Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

DOI Kapitel:
Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44618#0043

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ſagte der Hofrath dann, indem er mit dem ſeidenen Tuch

ſeine feuchte Stirn leicht betupfte. — „Hören Erlaucht
nur! Der Knabe ſaß allein im Winkel des Heerdes, die

Chokolade ſtand bereitet; da trat Jemand in die Küche,

blickte ſorgſam und verdächtig umher und ſchüttete ein Pül-
verchen in das verlaſſene Gefäß. Der arme Knabe meint,

wie von Gott erleuchtet, es ſei etwas Gefährliches dabei.“

„Der geiſtesarme Unglücksſohn hat wohl nur geträumt!“
lächelte die Gräfin. „Er ſah dem Rattenfänger zu, und
ſeine kranken Sinne wiederholten jene neuen Bilder. Wo
wäre in Schauenſtein eine Hand für ſolche Frevel!“
„In dem Schwachen iſt der Herr am größten und aus
dem Munde der Kinder ſpricht oft der Himmel;“ verſetzte
flüſternd der Medikus, indem er mit Auge und Geruch das
Getränk examinirte.
„Silber, und wer trat in die Küche?“ fragte die
Gräfin dringender und neu beunruhigt.
(Fortſetzung folgt)

Loſe Blätter.

Ein Gänſeblümchen. Es war im Jahre 1836.
In der damals noch nicht von den Franzöſirungsbeſtrebun-
gen des Kaiſerreichs ergriffenen, noch durch und durch deut-
ſchen Univerſitätsſtadt Straßburg war am Kunſthimmel ein
Stern erſter Größe aufgegangen. Agnes Schebeſt, die
deutſche Sängerin, entzückte das Publikum, verſetzte die
ſtudierende Jugend in den größten Enthuſiasmus. Beſon-
ders waren es drei Muſenſöhne, welche unauflöslich an

den Triumphwagen der Sängerin gefeſſelt ſchienen und ſich,

obgleich untereinander befreundet, jeden Gunſtblick der ſchö-
nen, gefeierten Agnes ſtreitig zu machen ſuchten. Eines
Tages wäre es aber unter ihnen beinahe zum offenen
Kampfe gekommen, und zwar um nichts Geringeres, —
als um ein Gänſeblümchen. Wir wiſſen nicht wodurch
und auf welche Weiſe die Sängerin dazu gekommen war,
dieſes beſcheidenſte Kind der Flur ihrer Beachtung zu wür-
digen und mit ſich in die Oper zu nehmen. Genug, es
war geſchehen. Aber auf der Schwelle zu dem Heiltg-
thum, indem ſie als Prieſterin waltete oder als Göttin
verehrt ward, entfiel ihren Händen die kleine Blume, ſei
es, daß ſie, erfüllt von der ihrer harrenden Aufgabe, der-
ſelben nicht mehr geachtet, ſei es, daß ſie ihr nicht würdig
erſchien, mit ihr die geweihten Räume zu betreten. Ar-
mes Gänſeblümchen, Du biſt in Gefahr, zertreten zu wer-
den und mit einem frühen Tode den kurzen Traum der
Größe zu bezahlen, zu der eine flüchtige Laune Dich er-
hob! Doch nein! Du biſt geweiht und gefeit, die Hand
der Gefeierten hat Dich berührt! Drei junge Männer.
die den Spuren der Sängerin gefolgt ſind, ſtürzen ſich auf
Dich, es entſteht ein Kämpfen und Ringen, neidiſch ſehen
die beiden Andern dem Glücklichen nach, dem es gelungen,
den Schatz zu erobern. Und dieſer Sieg war die Vorbe-
deutung eines größern. Der Eroberer des Gänſeblümchens
war David Friedrich Strauß, der Verfaſſer des „Lebens

