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Heidelberger Volksblatt (5) — 1872

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 28. Februar)
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Mutter iſt hinter mir, die Henker ergreifen mich. Hinaus
muß ich; o helft mir doch, ehe dieſe Hölle mich ebenfalls
tödtet.“ —
„Ja, meine Liebe, wir wollen fort,“ entgegnete leb-
haft der Graf. „Es iſt Pflicht, Sie dem Tumulte und
der Unordnung, die auf Schauenſtein herrſchen wird, zu
entziehen. Ihre koſtbare Geſundheit darf nicht gefährdet
werden in dieſen gehäuften Erſchütterungen. Mein Wa-
gen ſteht ſchon bereit. Wir fahren auf einige Tage nach
Grünbach zur Tante, urd kehren, wenn die Ruhe wie de-
rum hier eingekehrt.“ — Er umfaßte Viktorien und ler-
tete ſie mit Hülfe der Marquiſe durch die Gallerien.
Bald nachher rollte ſein Wagen aus dem Schloßhofe, faſt
unbemerkt von dem Geſinde, das nur allein für die ſchreck-
liche Trauerpoſt Sinne und Gedanken hatte, und ſich zu
dem Zimmer der geliebten Gebieterin drängte. —
Indem der Wagen auf der Straße wie im Schwal-
benfluge getrieben verſchwand, traten die Offiziere durch
die hintere Pforte in das Schloß. Entſetzen malte ſich
auf Richards erblichenem Geſicht und er eilte ſogleich die
Hauptreppe hinauf, indeß der Hauptmann ſich zu einem
nachfolgenden Menſchentrupp wandte, der aus Gartenar-
beitern beſtand, in deren Mitte ſich der bucklichte Samſon
geifernd und mit verzerrten Geberden, gleich einem wilden
Ungethüm unter der Fauſt des maſſiven Reitknechts
wand, der ihn wie einen wüthenden Hund im Nackenf ge-
faßt hatte und durch den Garten ſchleifte. „Bringt den
Meuchelmörder zum Thurme, ſchickt' nach dem Gerichtshal-
ter und Euere Köpfe haften bis dahin für ihn!“ befahl
der Hauptmann und folgte dem Freunde. „Euer Thurm
iſt für Euch Bauerntölpel, nicht für mich gebaut und zum
Grafen will ich!“ krächzte der Bucklichte und biß mit dem
weiten, ſpitzzahnigen Maule um ſich. „Wer hat mir zu
befehlen als mein Herr? Er läßt Euch hängen, Ihr
Schurken, Euch Alle, wenn Ihr noch länger ſeinen Rock
mit Euren ſchmutzigen Fäuſten beſchimpft!“ — Doch der
Reitknecht drückte ſeine Finger zuſammen, bis dem Schreier
die Luft verging und ſeine Augen hervorquollen und Gärt-
ner Martin umwickelte ihn von oben bis unten, gleich ei-
nem Ammenkinde, mit glatten Schnüren und ſo ſchleifte
man ihn weiter. — Das Duell hatte einen Ausgang ge-
nommen, den kein Ehreumann vermuthen konnte. Als die
Geſellſchaft bei dem Waſſerfalle angekommen, nahm der
Graf ſeinen Stand voreilig dicht am Fluſſe und der Ob-
riſt ſtellte ſich ihm gegenüber. Die Piſtolen wurden aus-
getauſcht, die Schritte gemeſſen und der Hauptmann wun-
derte ſich über den Gleichmuth des Gegners, den er nicht
erwartet. Er zählte Eins, Zwei, — da knallte jenſeits
des Fluſſes ein Flintenſchuß, man hörte den Anprall der
Kugel und der Obriſt ſtürzte zur Erde. Des Hauptmanns
ſchneller Blick fand ſogleich das Rauchwölkchen über dem
Buſch; ohne weiteres Beſinnen ſprang er zur Kaskade, de-
ren Steinwall durch die Sommerhitze faſt vom Waſſer
entblößt da lag, ſetzte mit geübtem Kriegerſprunge von ei-
uem Steine zum andern, und durchbrach jenſeits die Ge-
büſche. Das raſſelnde Geſträuch verrieth des Schützen
Fluchtweg, ſein Unſtern führte denſelben in ein ſtachelich-
tes Brombeergeſtrüpp, er fiel und des Hauptmanns Hand
hatte ihn ſchnell gefaßt, und er erkannte mit Erſtaunen in

