn ſie nur auf kurze Zeit
ihren kleinen Trotzkopf zu bändigen verſtände, würde viel-
leicht bei ihm einen Platz gewinnen und den Stiefvater zu
ihrem feurigſten Advokaten umwandeln.“
„Stiefvater?“ fragte Viktorie mit ſtarren, weit aufge-
riſſenen Augen. ö
Es iſt leider zu befürchten oder vielmehr nicht mehr
zu bezweifeln. Die kluge Gräfin hat Eile, ſie weiß, daß
Männerliebe der Wetterfahne ähnelt und abgeblühte Schön-
heit, will ſie des Fanges gewiß ſein, metallene Ringe be-
darf. Du biſt Deinem Stiefvater zugethan und der ſtatt-
liche, ſchöne Mann verdtent es.“ — Viktorie ſtieß die ihr
ſich Nähernde faſt mit Widerwillen zurück.
„Meinem Stiefvater?“ rief ſie von Schamröthe über-
goſſen. „Ich haſſe ihn, ich verabſcheue ihn, nichts in der
Welt iſt mir ſo widerwärtig. Seine unglückſelige Ankunft
hat mein Verderben vollendet.“
Die Marquiſe lächelte ſchlau. „Das ändert freilich
Deine Lage und macht ſie hoffnungsloſer. Dieſe ſeltſame,
plötzliche Abneigung zerſtört meine Pläne für Dein Glück,
da ich der Meinung geweſen, manches Mädchen würde
Deine Mutter um den Mann beneiden müſſen.“
Viktorie warf ſich mit Heftigkeit an die Bruſt ihrer
ſataniſchen Quälerin. „O haͤtte ich keine Mutter!“ rief
ſie. „Ich hatte ja nie eine Mutter, wie Du ſie mir vor-
hin gemalt. — Und ich will keine Mutter haͤben, die
mich gängelt, wie ein ſtrauchelndes Kind, die mir Alles
verſagt, die mir Alles genommen,“ verſetzte ſie mit feindſeli-

gen Bliſcken.

„Ich will ſte nicht mehr ſehenn, nicht mehr
leben, wo ſie iſt und er! Mein Pferd ſteht mir zu Ge-
bot, ich werde verbergende Kleider finden, werde einen Be-
gleiter Fn und Du mußt mir beiſtehen, mir dazu hel-
fen, oder auch Du haſt mich betrogen; ich will ſelbſt zu
dem Könige, er muß mir mein Recht geben, er liebte mei-
nen Vater und ſprach oft freundlich mit ihm.“ Die Sig-
nora zuckte die Achſeln. „Armes, unwiſſendes Kind! Der
König ſandte ſeine Räthe; ſie werden berichten; die Mut-
ter wird das unmündige, eigenſinnige Kind zurückfordern,
und Mutterrecht iſt ein großes Wort. O, wenn ſie im
Grabe läge, dieſe unnatürliche Mutter, im Grabe ſtatt
Deines Vaters!“
Biktoriens Augen rollten wie im Fieberwahnwitz, ihre
zarten Hände griffen um ſich, als haſchten ſie nach geſpen-
ſtiſchen Schatten und in ſich hinein murmelte ſie mit zucken-
den Lippen: Das würde retten. Es ſterben ſo viele Men-
ſchen. Weinen würde ich nicht, wenn mir die Botſchaft
käme; trauern würde ich auch nicht. Ich ſterbe ja und
ſie ſieht es und ſie weinet nicht; ſie trauert ja nicht, ſie
lacht mit ihm über das kindiſche Kind, und das Kind iſt
doch ihre Tochter.“ — Sie zuckte zuſammen, Klachte plötz-
lich laut und grell auf, und ſank dann faſt ſinnlos und wie
gebrochen in die Arme der erſchreckenden Signora.

8.

Graf Auguſtin begegnete dem Obriſt in der Gallerie
des Schloſſes und trat ihm mit beleidigender Traulichkeit
in den Weg, ſo daß jener ſtutzig und fragend auf ihn
ſchaute.
Ran darf alſo gratulieren, mein Herr Richard, wie
Eben von unſerer Marquiſe erfahren?“ redete er wie
mitthFröhlichkeit den Obriſt an. „Glück zu, mein Freund!
Schauenſtein iſt eine treffliche Occupation, Ihr Triumph
noch ein ſchnellerer als der Einmarſch in Paris, und das
preiswürdige Abenteuer ruhmvoll für ein keckes Soldaten-
gemüth. Das iſt das goldene Loos der von der Fortuna
Erwählten, ſie finden das Glück am Wege und bücken ſich
kaum darnach. Sie ſtutzen, Freund, über das verrathene
Geheimniß? Frauenzunge iſt beweglich und unſere Gräfin
eine Frau, welche die Freude über den glücklich entfernten
Wittwenſchleier der Couſine nicht verhehlen konnte.“
„Habe ich Sie zu meiner Verlobung geladen, Graf?“
fragte Offeny mit äußerer Kälte, aber innerem Aufglühen.
„Ich liebe offene Begegnung unter Ehrenmännern,“
fuhr der Graf uneingeſchüchtert fort. „Laſſen Sie uns ei-
nen Bund knüpfen, ehe noch die Feſſeln der Verwandtſchaft
uns verbinden, einen Bund auf gegenſeitige Hochachtung
 
Annotationen