Jeſu,“ derſelbe, dem es gelang, Herz und Hand der Sän-

gerin zu erringen. O Gänſeblümchen, Deine Erbeutung
war nicht das Vorzeichen eines Glückes! Die Ehe war
keine beſeligende, nicht einmal eine befriegende. Lange,
ehe die Hand des Todes die Gatten ſchied, waren ihre
Herzen einander entfremdet, hatte das Geſetz die Schei-
dung über ſie ausgeſprochen. Und die beiden Andern?
Der eine war Candidus, jenes edle deutſche Herz, der ein
geborener Deutſchlothringer, nicht unter franzöſiſcher Herr-
ſchaft lehren mochte, und ſich lieber als Prediger einer
deutſchen Gemeinde im fernen Rußland einen Wirkungs-
kreis ſuchte, von wo aus er in begeiſterten Liedern die
Wiedervereinigung ſeiner Heimath mit dem deutſchen Va-
terlande feiert. Es war Candidus, deſſen „Chriſtus“,
trotzdem er nicht der Chriſt der Orthodoxen iſt, ihn in re-
ligiöſer Beziehung doch eben ſo weit von Strauß trennt,
wie ſeine pollitiſche Anſchauung ihn entfernt von dem drit-
ten im Bunde — von Refftzer, dem langjährigen Re-
dakteur des „Temps“ in Paris. ö
Welche Kluft öffnet das Leben zwiſchen vier Menſchen,
die einander einſt ſo nahe geſtanden. Agnes Schebeſt ſchläft
ſchon ſeit Jahren im Grabe; die drei Männer leben jeder

in einem andern europäiſchen Reiche und außer der räum-

lichen Entfernung gähnt zwiſchen ihnen ein kaum zu über-
brückender Abgrund. Sie haben andere Gegenſtände des
Kampfes als — ein Gänſeblümchen. ö

Qrginelle Steuererhebung. Eine ebenſo ein-
fache als orginelle Art der Steuerhebung war diejenige,
welche die Herzöge von Lothringen in der „guten alten
Zeit“ des väterlichen Abſolotismus zur Beglückung ihrer
Unterthanen eingeführt hatteu. Ohne Steuerboten und
ohne Exekutor, ohne Bedrückung und ohne Deficit trieben
ſie die für den Staats- und Hofhaushalt erforderlichen
Summen ſchnell, pünktlich und was das Wichtigſte iſt —
koſtenfrei ein. Sie machten es nämlich folgendermaßen.
Wenn in der Staatskaſſe Ebbe war, ſo ging der Herzog
Sonntags in die Kathedrale zu Nancy und wartete, bis
die Predigt vorüber war. Alsdann erhob er ſich, ſtieg

auf eine Bank und ſchwenkte ſeinen Hut zum Zeichen, daß

er ſprechen wolle. Kurz und bündig erklärte er nun ſeinen
Unterthanen, wie das Heil des Landes es erfordere, daß
ſie zu dieſem oder jenem Zweck die und die Summe auf-
brächten. Die Verſammelten erwiederten dieſe Mittheilung
gewöhnlich mit einem begeiſterten Hoch auf ihren braven
Fürſten und eilten ſodann, um ein Jeder nach ſeinem Ver-
mögen zur Füllung der herzoglichen Kaſſe beizutragen. Da-
bei ereignete es ſich denn nicht ſelten, daß ein Bauersmann,
welcher im Augenblick kein Geld beſaß, heimlich ſeiner Frau
das ſchönſte Stück Linnen oder irgend ein anderes Stück
aus der Wirthſchaft fortnahm und verkaufte. Die ge-
kränkte Gattin machte kein freundliches Geſicht dazu; aber
was that das! War doch dem Herzog geholfen! Uebri-
gens war dieſer ſo gewiſſenhaft, nur die vorher beſtimmte

„Summe anzunehmen und die ſtets bei dieſer Steuererhe-

bung erzielten Ueberſchüſſe zurückzuerſtatten.
 
Annotationen