ihm den zwergigen Froſchjäger. Der kräftige Mann
ſchleppte ſeinen Fang bis zum Waſſer, und zwang ihn
durch die Drohung, ihn augenblicklich in den Fluß zu ſtür-
zen, ihm vorauf den gefährlichen Steinpfad zu betreten,
wobei er ihm Schritt vor Schritt an den Ferſen blieb.
Drüben fand er den Raͤum verlaſſen, der Graf und ſein
Kavalier hatten ſich unſichtbar gemacht, aber der Obriſt
ſaß aufrecht auf dem Mooſe, und lockerte eben ſeine Uni-
form, um nach der Wunde zu ſehen. Es fand ſich kein
Blut, aber auf dem vordern Theil der Schulterhöhe glänzte
ein hochrother Stern, ein Zeugniß für das Meiſterauge
des Schützen, deſſen böſe Abſicht nur durch die Watte der
Unifrrm verhindert worden. Mit Zahnknirſchen mußte
der zwergige Samſon, vom gewaltigen Aem ſeines Fän-
gers gebändigt, dieſer Unterſuchung zuſchauen und als der
Hauptmann ihm zurief: „Ein Glück für Dich, daß Du
ſchlechtes Pulver geladen; ich oder der Scharfrichter hät-
ten Dir ſonſt den Hals gekitzelt; doch Froſchkeulen wird
Dein Leckermaul nicht mehr verſpeiſen, denn Eiſen und
Kugel werden zeitlebens Deine Glieder noch krümmer zie-
hen!“ — da verſuchte er fruchtlos eine verzweleelte Wehr,
bis ihn die herbeietlenden Leute in Empfang nahmen. —
Der Obriſt machte ſich durch das Gedränge des heu-
lenden Schloßgeſindes Platz bis zu der verſchloſſenen Thür
der Gräfin. Der Hofrath trat mit ernſter, bedenklicher
Miene aus derſelben, drückte des ſprachloſen Mannes Hand
und ließ ihn hinein. „Haltet Euch ruhig, Ihr guten
Leute!“ ſagte er dann. „Man darf vorrerſt Niemand ein-
laſſen, aber bald ſollt Ihr Euere arme Gräfin ſehen.
Stürmet nicht, ſeid vernünftig, mich ruft die Pflicht zu
Eurer Comteß, welche noch gar nichts von ſich hören
ließ.“ — Da klang des Thorwächters Stimme hinten aus
dem Gedränge und meldete, daß ſchon vor einem halben
Stündchen Comteß Viktorie im Wagen des Grafen das
Schloß verlaſſen und die Karoſſe von allen Leuten des
Grafen begleitet worden. Wie ein Blitzſtrahl ſchien die
Nachricht den greiſen Medikus zu erſchüttern. Er ſtand
eine Weile höchſt betroffen und unentſchloſſen, ſeine Au-
genlider kniffen ſich auf und zu, und ſeine Lippen beweg-
ten ſich ohne Ton. Sich ermannend ſprach er dann auf
einmal wieder mit der an ihm gewohnten Beſtimmtheit:
„Schickt Reitende nach, ſie einzuholen!
Cortſetzung folgt)

So rächt ſich eine Königin

(Schluß.)
„Wer iſt Madame de Laurent?“ flüſterte der Domino
und riß die Larve ab. Es war die Königin, welche in
dieſem Metarmorphoſe dem Chevalier bis zu der Niſche
gefolgt war. Der Geſandte war außer Stande, dieſe
Frage zu beantworten, und ſo fertigte Chriſtine noch in
derſelben Stunde einen Courier nach Frankreich ab, wel-
cher mit den genaueſten Inſtruktionen für den ſchwediſchen
Reſidenten in Paris verſehen war. Vierzehn Tage ſpaͤter
las Chriſtine folgende Depeſche: „Madame de Laurent
iſt eine Närrin, welche die Marotte hat, Zug für Zug
Königin Anna kopiren zu wollen.“
 
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